In Schwung bleiben dank „Radio Ginseng“

Mitglieder des Vereins Radio Ginseng am Tag der offenen Tür in Grünheide. Foto: (Radio Ginseng) Matthias Loke

Die Arzneiwurzel gilt als bewährtes Tonikum, das Immunsystem zu stärken, den Stoffwechsel anzuregen, den Körper widerstandsfähiger gegen Stress und andere schädliche Einflüsse zu machen. Vor allem bei reiferen Jahrgängen soll Ginseng die mentale Leistungsfähigkeit stärken, Müdigkeit bekämpfen und Infekten vorbeugen. „Radio machen hält in Schwung – wie Ginseng“, heiß es bei „Radio Ginseng“, das aus dem Brandenburgischen sendet. Auch das Programm will wohltun und zielt vor allem auf geistige Fitness.

Am 28. März 2021 ging „Radio Ginseng“ aus Grünheide (Mark) auf Sendung: Mit zunächst wöchentlich wechselndem Programm und vielen Plänen. Seither werden jeden Montag die Sendungen live eingespielt. Da wird es eng im Robert-Havemann-Klubhaus, wo im Souterrain-Studio Material und Technik untergebracht sind, aber auch gemütliche Ohrensessel für Gesprächsaufnahmen bereitstehen. Das „Mittagsmagazin“ mit wechselnden DJ bringt viel Musik, zurück bis in die 1950er und 60er Jahre, stets ein neues Rezept und einen Spruch der Woche, Geburtstagsglückwünsche für Hörer*innen aus der Region und möglichst kleine Einspielbeiträge. Schlag Eins sorgen Polizeitipps für Sicherheit in der dunklen Jahreszeit oder Matthias unterhält mit Angel-Latein. Später wird eine Amateurband vorgestellt, es folgen Welthit-Versionen, ab 15 Uhr beginnt ein „Tanztee“ oder die „Schlager-Revue“. Zum Schluss kümmert sich Ralph paritätisch um vernachlässigte Ost- oder Westsongs, schon in etlichen Folgen. Um 17 Uhr ist leider momentan schon Schluss, zeigt das aktuelle Programmschema.

Vorbild kommt aus England

Im Blick sind „ältere Menschen mit Erfahrung“, sagt Gabriele Loke, „von denen sich auch Jüngere eine Scheibe abschneiden können“. Die ehrenamtlich mitarbeitende Journalistin ist Programmkoordinatorin des Senders, der Menschen in der Region eine Stimme geben will. Von Hörern für Hörerinnen und umgekehrt. Dabei war das Vorbild für das Projekt ein weit entferntes: „Angelradio“ aus Southhampton in Südengland war es, das Dr. Ulrich Burow, Spiritus Rector und jetziger Vereinsvorsitzender, den letzten Anstoß gab, sich seinen lange gehegten Traum vom Radio für Reifere endlich doch zu verwirklichen.

Moderator im Studio: Dr. Ulrich Burow. Foto: Radio Ginseng

Im Landkreis Oder-Spree fand der berentete Studiotechniker und Theaterwissenschaftler Gleichgesinnte. Seit der Vereinsgründung im Mai 2019 hat sich, so Loke, ein „härterer Kern“ von knapp 20 Aktiven bei „Radio Genseng“ gebildet. Etwa zwei Drittel sind im Rentenalter. Wie die ehemalige Schulleiterin, die inzwischen als „Bücherfreundin“ Tipps zum Lesen gibt, die frühere Krankenschwester, die sich Gartenthemen widmet oder die Berliner Chanson-Kennerin, die Aufnahmen ihrer Lieblingsinterpreten mitbringt. Auch andere Musikfans haben ein Riesenarchiv zu Hause, wollen Titel vorspielen und anderen einfach etwas über ihre Sammlung erzählen. Die wenigsten Mitstreiter*innen kommen direkt aus Grünheide, aber „alle haben Spaß am Radiomachen“, auch wenn keiner ein professioneller Radiomensch war oder ist, einige Berufstätige das Ganze eben als Hobby betreiben. Doch gibt es Redaktionsstatut und Programmrat, will man zur Demokratisierung nicht nur beitragen, sondern sie als freies, nichtkommerzielles Lokalradio auch selbst praktizieren.

Preisgekrönt und werbefrei

Einen Preis des Bundeswirtschaftsministeriums im Ideenwettbewerb „Machen!2021“ haben die Ginseng-Macher*innen auch schon gewonnen: Für ein Projekt gemeinsam mit dem Ulmer Partnersender Radio Free FM, „alles wesentlich jüngere Leute“. WOST heißt die prämiierte Kooperation. Hier geht es um „Lebensläufe“ und „Zusammenwachsen“. Gemeinsam wurde inzwischen ein Fragenkatalog erarbeitet, aus dem Talk-Themen entwickelt werden, die Interviews in West und Ost zugrunde liegen sollen. Gefragt wird nach dem veränderten Leben nach der Wende, die im „Fontaneland“ existenziell und einschneidend waren, beim Berufsleben angefangen über Kinderbetreuung, Frauenbild, demokratische Teilhabe und Wohnen. Ob das in Ulm und Umgebung auch so war, müsse sich zeigen, so Gabriele Loke. Ab Januar soll WOST jedenfalls einen festen Sendeplatz im Programm bekommen, im Juni 2022 wird eine Projektwoche die Kooperation abschließen.Die Finanzierung ist beim werbefreien „Radio Ginseng“ immer ein Thema, im Anträge-Schreiben kennt man sich inzwischen aus. Förderung gab es zum Beispiel von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, von der Stiftung Ehrenamt und von der Gemeinde durch mietfreien Studioräumlichkeiten.

DIY in jedem Alter

An der „technischen Flanke“ kämpft man mitunter nicht nur um Hardware, das habe das Zusammentreffen mit den Ulmern Anfang Oktober erneut gezeigt. Wo sich einige Ginseng-Radiomacherinnen schwertäten und vieles mühsam selbst beibringen müssten, gingen die Jüngeren von Free FM „total cool“ mit Software und Technik um. Etwas jugendlicher Beistand täte auch in Grünheide gut. Um Nachwuchs wirbt „Ginseng“ im nahegelegenen Erkner bei Gymnasiasten. Ulrich Burow hat gemeinsam mit der „Kulturfabrik Fürstenwalde“ zudem eine Workshop-Reihe „Radio machen“ aus der Taufe gehoben, die demnächst beginnen und sich mit drei Modulen über ein ganzes Jahr strecken soll. Anmeldungen sind noch möglich, auch Dozent*innen seien herzlich willkommen.

Denn das nächste Ziel von „Radio Ginseng“ steht fest: Ein 24-Stunden-Programm als Internetradio. An Konzept und technischer Umsetzung wird seit einem Jahr gearbeitet. Von „Sonnenaufgang“-Magazin bis musikalische „Entspannung zur Nacht“ reichen Sende-Ideen. Eine mit Fördergeldern in Auftrag gegebene eigene App ist bisher leider noch nicht zum Laufen gebracht, aber stabile bessere Erreichbarkeit steht ganz obenan. Bis dahin gilt noch: Webseite aufrufen und reinhören.

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