Verlegerin Julia Becker will „keinen Testosteronschuppen“ mehr, die freie Journalistin Geraldine Friedrich fordert eine bessere Bezahlung und Journalistikprofessorin Marlis Prinzing mehr Anerkennung für die gesellschaftliche Bedeutung des Berufs. Die Medien-Branche ist in Bewegung und Frauen stellen Weichen – in Richtung Diversität und Qualitätsjournalismus. Das war Thema der Jahrestagung des Journalistinnenbundes am vergangenen Wochenende in Freiburg.
„Frauen machen keinen besseren, aber einen anderen Journalismus“, sagte Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Mediengruppe in ihrer Keynote. Sie zeigte sich überzeugt, dass Medien die Welt nur abbilden können, wenn sie auch die Vielfalt der Stimmen erfassen – von Frauen und Männern genauso wie von Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderung oder anderer sexueller Orientierung. Seitdem sie und ihre beiden Geschwister 2021 das komplette Unternehmen aufgekauft hätten, sei die Mediengruppe „kein Testosteronschuppen“ mehr. Stattdessen gelte jetzt eine andere „Unternehmenskultur, zu der Gleichberechtigung gehört“. Der Verlag verließ den BDZV Ende 2022 aus Protest gegen den damaligen Verbandspräsidenten Mathias Döpfner. Die Ausnutzung einer Hierarchieposition sei „ekelig und geschäftsschädigend“, erklärte Becker.
Mehr Diversität bei Funke Mediengruppe
Im „Executive Board“, dem obersten Verlagsgremium der Funke Mediengruppe, werde nun eine Stabsstelle „Cultural Affairs“ für mehr Diversität eingerichtet, die „female empowerment“ etwa durch Mentoringprogramme für Frauen, neue Formate und gute Arbeitsbedingungen vorantreiben soll: zeitlich flexibel, digital, Betriebskita – auch für „Väter, die sich um ihre Kinder kümmern wollen“. Ziel sei ein „guter Regionaljournalismus“ – wobei in diverseren Redaktionen auch die älteren Männer weiterhin Platz finden sollten, so Becker. Durch Workshops, Gesprächsrunden mit Mitarbeitenden und intensiven Diskussionen mit der Geschäftsführung wolle sie zusammen mit ihren Geschwistern die neue Unternehmensstrategie durchsetzen.
Optimistisch endete auch der „Blick in die Glaskugel“ bei der anschließenden Podiumsdiskussion über die Zukunft des Qualitätsjournalismus, bei der viele Baustellen identifiziert wurden. Judith Conrady, stellvertretende Chefredakteurin der Neuen Presse Ulm, erklärte, die meisten Spitzenpositionen bei Regionalzeitungen seien wegen der konservativen Verlegerschaft immer noch in Männerhand: „Das Personalkarussell dreht sich bei der überregionalen Presse schneller.“ „Frauen kommen in jungen, diversen Teams besser voran“, meinte Mira Seidel, Redaktionsleiterin der SWR-Jugendwelle DASDING, aber man müsse Frauen stärker fördern, weil sie „nicht so laut sind wie ihre Kollegen“.
Qualität kostet Geld
Die Kölner Journalistikprofessorin Marlis Prinzing erklärte, es gebe zwar immer noch zu wenig Frauen in Führungspostionen, aber bei ihren Studierenden seien inzwischen 80 Prozent weiblich. Seitdem der Journalismus in der Krise sei, „wollen die Jungs das Berufsfeld lieber Frauen überlassen“. Die freie Wirtschaftsjournalistin Geraldine Friedrich konstatierte eine mangelnde Attraktivität journalistischer Arbeit und eine sinkende Zahl von Stellenbewerber*innen – auch wegen der schlechten Bezahlung. In – vor allem nicht tarifgebundenen – Presseunternehmen verdienten freie Mitarbeitende um die sechs Euro pro Stunde: „Alle reden von Qualität, aber keiner will sie bezahlen!“ In ihrem jungen Team arbeiteten vor allem Berufeinsteiger*innen und „die beschweren sich nicht über ihr Honorar“, so DasDing-Chefin Seidel. Zudem versuche der SWR, zuletzt am Programm zu sparen.
Ihre Studierenden hätten keine großen finanziellen Erwartungen, berichtete Marlis Prinzing: „Das Sinnstiftende des Berufs ist wichtig!“ Gerade in Krisenzeiten werde Journalismus mit seiner Einordnungsleistung immer bedeutsamer und die Medienunternehmen müssten finanziell stärker abgesichert werden. Prinzing nannte verschiedene Modelle von Crowdfundung über Stiftungsgeld bis zur Anerkennung des Journalismus als „gemeinnützig“, wie es im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehen ist.
Künstliche Intelligenz als Werkzeug
Judith Conrady von der Neuen Presse Ulm sieht in der digitalen Transformation eine finanzielle Überlebenschance für Regionalzeitungen, deren lokale Strukturen erhalten bleiben müssen, um Themen in der Breite abzudecken. Sie nannte als Beispiel die Automatisierung von Arbeitsprozessen, die Redakteur*innen nur noch kontrollieren müssten und die Freiräume schafft für Reportertätigkeiten.
Prinzing verwies auf ethische Fragen bei der Nutzung von Technologien künstlicher Intelligenz. Neben Tools zur Erleichterung von Routinetätigkeiten – etwa Börsennachrichten und Veranstaltungstipps schreiben – gebe es auch generative KI-Techniken, die von „düsteren Gestalten im Netz zur Wahrnehmungsverunsicherung“ genutzt werden könnten, d.h. Desinformationen sind kaum noch erkennbar. KI-Tools seien Werkzeuge wie ein Hammer, mit dem man einen Nagel in die Wand, aber auch einem Menschen auf den Kopf schlagen kann. „Wir müssen wissen, was wir damit anrichten“, so Prinzing.
Beim abschließenden Blick in die Zukunft waren sich alle einig, dass Qualitätsmedien eine Chance haben, wenn Journalist*innen besser bezahlt werden und und in der Gesellschaft erkannt wird, warum Journalismus so wichtig ist. Judith Conrady war optimistisch, dass“ wir’s hinbekommen!“
Reporterin Antonia Rados mit Hedwig-Dohm Urkunde geehrt
Die Hedwig-Dohm-Urkunde für das Lebenswerk erhält in diesem Jahr Antonia Rados. Sie hat über 40 Jahre lang aus Krisen- und Kriegsgebieten für das deutschsprachige Fernsehen, zuletzt für RTL berichtet: „Einfühlsam, sensibel, selbstkritisch, mit großem Sachverstand und einem besonderen Blick dafür, was die Ereignisse für Frauen und Familien bedeuten“, begründet die Jury ihre Entscheidung. Der Courage-Preis für aktuelle Berichterstattung wird dem Redaktionsteam des Hanauer Anzeigers verliehen, das die komplette Lokalausgabe zum Weltfrauentag 2023 ausschließlich mit Portraits und Geschichten über bemerkenswerte Frauen gestaltet hat. Mit dem Marlies-Hesse-Nachwuchspreis wird Valerie Schönian ausgezeichnet. Als Autorin hat sie sich intensiv mit den strukturellen Problemen alleinerziehender Mütter beschäftigt, die in Deutschland neben Erwerbslosen am stärksten von Armut betroffen sind. (B.R.)