Wer Dokumentarfilme macht, muss nicht nur ein gutes Gespür für Geschichten haben, sondern auch einen langen Atem. Denn egal ob man für Fernsehsender oder für die große Kinoleinwand produziert: Das Geschäft ist anspruchsvoll. M sprach mit dem Dokumentarfilmregisseur Florian Opitz über Arbeitsbedingungen, Gesellschaftskritik und darüber wie er Themen für seine Filme findet. Für sein Kinodebüt „Der Große Ausverkauf“ wurde Opitz 2009 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Momentan läuft „Capital B“ auf arte, seine Dokumentarfilmserie über die Berliner Wohnungsbaupolitik.
M | Sie arbeiten seit inzwischen fast 25 Jahren als Dokumentarfilmer. Wie hat sich die Branche seitdem entwickelt?
Florian Opitz | Zu Beginn meiner Karriere habe ich Produktionen vor allem als Mitarbeiter im Sender gemacht. Das heißt, mit Teams aus dem Sender und der Bearbeitung vor Ort. Das ist natürlich eine andere Arbeit gewesen als heute, wo bei größeren Produktionen das meiste outgesourct wird. Das bringt den Vorteil, dass Du Dir manchmal die Leute aussuchen kannst, mit denen du zusammenarbeitest. Insgesamt findet inzwischen die größere Kreativität außerhalb der Sender statt.
Das Outsourcing wird natürlich vor allem betrieben, um Geld zu sparen. Bei einer Produktion außerhalb des Senders erhalten wir zum Beispiel keine Wiederholungshonorare. Das heißt, der Sender kann die Produktionen beliebig oft senden, ohne dass wir über das pauschale Honorar hinaus Geld bekommen. Im Vergleich zu früher schmälert das Einkünfte von Regisseur*innen und Filmautor*innen deutlich. Ohnehin gibt es in unserer Branche keinen Inflationsausgleich. Wer Glück hat, verdient genauso viel wie vor 25 Jahren.
Ein klassischer Fall kreativer Selbstausbeutung?
Der Umgang mit der eigenen Selbstausbeutung liegt natürlich immer auch ein Stück weit in der Verantwortung des Einzelnen. Allerdings ist sie auch ein Grundpfeiler unseres Berufszweigs. Wenn man sich vor Augen führt, wie viele Stunden, Tage und teils auch Jahre man mit Projekten verbringt, die am Ende lediglich pauschal bezahlt werden, dann bleibt in der Regel ein Hungerlohn übrig.
Wo sehen Sie Ansätze in der Dokumentarfilmbranche, gegenüber Auftraggeber*innen gemeinsame Interessen kollektiv zu vertreten?
Das ist in unserer Branche schwer. Denn wir haben tatsächlich alle gelernt, als Einzelkämpfer zu agieren. Wir arbeiten längere Zeit daran, ein Projekt überhaupt erst zu entwickeln. Da sich nur sehr wenige potenzielle Abnehmer finden, sind die meisten beim Budget in der Regel sehr kompromissbereit. Am Ende geht es darum, den Film überhaupt realisieren zu können.
Das ist eine sehr schwache Verhandlungsposition.
In der Tat. Wir sind gewohnt, sehr verhalten zu arbeiten. Alle Versuche, diese Vereinzelung aufzulösen sind ehrenwert. Dafür müsste aber jede*r Dokumentarfilmer*in auch erstmal zugeben, wie stark man sich bisher hat ausbeuten lassen. Und seit einigen Jahren gibt es erste Ansätze der AG DOK, mit einer Stimme zu sprechen und in den Verhandlungen mit den Sendern auf die Durchsetzung von Honorar-Standards hinzuwirken. Standards werden allerdings regelmäßig unterlaufen. Denn Sender und Produzenten können uns immer die Pistole auf die Brust setzen und sagen: Den Film können wir ausschließlich mit dem genannten Budget realisieren.
Ihre Filme handeln von gesellschaftlichen Widersprüchen, Machtverhältnissen und dem Politischen, das in und zwischen alldem steckt. In „Speed“ (2012) haben Sie sich der gesellschaftlichen Beschleunigung und unserem Leben im Hamsterrad beschäftigt, zudem mit der Geschichte der Krupp-Villa in Essen (2013), mit Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen (2007), dem Wachstumsimperativ kapitalistischer Gesellschaften (2019) und mit der Lebenswelt von Milliardären (2019). Zuletzt haben Sie in „Capital B“ eine Geschichte Berlins seit 1989 zwischen subkultureller Widerständigkeit und stadtpolitischem Ausverkauf erzählt. Mit welchem Selbstverständnis machen Sie Ihre Filme?
Die Themen meiner Filme treiben mich meistens zunächst persönlich um. Anschließend stelle ich mir die Frage, ob ich das gerne in einem Film und für ein breiteres Publikum erzählen würde. Bei jeder Idee, bei jedem Filmprojekt muss es für mich auch etwas Neues geben. Im besten Falle weist das Erzählte über die konkrete Geschichte hinaus und thematisiert größere Fragen. Mir ist es wichtig, Filme über die unsichtbaren Strukturen unserer Gesellschaft und deren Geschichte zu machen. Auch mit dem Ziel, daraus etwas zu lernen.
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Was ist wichtig bei der Rezeption ihrer Filme?
Bei „Capital B“ habe ich durch Presseberichterstattung und persönliches Feedback den Eindruck gewonnen, dass Vielen erst über den Film klar wurde, welche Geschichte sie in ihren Kämpfen fortführen und in welchen Fußstapfen sie stehen, wenn sie heute etwa in Mieterinitiativen aktiv sind. „Capital B“ hat auf gewisse Weise die mit politischen Skandalen und subkulturellen Entwicklungen volle Zeit nach 1989 zum ersten Mal zusammenhängend historisiert. Ich hoffe, die Serie motiviert die Menschen, sich auch weiterhin zu wehren, wenn zum Beispiel die Stadtautobahn durch Berlin gebaggert oder freie Flächen zubetoniert werden sollen.
Wie prägt ihr politisches Selbstverständnis die Produktion ihrer Filme?
Ich wünsche mir, dass wir in dem Maße, wie wir das können, die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten gut bezahlen und gut behandeln. Dass wir keine Praktikant*innen ausbeuten, wir sie nicht umsonst arbeiten lassen, wie es oft im Filmbusiness der Fall ist. Das Ganze findet natürlich in dem bereits erwähnten Rahmen der eigenen Selbstausbeutung statt.
Sehen Sie KI-Technologien als Bedrohung für ihre Branche?
KI wird die Wirtschaft und die Arbeitswelt insgesamt stark verändern, das ist klar. Ich selbst bin bei den letzten Produktionen damit in Kontakt gekommen, weil die Transkripte für unsere Interviews von KI hergestellt wurden. Das händische Abtippen der riesigen Mengen Interviewmaterial in einer Produktion würde nicht nur viel zu lange dauern, sondern wäre bei unseren geringen Produktionsbudgets auch gar nicht zu finanzieren. Eine Gefahr, dass Dokumentarfilme über KI wie von selbst erzählt werden, sehe ich aber nicht. Dazu ist ihre Dramaturgie in der Regel zu komplex. Die Arbeitsschritte in der Regie und beim Drehen sind insgesamt viel zu wenig standardisiert, um sie von KI-Technologien komplett ausführen zu lassen. Aber mal sehen, vielleicht werde ich da auch eines Besseren belehrt.
Was würde herauskommen, wenn ich bei einem KI-basierten Generator eingebe: Produzieren Sie einen Film im Stil von Florian Opitz?
Da wäre ich sehr gespannt, was da rauskommt. Es ist wahrscheinlich schwierig für die KI, für meine Filme einen gemeinsamen Stil zu identifizieren, weil sie doch alle sehr verschieden sind.
Zu den Risiken von KI gehört auch die Möglichkeit von Deep Fakes. Diese können dokumentarische Authentizität suggerieren, indem sie vorgaukeln, dass zum Beispiel eine bestimmte Person des öffentlichen Lebens für einen Film interviewt worden ist.
Das wird sicherlich bald kommen oder noch mehr werden. Hier öffnet die KI verschiedene Manipulationsmöglichkeiten Tür und Tor. Da werden kaum Wünsche offengelassen.
Die Frage nach den Manipulationen stellt sich auch vor dem größeren gesellschaftspolitischen Kontext: der starken Verbreitung und Wirkmacht von Populismus, der mit Fake News arbeitet und die Welt schematisch in eine „böse Elite“ und ein „gutes Volk“ aufteilt. Hat diese Entwicklung Auswirkungen auf die Art Ihres Filmemachens?
Es geht mir gerade nicht darum, einzelne Konzerne oder Politiker herauszugreifen und sie für dieses oder jenes verantwortlich zu machen. Ich interessiere mich für gesellschaftliche Strukturen und die Narrative, denen wir als Gesellschaft folgen und die über eine unglaubliche Beharrlichkeit, Zähigkeit und Stärke verfügen. So etwa das Vertrauen in den freien Markt, das doch aller wirtschaftlichen Realität widerspricht. Oder die Idee des unendlichen Wachstums, von der wir doch wissen, dass sie unsere endliche Erde in den Ruin treiben wird.
Reizt Sie ein Film über die AfD und die dazugehörige Bewegung?
Da gibt bereits einige gute Filme. So etwa der Film „Volksvertreter“ von Andreas Wilke, der AfD-Politiker unkommentiert nach ihrem Schnabel reden lässt. Da merkt man natürlich schnell, wes Geistes Kind sie sind. Ich finde es aber immer noch viel zu wenig beleuchtet, dass die AfD eigentlich überhaupt nicht Politik für ihre eigene Wählerschaft macht, sondern unter dem nationalen Mantel eine neoliberale Politik für Reiche vertritt.
Es ist mir ein Rätsel, wie es Leuten wie Alice Weidel gelingen kann, so zu tun, als würden sie für die Menschen auf der Straße sprechen. Das hat in meinen Augen auch viel mit Medienkampagnen zu tun. In einer ähnlichen Tonalität wie bei der AfD wird gerade in der Bild-Zeitung alles weggeballert, was an gesellschaftlicher Veränderung eigentlich nötig wäre, um, wie man so schön sagt, eine enkeltaugliche Gesellschaft und Welt zu erhalten. Die konstruktive Diskussion darüber und Menschen, die für diese Veränderungen eintreten, werden verächtlich gemacht. Auch die CDU stößt inzwischen verstärkt in dieses Horn.
Ich halte es für wichtig, auch die Seite der Empfänger von Demagogie und Propaganda in den Blick zu nehmen. Da kommen wir um sozialpsychologische Ansätze nicht herum, die versuchen zu erklären, warum Menschen eine Partei wählen, die emotionale Erregung und Ressentiment, aber keine Zukunftsperspektive bietet.
Ganz einfach: Es geht um Angst. Um Angst, die auch bewusst geschürt wird. So wie wir es etwa beim Heizungsgesetz beobachten konnten. Immerzu wird eine vermeintliche Verbotspolitik angeprangert – sei es beim Thema Ernährung oder in Bezug auf angeblich vorherrschende Denkverbote.
Ist diese Form der Angst ein Thema, das Sie als Filmemacher reizt?
Tatsächlich arbeite ich gerade an einem Film, zu hartnäckigen Narrativen und den Gründen dafür, warum sich gesellschaftspolitisch kaum etwas zum Guten verändert. Wir überlegen, ob wir dies am besten in Form eines animierten Dokumentarfilms oder als Graphic Documentary erzählen sollen. In jedem Fall geht es um die Schockstarre, in der wir uns befinden: Warum haben wir diese extreme Angst vor Veränderung? Was treibt uns da an und warum denkt ein Großteil unserer Gesellschaft, dass früher alles besser war und wir ja nichts verändern sollten. So rasen wir jedenfalls sehenden Auges in eine ökologische Katastrophe.