Journalismus aus der Jauchegrube

Wie die Medien den Freitod der Hannelore Kohl skrupellos vermarkten und warum Journalisten Wirtschaftsbossen auf die Sprünge helfen

Gegen alle Regeln journalistischer Recherche-Kunst hatte der „Stern“ hastig eine Titelstory über „Das einsame Leben und Sterben der Hannelore Kohl“ ins Blatt gehoben und seine Druckmaschinen zwei Tage früher als gewöhnlich angeworfen. In Serie werden auf 15 Magazin-Seiten windige Kronzeugen und trübe Quellen abgeschöpft, um an einer Legende über „die politische Dimension dieses Freitods“ zu stricken. Journalismus aus der Jauchegrube.

Die Schwere der niederdrückenden Krankheit wird angezweifelt, über außereheliche Beziehungen des Ehepaar Kohls spekuliert und dem Ex-Kanzler eine Mitschuld am Tod seiner Frau zugeschrieben: „Warum hat er sich lieber in die Berliner Politik eingemischt, wo ihn keiner haben will, anstatt bei seiner schwer kranken Frau zu sein, wo er dringend gebraucht worden wäre?“, erhebt sich „Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn in seinem Editorial zum moralischen Scharfrichter und kommt als Amateur-Psychologe zu einem Befund, der in der Titelgeschichte durch nichts belegt werden kann: „Hannelore Kohl fand, dass sich ihr Leben im Schatten von Helmut Kohl nicht länger lohnt.“ An anderer Stelle fabulieren die „Stern“-Deuter vom „falschen Leben an der Seite des Politikers Helmut Kohl“, von der „Lebenslüge der heilen Familie“. Die anschwellende Kritik an der abgeschmackten Geschichte – die nicht nur stil- uund pietätlos ist, sondern auch journalistischen Kriterien kaum standhält – lässt „Stern“-Chef Osterkorn eiskalt abperlen: „Wir haben nur unseren Job gemacht.“ – Der Mann hat seinen Beruf verfehlt.

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Auch die Springer-Presse hat den Freitod der Hannelore Kohl skrupellos vermarktet und politisch instrumentalisiert. „Bild“ schildert Helmut Kohl als Mustergatten, „Bild am Sonntag“ zitiert aus einem ihr überhaupt nicht vorliegenden Abschiedsbrief der Hannelore Kohl: „Ich habe Dich sehr lieb!“ Der „Bild“-Kolumnist und Rechtsausleger Peter Gauweiler schreibt in dem Boulevardblatt jenen die Schuld am Tod von Hannelore Kohl zu, die ihren Ehemann wegen der Spendenaffäre in die Enge getrieben hätten. „Rufmord“ sei dies gewesen, der die Krankheit „wie ein Hochwasser gesteigert habe. Auch Kohls Hausgeistlicher, Monsignore Erich Ramstetter, – der in den Springer-Blättern beinahe täglich als Kronzeuge auf die Kanzel steigt – scheut sich nicht, einen Zusammenhang zwischen Frau Kohls Tod und der Medienkritik an ihrem notorisch das Parteiengesetz übertretenden Ehemann herzustellen.

„Weder hatten wir gedacht, dass sich gestandene konservative Journalisten, nur weil das Verlagspolitik ist, zu derart peinlichen Schönfärbereien missbrauchen lassen“, schreibt Herbert Riehl-Heyse in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ): „Noch hätte man vermuten können, dass liberale Journalisten in einer Gnadenlosigkeit über fremder Leute Leben urteilen, gegen die sie sich mit dem Maschinengewehr wehren würden, wenn sie selber davon betroffen wären.“ Riehl-Heyse, eine journalistische Instanz, gibt seinen Kollegen eine schlichte Empfehlung für die mediale Verarbeitung eines solch spektakulären Freitods: „Manchmal ist es besonders moralisch, den Mund zu halten. Und den Toten wie den Trauernden ihre Würde zu lassen.“ Wenn dies das Auflagenstreben und die Gewinnsucht in der durch und durch kommerzialisierten Medienwelt nur zuließen…“

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Wie hochkarätige Wirtschaftsmanager vom Schlage Ron Sommer (Telekom) oder Ferdinand Pi’ch (VW) am besten unbequeme Journalistenfragen abblocken, das können sie künftig für 28000 Mark pro Tag bei einem „individuellen TV-Training“ der Schwäbisch Hall Training GmbH lernen. Als „ganz persönlicher Coach“ wird ihnen dort ZDF-Anchorman Klaus Peter Sigloch offeriert – „ein Profi“, der laut Werbeprospekt „über umfassende Medienerfahrung sowie rhetorische und dialektische Spezialkompetenz verfügt.“ Ein einträgliches Geschäft: Promi-Journalisten trainieren Spitzenpolitiker und Wirtschaftsführer, wie sie am besten ihre Kollegen austricksen.

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Man bekommt den Eindruck“, hat Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats, unlängst über den Zustand des Journalismus gesagt, „dass sich die berufsethischen Grundsätze allmählich wandeln“. Nicht eben zu ihrem Vorteil. „Viele Spielarten von Bestechung und Bestechlichkeit“ hat der erfahrene Magazin- und Zeitschriftenmacher Adolf Theobald „im deutschen Journalismus“ ausgemacht. Es gebe hier mittlerweile, urteilte Theobald, ein paar schwarze Schafe „zu viel“.

Gängige Bestechungspraktiken im journalistischen Alltag hat kürzlich Hans Leyendecker in einem bemerkenswerten Beitrag für die Medienseite der SZ („Wie geschmiert“) offengelegt: „Unternehmen lassen Wirtschaftsjournalisten Reden für Hauptversammlungen schreiben, über die dann dieselben Journalisten berichten sollen. Gern auch geben Redakteure gestandenen Managern auf Seminaren Tipps, wie sich diese gegen Redakteure wehren können. Redaktionelle Beiträge entpuppen sich als pure Werbung, die vom Hersteller und vom Medium bezahlt werden.“ Wer Produkte der Pharma-Industrie in der Yellow-Press bejubele, weiß Leyendecker, „kann mit fünfstelligen Zusatzhonoraren rechnen“.

Für die zunehmende Empfänglichkeit der Journalisten macht VW-Kommunikationsvorstand Klaus Kocks vor allem den Geiz der Verleger verantwortlich. „Wenn ein freier Journalist für eine größere Geschichte und ein Foto nur 200 Mark bekommt“, dann müsse er schon ziemlich charakterfest sein, um nicht korrupt zu werden, sagt der VW-Mann. Und der wird es wissen.

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Einen schönen Einblick über die Angst von Wirtschaftsführern vor Journalisten verschafft uns Hans Wilhelm Gäb, ehemaliger Journalist und zuletzt Aufsichtsratsvorsitzender der Adam Opel AG, in einem Beitrag für das „medium magazin“. Um ihrer „unausgesprochenen, aber entsetzlichen Angst vor der Presse Herr zu werden“, berichtet Gäb, träfen die Manager vor einer Pressekonferenz geradezu „kultisch anmutende Vorkehrungen“. Gäb weiter: „Sie entsteigen in dunklen Maßanzügen dunklen Limousinen, stabilisieren ihr Selbstvertrauen durch großformatige Namensschilder und lassen sich durch eigens montierte Scheinwerfer vorteilhaft beleuchten. Während Mikrofone für die Presse streng rationiert sind, reduzieren Manager ihren Stress mit Hilfe eines persönlich zugeteilten eigenen Verstärkers. Mit dessen Hilfe können sie, unabhängig von Qualität und Inhalt der laufenden Diskussion, jederzeit zumindest akustisch dominierende Angriffe fahren.“ Der einstige Opel-Mann hat bei seinen Manager-Kollegen „eine dumpfe Examensangst“ vor jedem Pressetermin ausgemacht. Gegenüber den Journalisten fühlten sich gestandene Wirtschaftsbosse, barmt Gäb, „einer höheren und unberechenbaren Gewalt ausgeliefert“. Niemals verspürten sie gegenüber den Medien das Gefühl von „Chancengleichheit“ – Herr Siegloch, übernehmen Sie!

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