Mehr Europäische Betriebsräte in Gründung trotz schwieriger Zusammenarbeit
Die Gründung von Eurobetriebsräten (EBR) steht vielerorts auf der Tagesordnung. Kein leichtes Unterfangen, nicht zuletzt wegen der Sprachbarrieren. Deshalb gab es Ende Oktober 2004 in Kassel ein Seminar zu diesem Thema. Vermittelt wurde Spezialwissen über die für europäische Betriebsräte geltenden Gesetze. EBR-Vereinbarungen wurden vorgestellt. EBR-Kollegen, unter anderem von Gruner + Jahr und Burda berichteten von ihren Erfahrungen.
Anfang 1996 sprach Lothar Hartmann kein Wort Englisch. Heute kann er sich gut verständigen, Diskussionen folgen, frei reden. „Als wir den Euro-Betriebsrat bei der SCA („Zewa wisch und weg“) gründeten, nahmen wir einen Passus in die Vereinbarung auf, dass jeder im EBR innerhalb von zwei Jahren Englisch sprechen muss“, erzählt der GBR-Vorsitzende der SCA Packaging Deutschland, „also lernte ich die Sprache.“ Das Unternehmen zahlt die notwendigen Schulungen. „Ich fuhr in fünf Jahren sieben Wochen nach England und lernte die Sprache so gut, dass ich den EBR-Vorsitz für einige Jahre übernehmen konnte“, sagt Lothar. Er ist einer von 13 Betriebsratsmitgliedern aus den Branchen des Medien-Fachbereiches in ver.di, die an dem Euro-Seminar in Kassel teilgenommen haben. Die anderen schauen den Kollegen skeptisch an: Darf man einen Mandatsträger verpflichten, eine Sprache zu lernen? Wird die Einstiegsvoraussetzung nicht viel zu hoch gelegt, um beim EBR mitzumachen? Lothar selbstkritisch: „Zwar fehlt das Gefühl für sprachliche Feinheiten, was immer wieder dazu führt, dass ich gerade die Briten falsch interpretiere. Andererseits ermöglicht uns die gemeinsame Sprache die Kommunikation außerhalb der Sitzungen, so dass wir zu einem besseren Verständnis untereinander kommen.“
Problem Sprachhürden
Sprache ist ein Haupthindernis bei der Verständigung: Bertelsmann – einer der weltgrößten Medienkonzerne – hat wie die SCA mehrere Eurobetriebsräte, zum Beispiel in der Direct Group. Heinz Willikonsky, GBR-Vorsitzender der Buchclubs und EBR-Mitglied, erzählt: „Seit zehn Jahren gibt es bei uns Euro-Betriebsräte. Sie tagen gemeinsam mit der Unternehmensleitung, treffen sich aber auch ohne Arbeitgebervertreter. Diese Treffen werden zwar simultan übersetzt, leider mit wechselnden Übersetzern. Das ist ein Problem: „Die kennen unsere Themen nicht, da gehen Inhalte verloren.“
Die überwiegende Erfahrung: Ist der Euro-BR erst einmal installiert, kommt es zwischen den Sitzungen kaum zum Kontakt mit den internationalen Vertretern. Je nach Unternehmensstruktur und Stammsitz gibt es außerdem ständige Veränderungen: Auslagerung, Kauf- und Verkauf von Teilbetrieben oder ganzen Standorten. 85 Prozent aller EBRs treffen sich nur einmal jährlich. Eine weitere Tatsache: Selten sind Gewerkschaftsvertreter dabei, wie zum Beispiel bei Burda.
Große Vielfalt an Strukturen
Die Arbeitsgrundlagen eines EBR regelt ein Vereinbarung, die zwischen Unternehmen und einem so genannten Besonderem Verhandlungsgremium (BVG) abgeschlossen wird. Das setzt sich aus Interessenvertretern der beteiligten Länder zusammen, die entweder von ihren Betriebsräten oder ihrer Belegschaft gewählt oder von ihren Gewerkschaften entsandt werden – je nach nationaler Regel. „Die EU-Richtlinie schreibt vor, dass jedes EU-Land nationale Umsetzungsgesetze schaffen musste. Deswegen gibt es eine große Vielfalt und Unüberschaubarkeit der Euro-Betriebsratsstrukturen“, so Holger Artus, stellvertretender Bundesfachgruppenvorsitzender Verlage und Agenturen. „ver.di steht vor dem Problem, dass es in einigen Unternehmensgruppen seit Jahren Euro-Betriebsräte gibt – 130 im gesamten Organisationsbereich der Gewerkschaft – in anderen überhaupt noch keine. Wir bemühen uns jetzt, in weiteren Unternehmen diesen Prozess anzuschieben – vor dem Hintergrund der Osterweiterung der EU.“
Das geschieht zum Beispiel bei der Bauer Verlagsgruppe und dem Axel Springer Verlag. Bei Bauer wurde das Besondere Verhandlungsgremium gegründet mit Vertretern aus Madrid, Paris, London, Magdeburg und Hamburg. Teilnehmer aus Polen sind noch nicht dabei. „Wir bemühen uns jetzt um Ansprechpartner“, sagt BVG-Mitglied Thomas Laskowsky von der Magdeburger Volksstimme. Und bei Springer? Vor einigen Monaten bereits trafen sich Kollegen aus Deutschland und Vertreter der neun ungarischen Zeitungs-Betriebsräte. Vom Springer-Vorstandvorsitzenden Dr. Mathias Döpfner lag eine Grußadresse vor. Jörg Kerwien, Druckhaus Spandau: „Wir sind zuversichtlich, dass wir bald eine Vereinbarung für den Eurobetriebsrat abschließen können.“
Kein Reisetourismus
Josef Peitz, ver.di-Fachgruppenleiter für die Druckindustrie und Papierverarbeitung sieht noch weitere Möglichkeiten, die internationale Zusammenarbeit von Betriebsräten über die nationalen Grenzen hinaus zu verbessern. „Wir müssen unseren Kollegen in den deutschen Betriebsräten vermitteln, dass ein Euro-Betriebsrat nichts mit Reisetourismus zu tun hat, sondern mit Interessenvertretungsarbeit in einem internationalem Gremium.“ Lothar Hartmann ergänzt: „Wichtige Entscheidungen werden heute nicht mehr national oder im Werk vor Ort getroffen. Beinahe immer sind die Konzernzentralen einbezogen, sei es als Geldgeber oder um eine lokale Entscheidung abzunicken. Ohne den EBR würde uns in fast allen wichtigen Fällen die Möglichkeit der Einflussnahme fehlen. Außerdem wäre eine wichtige Informationsquelle versperrt.“
Es soll nicht bei diesem einen Seminar bleiben. Im Internet steht seit Kassel allen Teilnehmern ein internes Forum zur Verfügung, in dem sie virtuell ihre Erfahrungen weiter austauschen können. Ein weiteres Treffen soll 2005 stattfinden.
Abgemahnt
Die Autorin Kersten Artus ist Betriebsratsvorsitzende Programmzeitschriften bei der Bauer Verlagsgruppe. Sie trat im November die Nachfolge von Ulla Meyer als Konzernbetriebsratsvorsitzende an. Außerdem wurde sie zur Vorsitzenden des Besonderen Verhandlungsgremiums gewählt, das mit der Konzernleitung eine Vereinbarung zur Gründung des Bauer-EBR verhandeln will. Für ihre Teilnahme am EBR-Seminar in Kassel wurde Kersten Artus abgemahnt. Das Gehalt für die drei Tage „unentschuldigtes Fehlen“ wurde ihr abgezogen. Begründung: Es reiche, wenn ein BR-Mitglied – in dem Fall Thomas Laskowsky aus Magdeburg – zum Seminar fahre. Die Betriebsrätin klagt dagegen.