Herrn Milosevics Ohr

Die Medien und der Krieg

Schon Wochen dauern die Bombardements der NATO an. Was als Zweck des Luftkriegs angegeben wurde, nämlich das Leid der Menschen im Kosovo zu mildern, ist nicht erreicht worden. Für die Kritiker des Krieges ist es dadurch noch verstärkt worden. Die NATO ist bislang den Beweis schuldig geblieben, daß sie die im Kosovo operierenden Polizeieinheiten oder paramilitärischen Truppen tatsächlich bekämpft. Das taktische Ziel der Bombenangriffe war angeblich, die eigentliche Ursache des Vertreibungselends zu beseitigen. Wenn Tabakfabriken angegriffen werden, wenn ein Wasserwerk bombardiert wird, wie soll das aber das Flüchtlingselend eindämmen?

Welche Rolle spielen die Medien in diesem Krieg? Vor allem ist er ein Quotenhit. ARD-Brennpunkte und ZDF-Spezial-Sendungen erzielen sensationelle Einschaltquoten. Verzweifelte Gesichter, weinende Frauen, schreiende Kinder- die Flüchtlingsbilder sind omnipräsent. Es sind Bilder, die emotionalisieren. Allzuoft werden Aussagen von Flüchtlingen wie Tatsachen behandelt. Müssen sich Journalistinnen und Journalisten daran erinnern lassen, daß es im journalistischen Handwerk Grundprinzipien gibt, zum Beispiel daß jede Information mindestens zwei unterschiedliche Quellen haben muß?

Haben die Medien aus dem Golfkrieg gelernt? Damals hat sich vieles, was während der sogenannten Operation Wüstensturm gemeldet wurde, hinterher als schaler Desinformationsbrei entpuppt. Die USA haben de facto die Pressefreiheit außer Kraft gesetzt. Sicher, seit eh und je versuchten Kriegsparteien, Medien vor ihren Karren zu spannen. Das war schon bei den politischen Liedermachern des Mittelalters so, über die Propagandakompagnien bis hin zu den Falschmeldungen im Vietnamkrieg. Auf die Spitze getrieben wurde die Desinformation im Golfkrieg.

„Wir müssen nicht nur zugeben, daß wir als Propagandainstrument mißbraucht wurden, sondern auch, daß wir uns haben mißbrauchen lassen. Wir wußten, daß wir nur einen weitgehend zensierten Ausschnitt aus der Realität zeigen konnten und taten es trotzdem“, sagte Klaus Bresser vom ZDF über das sechswöchige Medienereignis Golfkrieg. Jetzt lassen sich Medien wieder instrumentalisieren, die einen von der NATO, die anderen von Slobodan Milosevic.

Es gibt einen Unterschied in der Berichterstattung zwischen bildorientieren Medien und Hörfunk und Printmedien. Etliche Blätter und einige Hintergrundsendungen im Radio bemühen sich um Differenzierung.

Insbesondere aber die Boulevardpresse erliegt einem simplen Freund-Feind-Schema. Dort werden „die“ Serben zu einer Schlächternation erklärt, deren beispiellose Brutalität ihnen schon seit Jahrhunderten angezüchtet worden sei. Albaner im Kosovo dagegen werden als Lämmer dargestellt. 1994 boomte das Thema der sogenannten Albaner-Banden in den gleichen Medien, aber auch im öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Fernsehen. Beginnend mit einem Schwenk über die rauhe Bergwelt im Land der Skipetaren, wo noch die Blutrache herrsche und ein Menschenleben wenig wert sei, berichteten Fernsehmagazine über die „beispiellose Brutalität der Albaner“. Damals sollten angeblich deutsche Städte von mordlüsternen Albanern unsicher gemacht worden sein. Es scheint sich um einen Fall einer rasanten Mutation zu handeln.

„Haben Sie schon mal so ein Ohr gesehen?“ fragte die BZ ihre Leserinnen und Leser und präsentierte das Ohr des Feindes. An den Ohren eines Menschen könne man nach asiatischer Meinung seinen Charakter erkennen. Was also „verrät dieses Ohr über Milosevic“? Damit eröffnete die BZ eine Serie von Psychogrammen Slobodan Milosevics, wie sie dann vor allem drei Wochen nach Beginn des Krieges etliche Medien beschäftigten. Man darf gespannt sein, wann ein Blatt auf die Idee kommt, das Auge des Feindes abzubilden und mittels Iris-Ferndiagnostik seiner schwarzen Seele auf den Grund zu schauen. Oder vielleicht schlägt demnächst auch die Stunde einer Handleserin?

Es gab auch Fragen, die kaum gestellt wurden. Fragen wie die, wo eigentlich die Völkergemeinschaft blieb, als Serben aus der Kraijina vertrieben wurden. Wo waren die Fürsprecher der Menschenrechte? Und wo die Medienberichte? Und wieso greift niemand ein, wenn im NATO-Land Türkei Kurden malträtiert werden? „Die einen sitzen im feudalen Schloß Rambouillet mit am Verhandlungstisch und lassen das atlantische Bündnis für sich kämpfen, die anderen kriegen bei jeder ungenehmigten Demonstration in Europa Probleme mit der Polizei und müssen ohnmächtig mit ansehen, wie ihr Führer im Kerker auf seinen Prozeß wartet“, schrieb Wolfgang Koydl in der „Süddeutschen Zeitung“ über die ungleiche Behandlung von Kurden und Kosovaren durch die Völkergemeinschaft. Wem nützt dieser Krieg? Auch das ist eine Frage, die Journalisten stellen müssen, um den Menschen eine Einordnung zu ermöglichen. Den Menschen im Kosovo offenbar nicht.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »