„Es wurden heute Abend 100.00 Euro auf Ihren Kopf ausgesetzt (…) Es sind Profis auf dem Weg zu Ihnen. Sämtliche Adressen und Wege von Ihnen sind bekannt. Es soll wie ein Unfall aussehen.“ Was wie ein Drehbuchauszug eines mäßigen „Tatort“-Krimis klingt, ist Inhalt einer realen Drohung per E-Mail. Elektronische Post von der Sorte, wie sie in unregelmäßigen Abständen bei Ariane Lauenburg landet. Sie ist seit 1991 Redakteurin bei „Finanztest“, der von der angesehenen Stiftung Warentest herausgegebenen Verbraucherzeitschrift.
Absender, so vermutet sie, ist Rainer von Holst, der sich in die USA abgesetzt hat, um sich dem Zugriff der deutschen Justiz zu entziehen. Nach ihren Recherchen hat Rainer von Holst über einen längeren Zeitraum ein Abzocker-Netzwerk aufgebaut, mit dem er Tausende deutsche Anleger geschädigt hat. Die Opfer sind meist in Finanzfragen unerfahrene Menschen, die auf verführerische Angebote, die ihnen sieben Prozent Zinsen für 90 Tage oder 15 Prozent für 180 Tage einbringen sollten, hereingefallen sind. Zu den weiteren „Spezialitäten“ des Rainer von Holst gehört die Verbreitung des Onlineportals „Gerlachreport“, das auf die Erpressung von Unternehmen spezialisiert ist. Dabei gebärdet sich der Bock als Gärtner. In ihrer umfangreichen Recherche „Abzocke, Drohungen, Rufmord. Rainer von Holst und der Gerlachreport“ (test.de/vonholst) schreibt Lauenburg:
„In reißerischer Manier scheint der Gerlachreport auf den ersten Blick Verbraucher, Investoren und Anleger vor unseriösen Geldanlagen zu warnen. Die Autoren werfen häufig Firmen oder ihren Chefs Betrug, Veruntreuung oder andere Straftaten vor. Sie vermischen in ihren Texten wahre Tatsachen mit frei erfundenen Behauptungen. Wehren können sich die Firmen kaum, weil der hinter dem Gerlachreport steckende Rainer von Holst kein Impressum mit einer namentlich verantwortlichen Person und einer ladungsfähigen Anschrift angibt. Als Herausgeber wird lediglich eine amerikanische Briefkastenfirma mit Sitz in New York genannt. Von Holst bietet den Firmen einen Ausweg, die unliebsamen Berichte aus der Welt zu schaffen. Wenn sie zum Beispiel PR-Verträge abschließen und dafür Geld zahlen, werden die negativen Artikel über sie entfernt.“
Ein Mann mit vielen Namen
Rainer von Holst ist der Spiritus Rector des Firmenwelten-Imperiums. Seine Adresse gibt er mit 1014 Barclay BLVD, Princeton, NJ, 08540 USA an. Seine angegebene Bankverbindung bei der Wells Fargo passt zu Geldzahlungen, die von Holst oder eine seiner Firmen von Unternehmenschefs gefordert haben. Mal ist Rainer von Holst Jan Faber, Chefredakteur des Onlinedienstes Gerlachreport, mal Counselor Dr. Peter Klein oder Counselor Dr. Allan Klein. Gelegentlich benutzt er auch den Namen Milla Korjus, einer vorgeblich weiteren Chefredakteurin des Gerlachreports.
(aus https://www.test.de/Gerlachreport-5281599-0/)
Derweil läuft vor dem Landgericht Augsburg seit Ende Mai ein Strafprozess gegen die drei erwachsenen Kinder und einen Vertriebsleiter des Abzockers. Alle Angeklagten, die von Holst offenbar systematisch in sein betrügerisches Netzwerk integriert hat, müssen sich wegen Betrugs oder Beihilfe zum Betrug verantworten. Aktuell „dealen“ Anklage und Verteidigung um die Höhe des Strafmaßes, um den Prozess abzukürzen. Tochter Anne und Sohn Alexander sitzen bereits seit einem Jahr in Untersuchungshaft.
Alfons Paus, zuständiger ver.di-Gewerkschaftssekretär für die Stiftung Warentest, rügt den schleppenden Ablauf der Verfahren. Auf seine Initiative hat sich die dju in ver.di Berlin-Brandenburg bereits im März dieses Jahres in einer Resolution mit der Kollegin Ariane Lauenburg solidarisiert. Die gegen von Holst ermittelnden Staatsanwaltschaften in Augsburg und Bamberg müssten ihre Anstrengungen „verstärken, um sein Treiben zu beenden“, fordert Paus. „Dabei müssen sie auch die Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen das Auslieferungsabkommen zwischen Deutschland und den USA an die Hand gibt.“ Schließlich gehe es um die Verteidigung der Pressefreiheit. „Es ist in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar“, so der Gewerkschaftssekretär, „dass die Berichterstattung durch kriminelle Methoden beeinflusst oder im schlimmsten Fall sogar unterdrückt wird. Daher ist es von großer Bedeutung, diese Fälle aufzuklären und die Täter zu bestrafen“.
Nach der Publikation einer Recherche zu einer mit Rainer von Holst streitenden Firma erreichten Investigativreporterin Lauenburg die ersten Drohungen. Süffisant fragte man im „Gerlachreport“, ob sie in der Redaktion erschossen werden wolle. Oder es gebe vielleicht einen Anschlag aus dem Hinterhalt. In einer weiteren Headline heißt es, dass 100 000 Euro auf ihren Kopf ausgesetzt seien. Eine Anzeige bei der Polizei blieb folgenlos. Etwa ein Jahr später hätten sich Beamte des Landeskriminalamts (LKA) Berlin dann bei ihr gemeldet und mit besorgter Miene Vorsichtsmaßnahmen empfohlen. „Ich solle vermeiden, mit dem Fahrrad in die Tiefgarage zu fahren, auf eventuelle Manipulationen am Türschloss des Autos achten, überprüfen, ob unter dem Wagen ein Sprengsatz angebracht sei.“ Selbst der Ratschlag, über den Kasus nicht weiter zu berichten, um aus der Schusslinie zu geraten, fehlte nicht.
Dass das LKA den Fall dennoch nicht auf die leichte Schulter nimmt, belegt die darauffolgende Gefährderansprache. Dabei wurde für Rainer von Holst in Deutschland arbeitenden Personen deutlich gemacht, dass die Polizei sie im Zusammenhang mit Lauenburg im Auge hat. Kurz darauf erfolgte die zweite anonyme Morddrohung: „Wie ich höre, hat Sie die Polizei als gefährdet eingestuft. Seien Sie vorsichtig! Ihre Zeit läuft ab!“ Garniert mit Hinweisen darauf, dass auch „genug Fotos“ von Lauenburgs Familie existierten. In Zeiten, wo auf Malta und in der Slowakei mit Daphne Caruana Galizia sowie Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnírová zwei Investigativreporter*innen von bezahlten Killerkommandos ermordet wurden, sollten solche Vorgänge sehr ernst genommen werden.
Andere gegen Lauenburg eingesetzte Mittel sind gezielte Diffamierungen und Verleumdungen. Gibt man auf Google ihren Namen ein, tauchen immer wieder Meldungen wie diese auf: „Erpressung-Skandal-bei-Stiftung-Warentest-Staatsanwalt-ermittelt-gegen-Redakteurin“. Oder: „Finanztest: Noch mehr Strafanzeigen gegen Ariane Lauenburg“. Sie basieren auf Artikeln im „Gerlachreport“ und anderer von Rainer von Holst aufgemachten Portale wie MorgenPosts, eine Website, die inzwischen nicht mehr erreichbar ist. Sie enthalten Fake-Meldungen über vermeintliche Nötigungen und Erpressungsmanöver der Redakteurin – psychoanalytisch ein klarer Fall von Projektion. Daneben gibt es auch eher Unappetitliches, etwa, wenn unter einer auf ihren Namen eröffneten Domain suggeriert wird, sie betreibe einen „Internationalen Escort-Service“.
Wo schon mangels ladungsfähiger Adresse kein rechtlicher Zugriff auf die Verantwortlichen des „Gerlachreports“ möglich ist,
sollte zumindest Suchmaschinenanbieter Google in der Lage sein, offensichtliche Fälschungen und Verleumdungen wirksam zu löschen. Mehr als zwei Dutzend entsprechende Anträge hat die Stiftung Warentest beim US-Internetriesen denn auch gestellt. Das Ergebnis fällt eher mau aus. Zwar wurden tatsächlich diverse Einträge mit dem Hinweis auf ein „rechtliches Ersuchen“ zunächst gelöscht. Dahinter findet sich aber regelmäßig der Satz: „Weitere Informationen über das Ersuchen findest du unter LumenDatabase.org.“ Gibt man diese Adresse ein, lässt sich teilweise über den entsprechenden Link der inkriminierte und gelöschte Inhalt wieder aufrufen. Im Grunde ein Stück aus Absurdistan, wie auch die Begründung zeigt: „Für Google hat die Transparenz gegenüber unseren Nutzern …höchste Priorität“, verteidigt das US-Unternehmen die für Betroffene ärgerliche Kooperation mit der Datenbank Lumen. Lauenburgs leicht resignierter Kommentar: „Lügen leben nicht nur lange, sondern für immer.“