Freier Journalismus mit Kindern
Mein erstes Erlebnis als „Freier mit Kind“ hatte ich, als meine Tochter wenige Monate alt war. Ich sollte einen nicht tagesaktuellen Hörfunkbeitrag mit O-Tönen für einen ARD-Sender produzieren. Reine Routine. Ich schrieb also das kurze Stück und faxte es an die Redaktion. Mein Auftraggeber, ein festangestellter Kollege mit Zeitvertrag, hatte inhaltlich abgesehen von Kleinigkeiten nichts auszusetzen. „Kommen Sie doch rüber und nehmen Sie das gleich auf, ich will das morgen früh senden“, teilte er mir telefonisch mit. Auch das eigentlich normale Routine. Nur: für „Freie“ mit Kleinkindern ist vieles nicht normal.
Der Anruf des Redakteurs erreichte mich um zwei Uhr mittags in meinem Büro, um halb drei mußte ich zu Hause die Kinderfrau ablösen. Da das Thema nicht brennend aktuell war, sagte ich dem Kollegen für heute ab. Ich begründete das mit meiner Tochter – und löste mehr als Irritation, nämlich Empörung aus. Die war so groß, daß meine Absage zum Thema einer Abteilungskonferenz gemacht wurde. Dort allerdings stießen die Beschwerden des Redakteurs zu seiner Überraschung auf Widerspruch – der Frauen sowieso, aber auch einiger Männer. Die kannten den angeblichen Arbeitsverweigerer und schätzten die langjährige Zusammenarbeit. Eine Geschichte mit Happy End also, die ermutigend, aber leider nicht repräsentativ ist. Ich könnte auch von Tagen berichten, an denen der Kindergarten Betriebsausflug machte. Dann malte ich oder spielte Memory, statt den dringenden Artikel weiterzuschreiben. Wenn endlich der lange ersehnte Anruf eines vielbeschäftigten Interviewpartners kam, den ich für meine Reportage unbedingt zitieren wollte, quengelte meine Tochter lautstark im Hintergrund, weil gerade ihr roter Lieblingsstift abgebrochen war. Am anderen Ende der Leitung klang das nicht gerade professionell.
Zwischen Röteln und Recherche
Freiberufliche Männer haben in vielen Situationen immerhin die Chance, mit ihrer Vaterschaft zu kokettieren. Sie nehmen ihren Laptop mit, wenn sie einen Vormittag im Wartezimmer des Kinderarztes verbringen. Sie sitzen mit dem Handy auf dem Spielplatz und geben das auch offen zu. Bei Redakteurinnen kommt das manchmal gut an. „Freie“ Mütter hingegen sehen sich schnell dem Verdacht ausgesetzt, sie praktizierten einen ineffektiven und kaum ernst zu nehmenden Bettkanten-Journalismus. Besonders pikant wird dieser Vorwurf, wenn er aus dem Mund festangestellter Männer kommt, die sich den täglichen Balanceakt zwischen Kind und Karriere mittels einer nicht erwerbstätigen Gattin vom Leib halten.
Freie Journalisten werden von ihren Auftraggebern geschätzt, weil sie mobil und flexibel sind. Eltern sind weder mobil noch flexibel, aber dafür gute Logistiker. Sie sind eher mal bereit, abends oder am Wochenende einzuspringen. Doch weil der Nachwuchs den Stundenplan diktiert oder zumindest mitprägt, stehen sie den Redaktionen nicht „just in time“ zur Verfügung. Die Mischung aus Planbarkeit und unvorhersehbarem Chaos führt zu einem engen Zeitkorsett, das einschnürt: Im Sender anzurufen und den Wunsch zu äußern, man brauche ganz dringend einen Studiotermin, es ginge aber nur zwischen 9 und 14 Uhr, kann unangenehm werden. Nicht jede Disponentin hat Verständnis dafür, daß ihr Gesprächspartner ein Kind zur Schule bringen muß und allerspätestens um 15 Uhr die Übermittagbetreuung endet. Es gibt im freien Journalismus Arbeitsfelder, deren Abläufe schlicht und einfach kinderfeindlich sind. Wer Beruf und Familie täglich nebeneinander „vereinbaren“ will, sollte zum Beispiel lieber darauf verzichten, Fernsehbeiträge zu produzieren. Kinder brauchen ihre Eltern regelmäßig, nicht im Schichtbetrieb. Eine Woche Dreh in Jottwehdeh, eine Woche von morgens bis abends im Schneideraum, dann eine Woche frei: Diese aufreibend-aufregende Arbeits- und Lebensweise mag dem ungebundenen Jungfilmer gefallen; für Leute, die von ihren Kindern etwas mitbekommen wollen, ist sie völlig ungeeignet.
Sendung zur besten Familienzeit
Arbeit frei einteilen zu können, wenn auch in den von Auftraggebern gesetzten Grenzen, ist ein großes Privileg in einer von Anwesenheitspflicht und Zeitdisziplin bestimmten Berufswelt. Mehr festangestellte als selbständige Journalisten klagen darüber, daß sie ihre Kinder eigentlich nur am Wochenende sehen. Die Arbeitszeiten von Tageszeitungsredakteuren zum Beispiel, die sich häufig in die Abendstunden ausdehnen, kollidieren mit der „Familien-Kernzeit“ zwischen 17 und 21 Uhr. Auch die meisten Hörfunk- und Fernsehkollegen sind in starre Pläne eingebunden: Die eigene Sendezeit paßt dummerweise überhaupt nicht zu den Öffnungszeiten der Kindertagesstätte.
Reduzierte Redakteursstellen, die nicht automatisch einen Abstieg in der Hierarchie bedeuten, sind erst in den letzten Jahren hier und da ermöglicht worden. Engagierte Zeitpionierinnen haben in Verlagen, Funk- oder Zeitungshäusern innovative Modell durchgesetzt – etwa, daß sich drei Mitarbeiterinnen zwei Stellen teilen. Die rein weibliche Schreibweise ist an dieser Stelle Absicht: Erst der wachsende Frauenanteil in den Medien hat dazu geführt, daß die Herren in den Personalabteilungen das Thema Elternschaft nicht mehr einfach ignorieren können. Journalistinnen, die nach Schwangerschaft und Erziehungsurlaub an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, müssen allerdings damit rechnen, daß dieser anders aussieht: Der Sendeplatz wurde gestrichen, die Talkshow abgesetzt, das Ressort umstrukturiert.
Wem nicht nur der Beruf, sondern auch das Private wichtig ist, zahlt einen Preis. Wer für seine Kinder Zeit haben will, macht nicht die Karriere des Kollegen, der sich voll und ganz seiner Arbeit verschrieben hat. Wegen ihrer Familienaufgaben nehmen feste wie freie Journalisten Nachteile in Kauf. Die Redakteurin, die bei geringerer Stundenzahl weiterarbeitet, hat zwar eine Jobgarantie, aber nicht die Garantie, einen spannenden Job zu haben. Sie geht das Risiko ein, sich beruflich kaum verändern zu können. Der Aufstieg auf der Leiter ist reserviert für Kinderlose beiderlei Geschlechts und für jene Männer, die eine Frau für ihre Kinder haben.
Bodenständigkeit statt Spannung
Selbständige Mütter (oder auch Väter) sind schlecht abgesichert und stehen nach einer Babypause unter starkem Druck, schnell wieder in den Beruf einzusteigen. Es kann frustrierend sein, lukrative Angebote ausschlagen zu müssen, weil die Zeit und die Flexibilität fehlen. Der hochkarätig besetzte Kongreß in Zürich, die Journalistenreise nach Osteuropa, das persönliche Gespräch mit dem spannenden Wissenschaftler, das aber bedauerlicherweise eine mehrtägige Abwesenheit von der Familie voraussetzt – darauf verzichten die Eltern von Kleinkindern meist notgedrungen. Eine gewisse Bodenständigkeit muß in dieser Lebensphase einfach sein.
Freiberufler profitieren besonders von den Fortschritten der Telekommunikation. Fax, E-Mail, Internet oder ein digitaler Schnittplatz können die Situation der „Heimwerker“ verbessern. Aber es fällt ihnen häufig schwer, eine klare Grenze zwischen Beruf und Privatleben zu ziehen. Ein ausgelagerter Arbeitsplatz etwa in einer Bürogemeinschaft kann dieses Problem lösen. Wer als Freiberufler etabliert ist und sich nicht gerade im aktuellen Journalismus tummelt, hat meist mehr Zeit für Kinder als seine festangestellten Kollegen. Das kann den in der Regel niedrigeren Verdienst durchaus wert sein.