Hartes Brot für die Demokratie

Dieser 23. Journalistentag der dju hätte anders beginnen sollen. Doch am Ende einer inhaltsreichen, interessanten Diskussion war als Fazit richtig platziert: „Journalismus wird nur dann gut bezahlt werden, wenn er einen Nutzwert für die Demokratie hat.“ Zwischen den Polen Wert der Arbeit, Kompetenz und Aufgabe des Journalismus sowie seiner Bezahlung, bewegten sich Referate und Debatten. Mehr als 150 Teilnehmer setzten am 28. November in Berlin „Schlaglichter auf die Wirklichkeit“.

Dass das Programm der Veranstaltung nicht wie geplant würde ablaufen können, war spätestens am Vortag klar: Der Hauptreferent, ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, dem der Verwaltungsrat am 27. November den Vertrag nicht verlängerte, hatte bereits vor dieser Entscheidung sein Kommen kurzfristig abgesagt. ver.di-Vize Frank Werneke drückte „Bedauern, aber Verständnis“ dafür aus. Dem Leiter des ver.di-Fachbereiches Medien, Kunst und Industrie fiel es deshalb zu, über eine bloße Begrüßung hinaus inhaltliche Schwerpunkte und Anregungen zur Debatte zu liefern, die Brender mit seinem verabredeten Beitrag „Vom notwendigen Überleben des Journalismus“ gegeben hätte. Dafür bot ihm die „Causa Brender“ direkte Ansatzpunkte, da sie in ihrer Bedeutung „weit über das ZDF hinaus“ reiche und symptomatisch stehe für „brachiale Versuche politischer Einflussnahme“ auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Insgesamt sah Werneke die „Bedingungen für Unabhängigkeit und Qualität in den Medien massiv verschlechtert“. Dagegen müsse die Gewerkschaft ankämpfen und gemeinsam mit Bündnispartnern für mehr Mediendemokratie eintreten. Im Fall der ZDF-Personalvorgänge forderte Werneke, eine „Überprüfung des ZDF-Staatsvertrages hinsichtlich der Wahrung von Staatsferne“ vorzunehmen. Er bekräftigte, dass ver.di und der DGB eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht für angebracht halten.
Zur „Causa Brender“ verabschiedete der 23. Journalistentag der dju eine Resolution, die die politische Einflussnahme auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk brandmarkte.

Kein Schutzraum für Journalismus

Doch sei, so Werneke, die „Notwendigkeit eines breiteren gesellschaftlichen Diskurses zur Sicherung der Meinungsfreiheit“ durchaus nicht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschränkt: „Zonen der Unsicherheit nehmen zu“, erklärte Werneke und wies auf „negative Auswirkungen für die Unabhängigkeit und die Qualität“ von journalistischer Arbeit generell hin. Der Arbeitsalltag sei durch Leistungsverdichtung, Stellenabbau, Knebelverträge und schlechte Honorierung von Freien, durch die Filetierung von Zeitungshäusern, Ausgründungen, den massiven Einsatz von Leiharbeit „bis tief in die Redaktionen hinein“ sowie wachsende Tarifflucht gekennzeichnet. Es gebe „keinen Schutzraum mehr für Journalismus“, vielmehr sei er in der „negativen Normalität der industriellen Beziehungen angekommen“. Der Rationalisierungsdruck verschärfe die Verteilungskonflikte. Verlagsbereiche und Redaktionen gerieten dabei aktuell immer mehr in den Fokus. Es werde künftig, so zeigte sich Frank Werneke überzeugt, nur noch genau so viel Tarifschutz geben, „wie es gewerkschaftliche Kraft in der jeweiligen Redaktion und im jeweiligen Verlag gibt“. Die Bedeutung von Flächentarifverträgen gehe „massiv zurück“. Die notwendige gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit entstehe nicht von allein, doch ver.di sei keineswegs konfliktscheu und nehme die Herausforderungen an.

„Unabhängiger Journalismus muss überleben, weil sonst schon ein Koch den Brei verdirbt.“
Christian Selz

Mit „heiligen“ Standardwerken, der Bibel und dem Marx-Engels Band IV, begab sich Detlef Hensche auf philosophischen Diskurs zur Wertschätzung und Vergütung von Arbeit. Der letzte Vorsitzende der IG Medien zog das Gleichnis von der Arbeit im Weinberg aus dem Matthäus-Evangelium heran, worin jegliche Arbeit eines Tages unabhängig von ihrer Zeitdauer einheitlich mit einem Groschen entlohnt wird. „Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht um einen Groschen“, diese Botschaft setze auf jenseitige Verheißung. „Mit Betriebsrat wär das nicht passiert“, steuerte Hensche lakonisch von den Ungerechtigkeiten der Zeitenwende zu denen der Gegenwart. Hier verdienen Frauen immer noch 23 Prozent weniger als Männer. Doch anders als die FAZ in einem Artikel polemisierte, wählen sie nicht traditionell Branchen, in denen schlecht verdient wird, sondern Frauen finden eher Arbeit, die schlichtweg schlechter bezahlt wird. Krankenschwestern verdienten 1.000 Euro weniger als Chemielaboranten. „Wären es Krankenbrüder, sähe das natürlich anders aus.“ Patriarchalische Denkvorstellungen – von denen auch gewerkschaftliche Tarifkommissionen jahrzehntelang geprägt waren – bewerten im Kanon der Arbeitstugenden technische und muskelgeprägte Tätigkeiten höher als pflegende oder soziale, so Hensche. Zwar seien Unterschiede innerhalb der Branchen weitgehend beseitigt, nicht aber zwischen ihnen.
Angesichts der Tatsache, dass ein Sechstel aller Beschäftigten in Deutschland nicht von seinen Einkünften leben kann und aufstockende Sozialhilfe benötigt, griff Hensche auf die Erkenntnis von Karl Marx zurück, wonach jeder Arbeiter so entlohnt werden muss, dass er ein normales Leben bestreiten kann. Doch „ölfleckartig“ breite sich der Niedriglohnsektor aus, auch im Medienbereich, und befördere die Unterbietungskonkurrenz. „Arbeit wird so billig wie Dreck.“

Ohne Alternative: Kollektive Selbsthilfe

Konkurrenz in den eigenen Reihen auszuschließen, ein Solidarnetz zu knüpfen, dazu gäbe es keine Alternative und das sei Funktionsberechtigung für Gewerkschaften. Während in den 1950er Jahren in der alten Bundesrepublik noch respektable Vergütungen für Redakteure ohne Streik ausgehandelt werden konnten, zeigten Verleger heute mehr Respekt vor Kosten und Renditen als vor journalistischer Leistung. Freie würden mit Hungerhonoraren abgespeist, Redaktionsbereiche in Verlagstöchter ausgelagert, wo Redakteure ein Drittel des Tarifgehaltes verdienten. Zunehmender Polarisierung und wachsender Armut könne nur mit kollektiver Selbsthilfe entgegengewirkt werden. Das sei alternativlos, aber möglich, wie der Streik beim RBB zeige, wo Festangestellte und Freie gemeinsam für angemessene Bezahlung ihrer Arbeit auf die Straße gehen. „Zum ersten Mal in der ARD-Geschichte sind Sendungen ausgefallen.“
Oft werde vergessen: Medien werden von Menschen gemacht. Diese anspruchsvolle, für die Demokratie konstituierende Tätigkeit sei universell, individuell und gesellschaftlich nicht grundsätzlich rationalisierungsfähig, zählte Hensche Mindeststandards für eine sachgerechte Entlohnung auf. Wertschätzung sei unabdingbar.
Auch beim RBB fühlten sich Kollegen durch hierarchische Systeme und Geringschätzung gedemütigt. Erinnert sei an den gemeinsam von dju und DJV 1990 initiierten Streik an der Süddeutschen Zeitung, wo sich nahezu die gesamte Redaktion dem Ausstand für einen Volontärstarifvertrag anschloss. Sogar Edelfedern sahen sich im Berufsstolz von der Behauptung beleidigt, Journalismus bedürfe keiner speziellen Ausbildung.
Jedoch nehme der schleichende Ausverkauf fachlicher Kompetenz in „beängstigendem Umfang“ zu. So habe etwa der gesamte RBB keine Wirtschaftsredaktion, Expertenbeiträge dominierten die Wellen, generell fehlte bundesweit in den Redaktionen Zeit für gründliche Eigenrecherche, Infotainment überlagere seriöse Information. Der Kampf um Spielräume und Verantwortung könne diejenigen Journalistinnen und Journalisten zum Widerstand motivieren, die für einige Prozent Gehaltssteigerung nicht aufstehen würden. Darin sah Hensche „Stoff zur Mobilisierung“ – eine ureigene gewerkschaftliche Angelegenheit. „Letztlich hilft nur kollektiver Druck.“

„Qualitätsjournalismus ist unbedingte Voraussetzung für eine freie und qualifizierte Meinungsbildung der Menschen in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft.“
Matthias Wiemer

Eine (noch) hohe Themenvielfalt, jedoch bereits deutlich sinkende Qualitätsstandards – so könnte zusammengefasst das Ergebnis einer Studie zu den Zeitungen Norddeutschlands lauten. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Hamburg hatte Dr. Elke Grittmann 2003 und 2008 sechs norddeutsche Zeitungen einer Inhaltsanalyse unterzogen. Sie wollte herausfinden, ob angesichts einer rapide voranschreitenden internen Medienkonzentration ein Prozess abläuft, den sie „Vereinheitlichung statt Vielfalt“ nannte.
Grittmann zitierte Siegfried Weischenberg, der 1990 den Tageszeitungen eine „eingebaute Schizophrenie“ attestiert hatte: Aus Sicht des Verlages und der Geschäftsführung sei der Tageszeitungsjournalismus ein Geschäft; aus demokratietheoretischer Perspektive komme ihm eine öffentliche Aufgabe zu. Für die Gewinnmaximierung sei der Verlag zuständig, für die publizistische Aufgabe die Redaktion. „Diese Allianz funktioniert nicht mehr.
Die Gemengelage aus Medienkrisen-Szenarien und neoliberalen Ideologien führe zu Zusammenlegungen und Auslagerungen von Redaktionen, Tarifflucht und Personalabbau. Insbesondere freie Journalisten würden prekarisiert. Folge sei ein genereller Ressourcenabbau im Journalismus.
Diese Entwicklungen sind im Tageszeitungsjournalismus Mecklenburg-Vorpommerns augenfällig. Vor einem Jahr schlugen daher ver.di und DJV Alarm und gingen auf die Universität Hamburg zu. Die Gewerkschaften vermuteten, dass inhaltliche Vielfalt und journalistische Qualität unter der Konzentration des nordostdeutschen Zeitungsmarktes leiden. Unterstützt von ver.di und der Hans-Böckler-Stiftung sollten die subjektiven Empfindungen wissenschaftlich überprüft werden.
Der Zeitungsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern wird von drei bzw. vier großen Zeitungen beherrscht – je nachdem, ob man die Lübecker Nachrichten, die im westlichen Teil des Bundeslandes einige Marktanteile besitzt, mitzählt. Die Ostsee-Zeitung, der Nordkurier und die Schweriner Volkszeitung haben ihre Reviere abgesteckt, Überschneidung und Wettbewerb gibt es kaum. Alle drei Zeitungen wurden ganz oder zum Großteil von anderen Verlagen übernommen. Es herrsche „monopolisierte Einfalt“, so Grittmann.
In ihrer Untersuchung wertete Grittmann 6.648 Seiten in 108 Ausgaben aus, um das Gesamtangebot und die Themenstrukturen zu erfassen. Außerdem wurden 564 Themen in 48 Ausgaben im Hinblick auf die Vielfalt genauer untersucht, 2.053 Beiträge in 36 Ausgaben wurden hinsichtlich ihrer Qualität unter die Lupe genommen. In die Studie aufgenommen waren neben den Zeitungen Mecklenburg-Vorpommerns auch die schleswig-holsteinischen Blätter Kieler Nachrichten, Flensburger Tageblatt und Lübecker Nachrichten.
Vielfalt gilt als eine zentrale Größe publizistischer Angebote. Angesprochen sind dabei vor allem Beiträge, die auf eigener Recherche beruhen. In einzelnen Ressorts konnte Grittmann thematische Erweiterungen vor allem in den Bereichen Sport, Lokales und Service bzw. Ratgeber konstatieren. Die Wissenschaftlerin schließt daraus auf eine „Profilierung der Orientierungsfunktion im privaten und unmittelbaren Umfeld“. Erfreulich war die hohe Themenvielfalt: Die Überschneidung von Themen sei relativ gering. 57 Prozent der gefundenen Themen waren nur in einer einzigen Zeitung, nur gut sechs Prozent der Themen in allen sechs Zeitungen vertreten.
Als Themenquelle spielen Nachrichtenagenturen eine zentrale Rolle, selbst recherchierte Themen treten demgegenüber in den Hintergrund, referierte Grittmann weiter. Aufgegriffene Themen würden jedoch durchaus individuell gewichtet, aufbereitet und mit verschiedenen Schwerpunkten präsentiert. Ein Thema, dem große Wichtigkeit eingeräumt wurde, sei etwa die Finanzkrise: Am 14. November 2008 berichteten alle Zeitungen über sie, jedoch in sehr unterschiedlicher Weise. Insgesamt sei offensichtlich nur wenig selbst recherchiert worden, aber mittels Kommentaren und Analysen erfolgte eine Einordnung. „Hier wird eine beachtliche Eigenleistung erbracht“, lobte Grittmann. Viel Mühe gebe man sich auch mit der Herstellung regionaler Bezüge bei überregionalen Themen.

Ade, journalistische Sorgfalt

Schlechter schnitten Qualitätsaspekte ab. Sie wurden anhand der Kriterien Professionalität des journalistischen Arbeitens, Relevanz der behandelten Themen sowie verständliche Vermittlung überprüft. Das Resultat: Zeit- und rechercheaufwändige Darstellungsformen wie Reportagen, Features, Porträts und vor allem Interviews waren sehr selten, in den Zeitungen überwiegen mit 70 bis 80 Prozent Meldungen und Berichte. Ebenfalls allenfalls mittelmäßige Noten gab es für die journalistische Sorgfalt: Quellenangaben fehlten bei 20 Prozent der Beiträge, über 46 Prozent waren als Agenturmeldungen, immerhin 30 Prozent als Eigenbeiträge gekennzeichnet. Oft handele es sich dabei aber um verarbeitete Agenturmeldungen, relativierte Grittmann. Auch bei den berühmten W´s hapere es, neben dem „wann“ kamen insbesondere das „wie“ und das „warum“ oft zu kurz – eben jene Fragen, die den Hintergrund einer Geschichte ausleuchten. So bescheinigt die Forscherin den Zeitungen nur geringe analytische Tiefe. 74 Prozent der untersuchten Beiträge hätten keine Hintergrundinformationen enthalten!

„Unabhängiger Journalismus heißt, die Vielfalt der Medien zu erhalten und nicht nur Einheitsbrei für Leser, Nutzer und Zuschauer anzubieten, um Geld zu sparen“
Renate Gensch

Die Wissenschaft musste für Norddeutschland also belegen, was man in der dju befürchtet hatte, bedauerte Moderatorin Ulrike Maercks-Franzen im Anschluss. Sie leitete damit zu Robert Haberer, Betriebsratsvorsitzender der Ostsee-Zeitung, über, der leidenschaftlich appellierte: „Lassen wir nicht zu, dass Mecklenburg-Vorpommern zur Medienwüste wird! Lassen wir nicht zu, dass Deutschland zur Medienwüste wird!“ Er stellte die Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen – Qualität und Vielfalt sichern“ vor, die zum Widerstand gegen die negativen Entwicklungen der Zeitungslandschaft in Mecklenburg-Vorpommern aufruft.
Die Bedingungen, unter denen die dort noch vorhandenen Blätter entstehen, sind mehr als bitter: Vollredaktionen gebe es in Schwerin, Rostock oder Neubrandenburg nicht mehr. Stattdessen werde kooperiert, zugekauft, ausgegliedert und verlagert, dass die Schwarte kracht – mal auf dem sanften Weg des Vorruhestandes, immer öfter in der Brutal-Version Kündigung. Die Tarife und die Honorare der Freien seien unter Beschuss. Fatalerweise sehe man den Zeitungen ihre Entstehungsbedingungen zunehmend an. Über Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen hinaus sind mittlerweile daher die Leser ebenso von der Krise betroffen. Springer, Madsack und Konsorten interpretieren Pressefreiheit als die Freiheit der Verleger zu beliebiger Steigerung der Rendite auf Kosten der Qualität, so Haberer.
Man habe in Mecklenburg-Vorpommern eine breite öffentliche Diskussion über die Bedeutung der Tageszeitungen für die Gesellschaft angefangen zu führen. Ein erster Schritt sei die Einrichtung der Internetseite www.qualität-und-vielfalt-sichern.de gewesen. Sie informiert über die Entwicklungen in den Print-Medien Mecklenburg-Vorpommerns und offenbart, wo gerade wieder mal der Rotstift angesetzt wird.

Aktionen machen Missstände öffentlich

Für Öffentlichkeit sorgten die Initiatoren im Januar 2008 mit einer landesweiten Plakatkampagne und vielen Aktionen. Das Forum Lokaljournalismus der Bundeszentrale für politische Bildung in Schwerin etwa wurde von einer Mahnwache für die regionalen Zeitungen begleitet. Mehr als 3.500 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern für den Erhalt ihrer Heimatzeitungen ließen sich gewinnen, so Haberer.
Parallel wurden Abgeordnete der demokratischen Parteien im Landtag, in den Kreistagen und Stadtvertretungen angesprochen. So sei es gelungen, die Debatte in die Politik zu tragen: Anfang Juli 2008 war die Situation der Tageszeitungen Gegenstand einer Aktuellen Stunde im Schweriner Landtag, es folgten öffentliche Anhörungen im Innenausschuss des Parlaments.
Von den Berichten der Praktiker und Wissenschaftler beeindruckt, habe das Parlament beschlossen, einen künftigen jährlichen Bericht zur Medienlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns zu beauftragen. Die Presse sei wieder selbst Gegenstand einer öffentlichen und politischen Diskussion. Das sei bei den Auseinandersetzungen in den Betrieben hilfreich, so Haberer. Schließlich empfinden die Konzerne es als Zumutung, wenn das Schweigen gebrochen wird. Die Maske des anständigen Verlegers falle, der Radikal-Sanierer komme zum Vorschein. Auf einmal werde offensichtlich, was Outsourcing, Entlassungen und andere „Folterwerkzeuge“ anrichten.
Die Initiative zeitige erste Erfolge: Beim Tarifabschluss mit der Ostsee-Zeitung sei es gelungen, soziale Fragen bei der Bildung der Mantel-Redaktion mit den Lübecker Nachrichten zu regeln. Außerdem konnten Mitwirkungsrechte der Journalisten festgeschrieben werden – ein Thema, das über lange Zeit absolutes Tabu war.
Redaktionelle Mitwirkung könne nur erreicht werden, wenn ihre Träger sie einfordern. Der schwierige Prozess, bisher nur gemurmelte Kritik zu bündeln und gegenüber der Führungsmannschaft auszusprechen, müsse nun beginnen, so Haberer. Wichtiger Ansatzpunkt sei ein überarbeitetes Landespressegesetz: Der jährliche Bericht zur Lage der Medien sollte gesetzlich verankert werden, ebenso eine Verpflichtung der Verlage, ihre Besitz- und Beteiligungsverhältnisse offenzulegen. „Vor allem aber müssen Journalisten unzweifelhaft als Träger der Pressefreiheit benannt werden und verbindliche Mitspracherechte in Form von Redaktionsstatuten erhalten“.
Der Druck dürfe nicht nachlassen, mahnte der Journalist, er müsse im Gegenteil noch zunehmen! Man setze Plakataktionen und Unterschriftensammlung fort, entwickele neue Formen – etwa Video-Spots, die auch bei YouTube um Aufmerksamkeit werben. Ein gut besuchter, regelmäßiger „medienpolitischer Stammtisch“ soll das wach halten. Die Initiative sei Beleg für die These: „Ja, es geht was. Wir müssen den Konflikt wagen, oder am Ende ist wirklich alles verloren! Fangen wir also einfach an. Auch wenn es schwierig ist“.
Mit viel Interesse, besonders bei den freien Kolleginnen und Kollegen, wurde der Bericht von Rüdiger Lühr, über die (fast) undendliche Geschichte der Verhandlungen über die Vergütungsregelungen aufgenommen. (M S.13)

„Demokratie braucht gut informierte Bürger. Ohne seriösen Journalismus bleiben am Ende nur Tratsch und Stammtischgeschwätz im Internet“
Christoph Papenheim

Nur noch in der Defensive? fragte Siegfried Heim als neuer Tarifsekretär für den Medienbereich. Im kurzen historischen Abriss schärfte er den Blick für die aktuellen Entwicklungen der Tarifsituation. Schon 1970 ähnelten Diskussionen in der alten Bundesrepublik den heutigen: zu wenig Leute in den Redaktionen, keine Zeit zum Recherchieren. Journalismus, so argumentierten Verleger damals, sei ein „freier Begabungsberuf“, der sich nicht mit einem festen Arbeitszeitkonzept vertrage. Streiks in den 1980er Jahren und großes gewerkschaftliches Engagement führten dennoch zum Einstieg in die 40-Stunden-Woche. Die später von der IG Medien initiierte 35-Stunden-Woche wurde in der Tarifrunde 1995 mit dem Argument gekippt, die Verkürzung schade dem Standort Deutschland.
Nach einem Jahrzehnt unterdurchschnittlicher Lohnerhöhung schob sich das Gehalt – davor „kein großes Mobilisierungsthema, weil zumindest in den höheren Berufsjahren gut verdient wurde“ – verstärkt ins Blickfeld. Die letzten beiden Berufsjahresstufen wurden geopfert und „Besitzstandswahrung“ vereinbart. Mit grassierender Leiharbeit und Ausgliederung von Redaktionen spitzte sich die Situation weiter zu. „Arbeitgeber verlangten immer weitere Senkungen.“
Auch Urlaub und Sonntagsarbeit blieben nicht unangetastet. Seit 1980 gab es keine Erhöhung des Sonntagszuschlages, die Mitte der 90er Jahre für den Erhalt der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall abgesenkte Jahresleistung wurde 2006 noch mal im Urlaubsgeld reduziert. 2004 wurden zwei Urlaubstage gestrichen.
Immer wieder legen Arbeitgeber eine Latte neuer Forderungen auf: Arbeitszeitverlängerung, Gehaltstarif II nach dem „Rheinpfalz“ Modell für Berufseinsteiger, Halbierung des Arbeitgeberzuschusses zur Presseversorgung, weitere Absenkung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Und immer wieder waren Journalisten zum Ausstand zu bewegen. Doch im vergangenen Jahr gelang die Mobilisierung für mehr Gehalt fast nur in Baden-Württemberg.

Gatekeeper oder reiner Kostenfaktor

Die größten Umbrüche aber sind in den Redaktionen selbst zu verzeichnen – von der Einführung erster Computer im Zeitungssatz 1975, die Korrektoren überflüssig machten, über PC in den Redaktionen, die den Umbruch auf den Schreibtisch der Redakteure holten bis zu Newsdesk und Newsroom, die ab 2005 zu rationalisierten Arbeitsweisen führten. User generated content über Leserreporter drängt seit etwa zwei Jahren in journalistische Bereiche vor.
„Journalisten“, so folgerte Heim, „verlieren damit Funktion eines Gatekeepers, der die Informationen auswählt und aufbereitet. Wenn die Redaktion vorrangig als Kostenfaktor betrachtet wird, müssen wir uns fragen, wie wir damit umgehen.“ Verlegerforderungen nach weiteren Reduzierungen muss Einhalt geboten werden. „Keine Angst vor Streiks,“ appellierte Heim, „und keine Angst davor, sich gewerkschaftlich zu organisieren.“ Glaubwürdiger Journalismus verlange Recherche und Haltung. Der Pressekodex sei dabei wichtiges Element. „Journalismus wird nur dann gut bezahlt werden, wenn er einen Nutzwert für die Demokratie hat.“

„Kritische Journalisten und die Sonne haben gemeinsam: Sie sind der natürliche Feind der Dunkelmänner.“
Manfred Protze

„Und nun?“, fragte am Ende der dju-Vorsitzende Ulrich Janßen. Viele Journalisten machten die Erfahrung, dass ihre Arbeit immer weniger geschätzt wird. Umso wichtiger sei es, dass sie sich selbst dieses Wertes bewusst werden und ihr Selbstbewusstsein stärken. Die Arbeitgeberseite leide an mangelndem Selbstbewusstsein nicht. Deren politischer Rückenwind werde umso größer, je mehr Angst und Verzagtheit bei den Journalisten um sich greifen: „Unsere Aufgabe wird es sein, die Debatte am Kochen zu halten, auch unter schwarz-gelb. Ob wir kollektiv handeln können, hängt in erster Linie davon ab, ob wir handeln wollen.“

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