Informationeller Striptease durch Fragebögen zum Status von Freien Mitarbeitern?

Eine Information der IG Medien

Anläßlich des neuen Gesetzes gegen Scheinselbständigkeit (in Kraft getreten am 1.1.1999) werden freien Mitarbeitern nun Fragebögen vorgelegt. Die Auftraggeber bzw. Arbeitgeber wollen so einschätzen, welche Freien möglicherweise nach den neuen Bestimmungen als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte gelten, für die Sozialversicherungsbeiträge – Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile – gezahlt werden müssen. Wie soll man sich dazu verhalten? Was darf gefragt werden? Welche Rolle kann der Betriebsrat spielen?

Zur Erläuterung des Gesetzes:

Das vierte Buch des Sozialgesetzbuchs wurde in § 7 Abs. 4 ergänzt um eine Definition, in welchen Fällen eine nichtselbständige Beschäftigung zu vermuten ist. Dann erfolgt die Sozialversicherung nach dem herkömmlichen System, in der Regel über die BfA, einer Kranken- und Pflegekasse sowie der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit über die BA. Eine unselbständige Beschäftigung wird für Personen vermutet, die

  1. im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit – mit Ausnahme von Familienangehörigen – keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,
    (Darunter fällt also nicht die Zusammenarbeit mit 630,- DM Kräften oder mit echten Selbständigen)
  2. regelmäßig und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind,
  3. für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen erbringen, insbesondere Weisungen des Auftraggebers unterliegen und in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sind oder
  4. nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftreten

Für die gesetzliche Vermutung müssen von vier Kriterien wenigstens 2 erfüllt sein.
Diese Vermutung kann widerlegt werden. Den Nachweis dazu können sowohl der Auftraggeber als auch der Beschäftigte erbringen. Wenn aber die Krankenkasse, die den Gesamtsozialversicherungsbeitrag einzieht, wegen der Beiträge auf den Auftraggeber zu kommt, trägt er die sogenannte Beweislast. Er müßte beweisen, daß entgegen der Vermutung tatsächlich eine selbständige Beschäftigung vorliegt. Dies richtet sich – nach wie vor – nach der Gesamtwürdigung verschiedener Kriterien wie der Weisungsabhängigkeit. Was in einem schriftlichen Vertrag steht, ist dabei allenfalls ein Indiz. Entscheidend kommt es auf die tatsächliche Beschäftigung an.

Was darf nun gefragt werden?

Nicht jede Frage gegenüber Beschäftigten ist zulässig. Beschäftigte – egal ob Arbeitnehmerinnen oder Selbständige im Sinne des Arbeitsrechtes – genießen den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, des Rechtes auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit. Das Recht umfaßt die Weitergabe von Informationen über die eigene Person. Grundsätzlich kann man nicht dazu gezwungen werden, jedem alles ìauf die Nase zu binden“.
Nur bei einem berechtigten, schützenswerten Interesse des Fragenden erfährt das Recht des Gefragten, in Ruhe gelassen zu werden, eine Einschränkung. So weit ein berechtigtes Interesse des Fragenden an der Information für die (bevorstehenden) Vertragsbeziehung besteht, muß dann der gefragte Freie also wahrheitsgemäß antworten. Beide Interessen werden mit einander in Einklang gebracht nach dem Grundsatz: ìSo viel wie nötig fragen, so wenig wie nötig antworten“.

Was hat man unter „berechtigte Interesse“ des Fragenden zu verstehen?

Die Beiträge zur Sozialversicherung für das herkömmliche System der nichtselbständig Beschäftigten hat der Arbeitgeber an die zuständige Krankenkasse abzuführen. Dabei tragen die Beschäftigte und der Arbeitgeber je 50 % der Kosten. (Ausnahme: Die Unfallversicherung trägt der Arbeitgeber allein). Diese Beteiligung der Beschäftigten darf nur erfolgen, wenn die Beiträge von der Vergütung abgezogen werde. Das ist das sogenannte ìLohnabzugsprinzip“. Unterläßt der Arbeitgeber den Abzug bei der Überweisung der Vergütung, kann er oder sie das nur für die letzten drei Monatsbeiträge nachholen. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer falschen rechtlichen Einschätzung es unterläßt den Gesamtsozialversicherungsbeitrag abzuführen. Ausnahmsweise ist eine weitergehende Nachzahlung nur möglich, wenn der Beschäftigte bewußt falsche Angaben zur Sozialversicherungspflicht gemacht hat.

Sinn des Verbotes des nachträglichen Abzuges ist zu vermeiden, daß durch die soziale Absicherung dem Beschäftigten ein Schuldenberg entsteht.

Der Arbeitgeber hat also an der richtigen sozialversicherungsrechtlichen Einordnung der Tätigkeit eines Beschäftigten ein finanzielles Interesse und darf dazu Nötiges erfragen.

Es kann für den fragenden Verlag, Sender usw. immer nur um die Einordnung der Tätigkeit gehen, nicht um Fragen nach der Absicherung der Person insgesamt. Das ist die Privatsphäre, die den Auftraggeber nicht zu interessieren hat. Nur im Rahmen des Vermutungstatbestands nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB IV – regelmäßig und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sein – darf ihn interessieren, ob es andere Tätigkeiten gibt. Hier reichen Angaben in Prozent bezogen auf das Gesamteinkommen und den Gesamtzeitaufwand. Die einzelnen anderen Auftraggeber, die konkreten Tätigkeiten, das dafür bezahlte Honorar ist zur Beurteilung des Vermutungstatbestandes nicht nötig. Das ist eine unzulässige Ausforschung der wirtschaftlichen Verhältnisse.
Der bzw. die Freie muß seine oder ihre Selbständigkeit auch nicht durch Vorlage solcher Einzelnachweise beweisen. Der Auftraggeber hat daran kein schützenswertes Interesse. Sind nämlich die Fakten, die die Freie angibt, falsch, so ist sie deshalb ausnahmsweise doch zur nachträglichen Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet.

Fragen zur rechtliche Wertungen muß der Auftraggeber sich selbst beantworten. Ein Risiko einer falschen Wertung kann er nicht auf die Freien abwälzen. Z.B. kann die Frage, ob keine für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen erbracht werden, mit dieser Begründung offen gelassen werden.

Die Arbeitsbedingungen des Freien im Verhältnis zum Auftraggeber selbst, wie z.B. der Einbindung in den Betrieb, müssen diesem bekannt sein, da er sie selbst mitgestaltet hat. An der Beantwortung überflüssiger Fragen kann kein schützenswertes Interesse bestehen.

Kommentierung zu einzelnen Fragen ( Fragen kursiv):

Sind sie in der Künstlersozialkasse versichert?

Ob überhaupt eine Versicherung über die KSK besteht, sagt nichts aus über die Versicherungspflicht der in Frage stehenden Tätigkeit. Es geht immer um die Einordnung der konkreten Tätigkeit.
Bezüglich derselben Tätigkeit heißt es in der Stellungnahme der Sozialversicherungsträger zum Gesetz: ìIn den Fällen, in denen die Künstlersozialkasse bereits eine selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit festgestellt hat und seit dieser Feststellung keine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, gilt die Vermutung ohne Einschaltung der Einzugsstelle als widerlegt. Entsprechendes gilt, wenn eine Rentenversicherungsträger ….. eine Selbständigkeit festgestellt hat.“
Anders dagegen bei verschiedenen Tätigkeiten:
Wer für die selbständige Tätigkeit z.B. als freie Journalistin über die KSK versichert ist, und 40% ihrer Zeit bei einer Zeitschrift als Pauschalistin redaktionelle Arbeit im Verlag leistet, ist für letzteres unselbständig Beschäftigte, da sie für die Redaktionstätigkeit in den Betriebsablauf eingegliedert ist und fremde Betriebsmittel benutzt. Dafür sind also Sozialversicherungsbeiträge mit Kostenteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu bezahlen, egal ob der unselbständig Beschäftigte nun ansonsten über die KSK versichert ist oder nicht.

Sind sie Student?

Je nach Beschäftigungsvolumen und Einkommen fällt dann auch bei einer unselbständigen Beschäftigung die Versicherungspflicht weg, daher ist die Frage berechtigt.

Aber zu Ihrer/Eurer Information: Studenten sind rentenversicherungspflichtig, wenn ihr monatliches Einkommen 630,- DM übersteigt.

Ordentliche Studentinnen und Studenten (im Gegensatz zu Gasthörern oder solchen im Urlaubssemester) sind bei nicht selbständiger Tätigkeit für die Kranken-, die Pflege- und die Arbeitslosenversicherung nicht versicherungspflichtig, wenn die Arbeit gegenüber dem Studium eine Nebensache bleibt und daher 20 Wochenstunden nicht übersteigt oder gemäß § 8 Abs. 1 Nr.2 SGB IV innerhalb eines Jahres auf 2 Monate beschränkt ist.

Art der Tätigkeit für den Auftraggeber

Dies müßte dem Auftraggeber doch eigentlich bekannt sein und ist daher überflüssig.

Durchschnittlicher Verdienst aus dieser Tätigkeit pro Monat (ohne USt)
Bitte unbedingt letzten Einkommenssteurbescheid beifügen.

Der Verdienst müßte dem Auftraggeber bekannt sein und ist daher eine überflüssige Angabe.
Keinesfalls sollte der Einkommenssteuerbescheid beigelegt werden. Es reicht hier eine Prozentangabe bzgl. des Einkommens und die Angabe, ob es sich monatlich um einen Betrag größer als 630 ,- DM handelt, aus.

Beschäftigen Sie im Rahmen dieser Tätigkeit dritte Personen? ja nein
Wenn ja, handelt es sich hierbei um versicherungspflichtige Beschäftigte in der Sozialversicherung?
ja nein

Wenn ja, handelt es sich um Verwandte oder Verschwägerte bis zum zweiten Grad
ja nein
oder um Dritte? ja nein

Diese Fragen sind zulässig, da nach Fakten zu einem Vermutungstatbestand gefragt wird.

Sind Sie neben der freien Tätigkeit für uns auch für andere Unternehmer/Auftraggeber als freier Mitarbeiter tätig?
ja nein

Wenn ja, bitte genaue Angaben über Auftraggeber und über die Höhe des daraus erzielten Einkommens. Bitte Nachweise beifügen.
Handelt es sich bei der anderweitigen freien Tätigkeit um eine Haupt- oder um eine Nebentätigkeit?

Ziel der Frage ist beurteilen zu können, ob der Beschäftigte nach dem dritten Vermutungstatbestand ìregelmäßig und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber“ tätig ist. Dazu ist der sozialversicherungsrechtliche Status bei anderen Auftraggebern oder Arbeitgebern aber belanglos. Für eine Differenzierung zwischen weiteren Auftraggebern besteht kein schutzwürdiges Interesse, da für die Einordnung der Tätigkeit die Angabe ausreicht, wieviel Prozent sie bezogen auf das Gesamteinkommen ausmacht. Keinesfalls sollten Namen und Adressen beigelegt werden.

Versuchen Sie, auch für andere Auftraggeber als freier Mitarbeiter tätig zu sein?
ja nein

Wenn ja auf welche Weise geschieht das?

Nur ja oder nein ankreuzen.
An dieser – wie auch an anderer Stelle – kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Informationsbedarf angesichts der Gesetzesänderung für manch einen Auftraggeber eine willkommene Gelegenheit ist, Informationen über die Professionalität und das Standing freier Mitarbeiter mitabzufischen. In diesem Sinne empfehlen wir, die eigenen ìVersuche“ eher postiv einzustufen.

Haben Sie für Ihre freie Mitarbeiterschaft eine Bezeichnung gewählt?

Die Bezeichnung ist für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung irrelevant.

Bitte erläutern Sie, warum Sie Ihrer Ansicht nach eine selbständige Tätigkeit ausüben.

Unzulässig, da der freie Mitarbeiter keine Rechtsauskünfte geben muß. Die Fakten, wie die Arbeit geleistet wird und wie stark dabei die Weisungsgebundenheit ist, dies muß dem Auftraggeber bekannt sein.

Bei welcher gesetzlichen Krankenkasse sind sie versichert?

Diese Frage ist berechtigt, da die gewählte Krankenkasse zuständig ist für den Einzug des Sozialversicherungsbeitrages.

Hiermit versichere ich die Richtigkeit und Vollständigkeit der gemachten Angaben. Ich verpflichte mich darüber hinaus Gegenüber dem Auftraggeber, diesen unverzüglich über alle Veränderungen zu informieren, die künftig die Beantwortung der vorgenannten Fragen betreffen. Im Falle fehlerhafter oder unterlassener Informationen stehe ich zeitlich unbegrenzt für alle Nachteile ein, die dem Auftraggeber hieraus erwachsen.

Durch den letzten Satz erhöht sich das Haftungsrisiko deutlich. Dieser Satz sollte gestrichen werden. Eine gewisse Haftung für falsche Angaben nach allgemeinen Grundsätzen läßt sich leider ohnedies nicht vermeiden.

Zu dem so reduzierten und eingeschränkt beantworteten Fragenkatalog kann der beiliegende Begleitbrief verschickt werden.

Was kann der Betriebsrat in punkto Fragebögen tun?

Der BR kann unzweifelhaft tätig werden für Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechtes. Sofern unter denen, die befragt werden sollen, ein Arbeitnehmer ist, hat der BR also ein Mitbestimmungsrecht in personellen Angelegenheiten gemäß § 94 BetrVG. Danach bedürfen Personalfragebögen der Zustimmung des BR. Die Mitbestimmung bezieht sich auf die Einführung und Änderung von Fragebögen sowie auf die einzelnen Fragen und den Verwendungszweck.

Die Arbeitnehmereigenschaft muß nicht etwa in einer Feststellungsklage vorher individuell durchgefochten worden sein.
Die Juristen unterscheiden zwar zwischen dem ìArbeitnehmerbegriff im Sinne des Sozialversicherungsrechtes“ und dem ìArbeitnehmerbegriff im Sinne des Arbeitsrechtes“, in der Praxis des Einzelfalles ist aber der Unterschied nicht allzu groß. Wer unselbständig Beschäftigter im Sinne des Sozialversicherungsrechtes ist, hat in der Regel auch gute Chancen, einen entsprechenden Prozeß auf Festanstellung vor den Arbeitsgerichten zu gewinnen.

Nach neuester höchrichterlicher Rechtsprechung hat der BR ein Informationsrecht bezüglich der Beschäftigungsverhältnisse von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (vgl. Forum 1/1999). Der BR muß in die Lage versetzt werden, selbst prüfen zu können, wie für die einzelnen die Beschäftigungsbedingungen sind und ob es sich daher um Arbeitnehmer oder Freie handelt. Die Urteilsbegründung liegt noch nicht schriftlich vor.

Falls es zu Streitigkeiten um das Mitbestimmungsrecht des BR kommt und zu allen weiteren Fragen bietet die IG Medien Euch natürlich ihre Hilfe an. Es ist dann zu z.B. überlegen, ob man die Einigungsstelle anruft.

Industriegewerkschaft Medien
Nicole Weber, Referentin für Freie in Medienberufen beim Hauptvorstand

Herausgeber: IG Medien Hauptvorstand, Friedrichstr. 15, 70174 Stuttgart, 12/97, verantwortlich: Gerd Nies

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