Nach 14 Jahren Journalistenbüro wieder „solo“ – ein Erfahrungsbericht
Gestern nachmittag war es so, wie es nicht sein soll. Meine Tochter stürmte nach einem langen Tag in Schule und Hort in mein Arbeitszimmer. „Papa, Papa“, rief sie, um kurz darauf abrupt zu verstummen: Am Schreibtisch hing ihr Vater am Telefon und scheuchte sie gestikulierend aus dem Raum. Wichtige Recherche – oder gar Verkaufsgespräche haben Vorrang, das hat die Zehnjährige gelernt, aber auch schnell wieder vergessen, wenn es etwas Tolles zu erzählen gibt. Die freundliche Begrüßung hat Papa wenige Minuten später nachgeholt, aber richtig wohl war mir dabei nicht.
Um mich aufzumuntern, dachte ich an die (gar nicht so seltenen) Tage zurück, an denen ich in meinem Büro in der Innenstadt in letzter Minute den Computer ausschaltete. So schnell wie möglich durch den Berufsverkehr gehetzt, die Kleine stand schon am Eingang. „Kein Problem“ signalisierten die Erzieherinnen, doch der Kinderblick sprach eine andere Sprache: „Papa, warum kommst du so spät?“ Wie entspannend ist im Vergleich zu solchem Abholstress der Empfang vom Heim-Schreibtisch aus! Denn eigentlich klingelt das Arbeits-Telefon nur selten im absolut falschen Moment.
Veränderte Rahmenbedingungen
14 Jahre lang habe ich außer-halb meiner Privatwohnung geschrieben, organisiert, telefoniert, gelesen und diskutiert. Vor einem Jahr habe ich meinen Arbeitsplatz im Journalistenbüro gekündigt und einige Monate später meinen Schreibtisch nach Hause verlegt. Das Argument, „Kind und Karriere“ auch als Mann besser vereinbaren zu können, spielte eine Rolle, war aber nicht das wichtigste. Bedeutsamer war, dass sich für mich die Idee einer engen Kooperation zwischen freien Einzelkämpfern überlebt hatte. Ich glaube, dass sich die beruflichen Rahmenbedingungen für selbstständige Journalisten in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten stark verändert haben.
1985, als wir die ersten Vorgespräche über die Bildung einer Bürogemeinschaft führten, gab es eine Art „Bewegung“ unter freien Kollegen, im (selbst geschaffenen) Team zu arbeiten. Die ersten Journalistenbüros hatten sich wenige Jahre zuvor zusammengetan und in den Medienzentren der Republik schossen die Neugründungen wie Pilze aus dem Boden. Die Vorteile lagen auf der Hand: gute Infrastruktur durch die gemeinsame Anschaffung technischer Geräte, regelmäßiger Austausch unter Kollegen, Profitieren von den Kontakten anderer, Ausstrahlen von Seriösität und Leistungsfähigkeit nach außen. Der Abschied von der vielgeschmähten „Heimarbeit“ gab der eigenen Lebensplanung, der Entscheidung für die Freiberuflichkeit aus Überzeugung die letzten Weihen: Jetzt bin ich endgültig Profi und alles andere als ein verkappter Arbeitsloser.
Verhältnis Einnahmen – Ausgaben
Auch ich habe in Berichten und Interviews, auf Tagungen und Seminaren das hohe Lied auf die neue Arbeitsform gesungen – als den optimalen Kompromiss zwischen den Zwängen einer Festanstellung und der Vereinzelung als so genannter „Freier“. Und viele Redakteure gaben zu Protokoll, dass sie gerne mit Journalistenbüros kooperierten. Umfragen bestätigen den Mitgliedern solcher Teams, im Schnitt erheblich besser zu verdienen als Einzelkämpfer. Sie belegten aber auch, dass die Kosten für einen Schreibtisch außer Haus erst einmal erwirtschaftet werden müssen: Die Mieten in den City-Lagen sind hoch, die Ansprüche an die technische Ausstattung ebenfalls.
Nur wenige Pioniere hielten, getreu der Maxime der alternativen Ökonomie, am (später abgeschwächten) Modell des Einheitslohns fest. Die meisten Journalistenbüros verfuhren schon früh nach dem (heute üblichen) Grundsatz: getrennte Einnahmen, geteilte Ausgaben. Letztere waren gerade in der Anfangsphase nicht niedrig – und im Kollektiv besser zu finanzieren. Das erste Fax, das sich unser Büro leistete, erstanden wir bei einem Billig-Anbieter für deutlich über tausend Mark. Eine gebrauchte Bandmaschine, bei einem Radiosender ausrangiert, schlug mit der doppelten Summe zu Buche. Es war die Zeit der Umstellung von elektrischen Schreibmaschinen auf Rechner mit Festplatten von 20 Megabyte. Ein guter Drucker kostet knapp 2000 Mark, am Computer hergestelltes Briefpapier sah auch aus wie selbst gemacht. Der Kauf eines Qualitätskopierers war für Berufseinsteiger unbezahlbar, Telefonanlagen mussten für viel Geld beim Monopolisten Telekom gemietet werden. Auch Anrufbeantworter waren teuer und störanfällig, von den horrenden Gebühren gerade für Ferngespräche ganz zu schweigen. Kurzum: Sich zusammen zu tun, war so etwas wie eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit.
Technische Entwicklung
Fünfzehn Jahre später herrschen im Vergleich dazu technisch wie ökonomisch paradiesische Zustände. Nicht nur die Ausgaben für Telekommunikation sind drastisch gesunken. Aldi verscherbelt hochleistungsfähige PCs zu Dumping-Preisen; Farbdrucker kosten ein Bruchteil dessen, was einst für die simpelste Nadel-Version verlangt wurde. Normalpapierfaxe mit eingebauter Kopierfunktion, ISDN-Anlagen, Internetanschlüsse;
digitale Kameras, Aufnahmegeräte und Schnittplätze: All das ist heute, wenn benötigt und erwünscht, auch für einzelne Freiberufler erschwinglich. Das Wort „Personal Computer“ hat den Trend früh angedeutet: Jeder kann die Qualität seiner Ausstattung selbst steuern. Die Nutzung des technischen Handwerkszeugs im freien Journalismus hat sich individualisiert, sie bedarf keiner Gemeinschaften mehr.
Für ein Büroteam sprechen weiterhin soziale Vorteile. Nicht jeder taugt zum zeitweisen Einsiedler. Gerade für Männer ist es immer noch weitgehend selbstverständlich, außer Haus zu arbeiten, ganz im Sinne des Bonmots von Kurt Tucholsky: „Man muss morgens hingehen können.“ Doch genau das habe ich irgendwann nicht mehr als Erleichterung, sondern als Belastung empfunden. Wenn ich spät abends von einer anstrengenden Vortrags- oder Recherchereise nach Hause kam, wollte ich am nächsten Morgen nicht gleich ins Büro sprinten, nur um Zeitung zu lesen oder die Post zu sichten. Der einst ausrangierte Heim-Schreibtisch gewann in dem Maße wieder an Bedeutung, wie sich mein berufliches Koordinatensystem veränderte. Wo sich Arbeit und Freizeit ohnehin vermischen, ist es einfach angenehm, wenn sich sämtliche Informationen an einem Ort bündeln. Inzwischen kommt es sogar vor, dass ich noch vor dem Frühstück an den Rechner springe – etwa, um einen wichtigen Gedanken gleich festzuhalten. Früher
wäre das eine absolute Horrorvorstellung gewesen, ein Abgrund des „Bettkantenjournalismus“: Der lange Schatten der Arbeit sollte nicht auf mein geschütztes Privatleben fallen; umgekehrt war die nüchterne Bürowelt ein Fluchtpunkt vor den Ansprüchen eines schreienden Säuglings. Inzwischen nehme ich gar keinen Schatten mehr wahr.
Zwischen Kontakten und Isolation
Ein zu idyllisch gezeichnetes Bild? Es gibt Tage, da verlass ich meine Wohnung nur, um das reichlich anfallende Altpapier zum Container zu bringen. Das stört mich, wenn es länger so geht. Arbeitsessen mit Kollegen, das Treffen mit Interviewpartnern oder die Kontaktpflege auf Tagungen, überhaupt der Aufbau beruflicher Netzwerke bekommen zusätzliches Gewicht. Der Gang in Bibliotheken oder Archive dient nicht nur der Recherche oder der Lektüre von (nicht mehr abonnierten) Zeitungen, sondern ist auch eine willkommene Abwechslung, ein Ausflug, der Zugehörigkeit und Kommunikation simuliert. So groß ist der Kontrast zu alten Zeiten dabei gar nicht. Denn auch meine Bürogemeinschaft erscheint mir zuletzt wie eine Art „virtuelles Team“: Tatsächliche Kooerpation fand selten statt, die Spielregeln der Gründerzeit waren zum Ritual erstarrt. Als Autor mit Spezialgebieten brauchte ich weniger den fachlichen Austausch unter Journalisten als den mit Fachleuten anderer Disziplinen.
Mitte der achtziger Jahre habe ich schon einmal für kurze Zeit zu Hause gearbeitet. Es war ganz anders als heute. Ich hatte in der Redaktion gekündigt und baute mir eine (noch unsichere) Existenz als Freiberufler auf. Schon damals kooperierte ich mit Kollegen, machte Text-Bild-Geschichten mit Fotografen, produzierte im (Provinz)-Funkhaus. Aber vor allem war ich einsam. Es ist ganz anders, zu Hause zu arbeiten, wenn man nicht alleine lebt. Im Laufe des Nachmittags füllt sich, nach einer langen Phase der Stille und Konzentration, unsere Wohnung mit meinen Lieben und gelegentlich mit Nachbarskindern. Das ist trotz gelegentlicher Reibungsverluste keine Störung, sondern eine Bereicherung. Es reißt mich aus der Isolation des selbst gewählten Eremiten-Daseins. Und es stärkt, viel stärker als früher, meine Souveränität gegenüber der beruflichen Außenwelt.
Manchmal komme ich nach einem Termin wieder nach Hause an und eine „0“ blinkt auf dem Display des Anrufbeantworters. Früher hätte ich das als schlechte Nachricht, als Symptom meiner Entbehrlichkeit interpretiert. Jetzt merke ich manchmal, dass ich mich geradezu freue. Heute verlangt niemand nach mir! No news are good news.
- Thomas Gesterkamp gründete 1986 mit vier KollegInnen ein Journalistenbüro. Zu Beginn dieses Jahres wechselte er an den heimischen Schreibtisch. Er ist Co-Autor des Rowohlt-Buches „Hauptsache Arbeit? Männer zwischen Beruf und Familie“ und promoviert zur Zeit über „Männliche Lebensstile in der Informationsgesellschaft“.