Nazi-Angriffe auf Fotografen – Ermittlungen ergebnislos eingestellt
Ohne Schutzhelm und schusssichere Weste zieht Marcus Arndt schon lange nicht mehr los. Wo der Dortmunder Fotojournalist arbeitet, da fliegen Pflastersteine und Flaschen. Sie fliegen auf Demonstranten und auf Gegendemonstranten, auf Polizisten und auch auf Journalisten.
Seit 22 Jahren berichtet Arndt von Demos im Ruhrgebiet, von linken und von rechten Aufmärschen. Die Schutzkleidung gehört für den Fotografen so selbstverständlich zu seinem Job wie Kamerabody und Objektive. Der 44-Jährige ist einer von fünf Journalisten aus Dortmund, die Anfang Februar ihre Namen auf fingierten Todesanzeigen im Internet lesen mussten. Darunter standen Sätze wie: „Sein Tod wird für uns Deutsche alle ein Freudentag sein.“ Die Anzeigen erschienen auf einer Facebook-Seite. „Jagd eröffnet“ stand im Seitenkopf. Als widerliche Drohung und Angriff auf die Pressefreiheit kritisierten Journalistenverbände, darunter auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, diesen Aufruf zur Journalistenjagd.
Die Betroffenen erstatteten Anzeige gegen Unbekannt. Wer hinter den Drohungen steckt, lässt sich nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Doch alles deutet auf die rechte Szene Dortmunds hin. Die Urheber unterzeichneten die Anzeigen beispielsweise mit „Nationaler Widerstand“, eine 2012 verbotene rechtsextreme Organisation. Sie verlinkten außerdem zu dem Onlineversandhandel eines Kaders der Partei „Die Rechte“, die im Dortmunder Stadtrat sitzt.
Trotz der offensichtlichen Hinweise ermittelt die Staatsanwaltschaft „in alle Richtungen“, wie Oberstaatsanwältin Barbara Vogelsang sagt. „So einen Link kann jeder schalten“, sagt sie weiter. Ob der oder die Urheber verwertbare Spuren im Internet hinterlassen haben, werde geprüft. Ob die Räume des Versandhändlers durchsucht, Computer beschlagnahmt wurden? „Das ist ein ziemlicher Grundrechteeingriff. Da muss man schon etwas in der Hand haben“, so Vogelsang auf die Fragen von M. Mehr will sie nicht sagen. Die Chancen, dass die Urheber ermittelt werden, schätzen Arndt und andere Betroffene als gering ein.
Dass man die Drohungen ernst nehmen muss, zeigt ein Blick in die jüngere Geschichte Dortmunds: Im Jahr 2000 erschoss ein Neonazi erst drei Polizisten und dann sich selbst. 2005 erstach ein Skinhead den Punker Thomas Schulz. 2006 ermordete der NSU in Dortmund den türkischen Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık. Acht Jahre später, auf einer Demo im Dezember 2014, feiern Neonazis die Mörder wie Helden und verhöhnen ihre Opfer.
Die Todesanzeigen sind nicht der erste Versuch, Dortmunder Journalisten einzuschüchtern. Ende vergangenen Jahres etwa starteten die Rechten eine Kampagne gegen einen Redakteur der Dortmunder Ruhr Nachrichten. Sie verteilten diffamierende Flugblätter in der Nachbarschaft des Journalisten. Die Polizei konnte gerade noch verhindern, dass sie vor seinem Wohnhaus eine Kundgebung abhielten. In der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag flogen Farbbeutel gegen die Hausfassade. Die Werfer konnten nicht ermittelt werden. „Es gab keine konkreten Anhaltspunkte“, so Oberstaatsanwältin Vogelsang. Während die Täter also unbehelligt blieben, musste der Lokalredakteur im Februar auf seine Todesanzeige blicken.
Dortmund ist zwar ein besonders heikles Pflaster. Doch es ist kein Einzelfall. Rechte Gewalt und Einschüchterungsversuche gegen Journalisten haben in den vergangenen sechs Monaten bundesweit bedenkliche Ausmaße angenommen. Hass und Aggression stoßen Medienvertretern bei Pegida in Dresden und seinen Ablegern im Rest der Republik entgegen. Rechtsradikale stehen oft in vorderster Front. Bei einem Legida-Aufmarsch Mitte Januar in Leipzig etwa spielten sich regelrechte Jagdszenen ab. „Eine Gruppe von vermummten, bulligen Typen ist auf uns Journalisten zugestürmt. Polizisten waren nicht in Sichtweite“, berichtet der freie Journalist René Loch. Ende Februar, nur einen Tag nach seinem Bericht über eine andere Legida-Demo, fand Tobias Prüwer, Chefredakteur des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer, ein Drohschreiben in seinem E-Mail-Eingang. „Du linke Ratte stehst auf unserer Besucherliste“, schrieb der anonyme Absender und machte deutlich, dass er weiß, wo Prüwer wohnt. Loch und Prüwer kamen mit dem Schrecken davon. Weniger Glück hatte eine Fotojournalistin in Köln. Sie berichtete Ende Oktober von der Demo „Hooligans gegen Salafisten“. Auch dort mischten Neonazis mit. „Sie haben mich gestoßen und in mich reingetreten“, erzählt sie. Als sich die Journalistin hilfesuchend an Polizisten wandte, hätten die sie ignoriert oder gesagt, dass sie ja nicht hier sein müsse. „Das ist mein Job“, habe sie erwidert. Dann sei das eben Berufsrisiko, so die Polizisten zynisch. Um die Pressefreiheit ist es demnach in Deutschland eher schlecht bestellt. Sie wird mit Füßen getreten. Nicht nur von denen, die ihr den Krieg erklärt haben, sondern auch von denen, die sie schützen sollen.
Falsche Presseausweise
Wer sich fragt, wie Neonazis die Identitäten von Journalisten auskundschaften: Sie geben vor, selbst Journalisten zu sein. Eben noch laufen sie in einer Demo mit, halten gar eine Rede. Wenig später stehen sie hinter der Polizeiabsperrung und zielen mit Handykameras auf Journalisten. Wenn Polizisten sie daran hindern wollen, zücken sie einen Presseausweis, wie es ihn im Internet für Jedermann zu kaufen gibt. Das berichten Journalisten aus Dortmund, aber auch ihre Kollegen aus anderen Städten, die solche Vorgänge beobachtet haben. Das Prinzip hat offenbar System. So ruft beispielsweise „Die Rechte“ auf der Internetseite des Kreisverbandes Hamm ihre „Kameraden“ dazu auf, sich einen Presseausweis zu besorgen.
Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der dju, ist dieser Missbrauch bekannt. „Seit 2009 stellt die Innenministerkonferenz nicht mehr ihr Signum für den Presseausweis zur Verfügung“, sagt sie. Seitdem sei es schwieriger geworden, zwischen seriösen und unseriösen Ausweisen zu unterscheiden. „Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich“, so Haß weiter. Sie fordert eine Rückkehr zum Signum. Ob dies das Problem löst, ist unklar. Die Innenminister wurden bislang nicht tätig. Neonazis können die Pressefreiheit ungehindert mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen. Ein unerträglicher Zustand.
Fast schon alltäglich sind die Attacken von Neonazis in Brandenburg auf die Lausitzer Rundschau. Im zurückliegenden September schlugen sie wieder zu und beschmierten die Fensterscheiben der Lokalredaktion Spremberg mit verbotenen Symbolen und Drohungen. In den vergangenen zwei Jahren gab es mehrere Anschläge dieser Art. Einmal suchten zwei Neonazis die Redaktion auf und wollten René Wappler zu einer Berichterstattung über die Antifa zwingen. Der für seine Courage mehrfach ausgezeichnete Redakteur ließ sich nicht einschüchtern und erstattete Anzeige. Anderthalb Jahre danach sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Cottbus in diesem Fall noch nicht abgeschlossen, in anderen Fällen wurden sie erfolglos eingestellt – zur Enttäuschung von Wappler. Der Lokalredakteur berichtet dennoch wie gehabt. Dem Berliner Tagesspiegel verriet er einmal, wie er mit den Drohungen umgeht. „Ich bin ein Fan des Verdrängens“, sagte Wappler.
Auch die Journalisten in Dortmund setzen ihre Arbeit fort. Sie lassen sich nicht klein kriegen. Nach den fingierten Todesanzeigen war Fotojournalist Marcus Arndt bei der ersten Nazi-Demo vor Ort: Wie immer mit Helm, schusssicherer Weste und natürlich mit der Kamera.