Hauptsache Skandale und Schicksale

Eher gelangt ein Kamel durchs Nadelöhr als ein gewerkschaftliches Argument in die Zeitung

Mein Job als Öffentlichkeitsarbeiterin beim DGB wird nie langweilig: Ob Arbeitslosigkeit, ALG II oder Privatisierung der staatlichen Krankenhäuser – jeder Tag wartet mit einer Fülle von Themen auf, die es zu kommentieren gilt. Und das Schöne ist: In einer Medien- und Großstadt gibt es viele Journalisten, die man informieren und überzeugen kann. Besser: könnte, wenn sie es nur zuließen.

Während die Handelskammern und Arbeitgeberverbände ein Veröffentlichungs-Abo zu haben scheinen, kommen Gewerkschaften eher am Rande und oft verzerrt vor. Medien wollen Schicksale, Skandale und Statistik, aber ungern tiefer blicken.

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Meine Lieblingszeitung ist die Bild. Da kommen Anfragen wie: „Können Sie mir nicht mal einen Arbeitslosen vermitteln, der erzählt, wie schwierig es ist, mit der Arbeitslosenhilfe über die Runden zukommen? Am besten jemand, der sich auch mit seiner Familie ablichten lässt?“ Übersetzt heißt das: Ham‘ Se mal ’nen armen Schlucker für mich, der sich mit seiner verwahrlosten Kinderschar vor einer abgewetzten Couchgarnitur knipsen lässt, um das Elend so richtig ausweiden zu können? Höflich nenne ich die Kontakt-Adressen der Arbeitsloseninitiativen in den Gewerkschaften und biete einen Hintergrundbericht an. – „Hm, ah ja, einen Text über die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose…, können Sie ja mal ‚rübermailen. Und, haben Sie nun jemanden?“

Skandale

Dafür bietet sich der 1. Mai an. „Rechnen Sie mit Ausschreitungen“ fragte ein Polizeireporter. „Die Linksradikalen haben ja schon angekündigt, dass sie sich in den Demozug des DGB mischen wollen.“ Am Tag nach dem 1. Mai, der vollkommen friedlich verlief, hieß es dann in der Springer-Zeitung: „Rund 200 Autonome bildeten einen Block … Zwischenfälle blieben aus.“ „Leider“, hätte der Schreiber womöglich gern eingefügt

Zuhör-Garantie gibt’s nur bei Extrem- Nachrichten: „Wenn Sie mir nicht mitteilen wollen, dass Ihr Vorsitzender gerade zurückgetreten ist, habe ich kein Ohr für Sie“, schmetterte der örtliche Leiter einer Presseagentur in den Hörer. Ich hatte ihn angerufen, um zu erfahren, ob er zu unserem Hintergrundgespräch ALG II kommen werde. Offenbar ein unzumutbares Anliegen. Wir hatten zu diesem Termin mit einem Experten aus dem Bundesvorstand rund 30 Journalisten in ein Restaurant eingeladen. Neun meldeten sich an, vier kamen.

Schweigen

In diesem Jahr fand sich in keinem Lokalteil der Springerpresse am Tag vor dem 1. Mai auch nur eine Silbe über die Bedeutung des Feiertages oder gar Ankündigungen auf die DGB-Kundgebungen. Dafür ausführliche Hinweise auf Straßenfeste. Selbst der öffentlich-rechtliche Lokalsender meinte auf einen Bericht über den 1. Mai verzichten zu können. Begründung: „Das ist ja ein Feiertag, da haben wir keine Sendung, und einen Tag später bringt es nichts mehr.“ (Schon ein paar Jahrzehnte lang ist der 1. Mai bekanntlich ein Feiertag, was diesen Sender bisher dennoch nicht an einer Berichterstattung tags drauf gehindert hatte.)

Statistiken

Ob Kundgebungen, Demos oder Veranstaltungen – interessanter als Anlass und Thema der Aktionen sind die Teilnehmerzahlen. „Wie viele Leute erwarten Sie?“ ist die Standard-Frage, die nur dazu dient, die Zahl mit dem tatsächlichen Ergebnis abzugleichen und bei geringeren Teilnehmerzahlen festzustellen: Ha, da waren die Gewerkschaften mal wieder größenwahnsinnig. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie ihre Leute nicht mobilisieren können.

Ebenfalls ein heißes Thema: die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften. Zwar interessiert sich der Journalist nicht dafür, warum es Gewerkschaften gibt. Eins will er aber unbedingt wissen: Wie viel weniger Mitglieder es im Jahr x verglichen mit dem Jahr y gibt. Das allein reicht doch schon als „Beleg“ dafür, dass es total out ist, sich in so einem „Verein“ zu organisieren.

Verzerren

Das Thema des Journalisten: die Ausbildungsabgabe. – „Umlage“, erwidere ich, „es ist keine Steuer, sondern Geld, das gerecht umverteilt wird.“ „Ach ja, so, so. Sagen Sie mal, hat der DGB genügend Ausbildungsplätze?“, kam es lauernd. Tja, wir erfüllen unsere Quote. Das war enttäuschend für den Redakteur. Aber er schaffte doch die Verzerrung, in dem er absurde Gesichtspunkte gegen die Umlage zusammentrug: Zu was sollen zum Beispiel Sexclubs Nachwuchs ausbilden? – Als Tabledancer? Übergangslos schloss der Schreiber an: Trotzdem ist der DGB-Chef xy für diese Abgabe. Alles klar.

Peppiger?

Wir leben schnell, lieben fun, brauchen action. Also: Gib Zucker. Klasse Motive, spaßige Aktionen, am besten Schlagworte mit Tabu brechenden Zitaten von Gewerkschaftspromis.

Es ist ja nicht so, dass wir beratungsresistent wären. PR-Fachleute haben uns erklärt, wie man mit geringem finanziellem Aufwand Aufmerksamkeit erzielt: Weg von stereotypen Transparenten, Trillerpfeifen oder langweiligen Podiumsdiskussionen. Das nicht Gesagte soll neugierig machen: Einfach einen Haufen Broschüren in die Fußgängerzone kippen, kein DGB-Logo, keine Infotische, keinen Gewerkschafts-Funktionär in der Nähe, der den Leuten womöglich etwas erklären will. Die Szenerie für sich wirken lassen, mache neugierig, so der PR-Experte.

Mal ehrlich: Mangelt es uns wirklich an Ideen für eine peppigere Öffentlichkeitsarbeit? Oder stehen wir nicht einfach einer neoliberal geprägten Medienlandschaft gegenüber, die gewerkschaftliche Themen eben nur verzerrt oder gar nicht vorkommen lassen will? Oder haben wir nicht nur ein Vermittlungsproblem, sondern ein inhaltliches? Ich bin überzeugt: Eine gute Öffentlichkeitsarbeit fängt mit der richtigen Analyse an. Aber das Ergebnis will dann wahrscheinlich schon gar keine Zeitung mehr drucken.

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