Kaum Angebote – Keine Kooperation mit den Verlagen

Das Arbeitsamt und die arbeitslosen Journalisten

Mein Finger ist schon halb abgefallen, bis der „Soft-Touch“-Knopf des Siemens-Nixdorf Computers reagiert. Das Bild des Monitors verändert sich und erhellt unmerklich die abgedunkelte Wartehallenatmosphäre des Arbeitsamtes in Hamburg-Eimsbüttel. Zwölf meistens besetzte Terminals stehen hier für Arbeitssuchende bereit. An den Bildschirmen läßt sich der „Stellen-Informations-Service“ (SIS) der Bundesanstalt für Arbeit abrufen.

Ab und an krächzt ein Drucker und wirft einen Zettel mit Angaben über einen freien Job aus. Ein Job von, so erfahre ich später, etwa 200000 vom SIS aufgenommenen Stellen im gesamten Bundesgebiet. Da sollte doch etwas im journalistischen Bereich für mich dabeisein. Schließlich befinde ich mich in der selbsternannten Medienhauptstadt Deutschlands und kann ein Volontariat, ein Studium und verschiedene freie Tätigkeiten vorweisen.

Suche nach Berufszweigen

Mit dem Computer begebe ich mich nun auf die „Suche nach Berufszweigen“ und gelange über die Menüs „Medienberufe, künstlerische Berufe“ sowie „Publizisten, Dolmetscher, Bibliothekare“ endlich in die Abteilung „Redakteure, Journalisten“. Gespannt rutschte ich auf dem blauen Metallstuhl herum – eine Landkarte erscheint mit einem Jobauswahlgebiet, dessen Zentrum Hamburg ist. Es trägt die einzutippende Ziffer 13, die sich schnell als Omen herausstellt: „Hier heute keine Stellenangebote vorhanden“ lautet die leuchtend rote Antwort auf die Anfrage.

Keine Stellen vorhanden

Ebenfalls rot kommen die Signale aus Kiel und Schwerin. Im Raum um Bremen schließlich gibt es immerhin einen Volltreffer: Ein Verlag sucht eine Fachjournalistin oder einen Fachjournalisten auf Vollzeitbasis ab sofort. Die ideale Bewerberin sollte eine nicht weiter spezifizierte Ausbildung in den Bereichen Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Energie oder Umwelt haben. Journalistische Vorbildung ist nicht gefragt. Daß der Verlag schon seit Monaten sucht, erklärt sich unter Umständen aus dem Einsatzbereich: Zeitschriften wie der „Forstmaschinen-Profi“ und „energie pflanzen“ sind nicht jedermanns Sache. Meine jedenfalls nicht, zumal ich die geforderte Ausbildung nicht vorweisen kann und entfernte Vorfahren aus dem Agrarischen wohl nicht als ausreichende Referenz zählen dürfte.

Jetzt bleibt nur noch das volle Programm. Mit der Kennziffer „99“ speit der Computer die freien Redakteur- und Journalistenstellen im gesamten Bundesgebiet aus. Heute sind es ganze 42. Einige der „attraktivsten“ seien genannt:

Schreiben über Sterilistatoren

In Berlin wird ein technischer Redakteur gesucht. Ein Hauptfeld seiner Tätigkeiten liegt in der Überarbeitung der Bedienungsanleitungen von Sterilisatoren. In Bayern wird das „Erstellen von Bedienungs- und Wartungshandbüchern“ für Navigationssysteme angeboten.

Das Erzbischöfliche Generalvikariat in (schwarz, Münster, …) Paderborn sucht einen „Journalisten als Leiter/in (!) der Presse- und Informationsstelle, fundierte Kenntnisse in den Fragen des Glaubens und der Kirche“ vorausgesetzt. Zwar bin ich stramm katholisch erzogen, möchte aber aus ebendiesem Grund die Stelle nicht antreten.

Die Landeszahnärztekammer Stuttgart hat ein Schnäppchen anzubieten – denn Zahnärzte sind bekanntlich nicht sonderlich arm, und das Gehalt darf nach Vereinbarung ausgehandelt werden. Die Jobbeschreibung „Verbesserung der Selbstdarstellung der Kammer gegenüber ihren Mitgliedern“ im besonderen sowie Gedanken an Bohrer, Plomben und Karies im allgemeinen verursachen bei mir jedoch Zahnschmerzen.

Dergleichen Beispiele mehr, übrigens viele im ach so journalistischen Werbungsbereich ließen sich anführen.

Zugegeben, wenn die eine oder andere eben nicht genannte Stelle wenigstens in Norddeutschland vakant gewesen wäre, hätte ich mich beworben. Bewerben konnte ich mich jedenfalls mit Hilfe des SIS in Hamburg nicht. Dieses Manko schien mir zunächst unerklärlich.

505 Hamburger Verlage

Das Branchenbuch für die Hansestadt Hamburg listet allein 505 Verlage auf, von denen einige – man denke nur an Springer, Bauer oder Gruner+Jahr – nicht wenige Zeitungen und Zeitschriften herausbringen. Warum, so lautete die selbstgestellte Frage, kooperieren Verlage nicht mit dem Arbeitsamt?

Bei der Beantwortung konnten die Mitarbeiterinnen der Personalabteilungen von Verlagen weiterhelfen. Unisono und unbesehen der politischen Ausrichtung lautete die Antwort „Wir arbeiten nicht mit dem Service des Arbeitsamtes zusammen, weil wir zu viele Bewerbungen bekommen.“ Das galt für den Heinrich Bauer Verlag genauso wie für den „Spiegel“. Beim deutschen Nachrichtenmagazin ließ Frau Noyen zumindest durchblicken, daß der „Spiegel“ in Zukunft auf das Arbeitsamt zurückgreifen werden, falls die Flut der Bewerbungen ausbliebe. Das ist wohl vor meiner Pensionsgrenze nicht zu erwarten. Frau Rilk, Personalabteilung Gruner+Jahr, sprach von 100 Blindbewerbungen pro Woche, Bewerbungen an die einzelnen Redaktionen nicht eingerechnet. G+J würde nur alle Jahre einmal eine Stellenanzeige schalten. „Die Zeit“ hat innerhalb des Mitarbeiterstabes eine sehr geringe Fluktuation. Einmal, so Frau Lunkes, habe die Wochenzeitung die Möglichkeiten des Arbeitsamtes genutzt: Eine Person, die den Anforderungen entsprochen hätte, konnte das Arbeitsamt aber nicht vermitteln.

Die spezielle Zielgruppe ist auch für Frau Feis vom Axel Springer Verlag ausschlaggebend dafür, nicht mit dem Arbeitsamt zusammenzuarbeiten. Für solche, wie z.B. On-line-Journalisten, würde ge-rade ein eigener Ausschreibungsmarkt auf der homepage (http://www.asv.de) aufgebaut. Für andere journalistische Tätigkeiten wird ebenfalls nicht das Arbeitsamt bemüht, sondern Anzeigen in eigenen Medien geschaltet.

Über den inner circle und Kontakte

Vorausgesetzt, es gäbe keine Müllhalden, ganze Verlagsarchive könnten sich mit Bewerbungsunterlagen füllen – das ist wahrlich kein Geheimnis, aber nur die halbe Wahrheit. Die Botschaft zwischen den Zeilen lautet, daß Jobs im journalistischen Bereich zumeist im inner circle vergeben werden. In den inner circle gelangt der Aspirant über Kontakte. Und die wollen erst einmal hergestellt sein.

Daß arbeitslose Journalistinnen und Journalisten Problemkinder für die Vermittlungen des Arbeitsamtes sind, kann Klaus Koch, Mitarbeiter der Zentrale des Arbeitsamtes in Hamburg, bestätigen (siehe nebenstehendes Interview). Während des Interviews mit Herrn Koch liefen Kolleginnen und Kollegen aus dem Print- und Rundfunk-Bereich über die Gänge des Arbeitsamtes. Die neuen Arbeitslosenzah-
len wurden bekanntgegeben. 4658267 Menschen – Kurz- und Teilzeitarbeit nicht eingerechnet – waren an diesem Tag ohne Arbeit, davon 92640 in Hamburg. Etwa jeder tausendste Hamburger Arbeitslose ist Journalist – zumindest den Zahlen nach, denn 99 gemeldete arbeitslose Journalistinnen und Journalisten gab es an diesem Tag in Hamburg. Wieviele der schreibenden und fotografierenden Zunft im letzten Jahr vermittelt oder umgeschult wurden, dafür lagen keine Angaben vor. Als sicher darf jedoch gelten, daß die Probleme sich auf weitaus mehr als 99 Kolleginnen und Kollegen erstrecken. Denn die Zahl der Nichtgemeldeten dürfte hoch sein – haben die selbständigen Freien doch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld- oder -hilfe. Und andere Freie mögen sich vielleicht nicht recht eingestehen, daß sie schon viel zu lange an der Existenzgrenze und darunter vegetieren.

Kellnern und Taxi fahren

Die existentielle Frage, ob Schnee schippen, Taxi fahren und Kellern das Zubrot zum Schreiben und Fotografieren ist oder umgekehrt, muß sich jeder selbst beantworten. Doch wozu Trübsal blasen? Immerhin sagte Herr Koch vom Arbeitsamt doch, sei es schwer, einen Job zu finden, aber mit Glück sei man dabei. Also bin ich nach dem Interview nochmals zu meinem Stamm-Arbeitsamt in Hamburg-Eimsbüttel gefahren.

Einige Arbeitssuchende kannte ich schon. Womöglich sind sie täglich da, was immer noch billiger ist und manchmal erfolgreicher, als sich die Nase in einer Daddelhalle an einem Glückspiel-Automaten plattzudrücken.

Und siehe da, heute steht die Taste „13“ für Hamburg unter einem besseren Stern – der SIS spuckt ein Angebot aus. Eine Unternehmens- und Personalberatung sucht einen Redakteur bis 40 Jahre für die Ressorts Partnerschaft und Erotik. Schade nur, daß ich erwiesenermaßen keinerlei Kenntnisse im Bereich Kosmetik habe, was zu den für diesen Job nötigen Vorkenntnissen gehört. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag, an dem die Bildschirme des SIS angehen, und wer weiß – vielleicht inseriert einer der 505 Hamburger Verlage eine Stelle, auf die hin ich mich bewerben kann. Zumindest amüsant wird der Zeitvertreib.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Dreyeckland-Journalist wegen Link angeklagt

Am 18. April beginnt der Prozess gegen den Journalisten Fabian Kienert. Dem Mitarbeiter von Radio Dreyeckland in Freiburg wird die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen, weil er das Archiv eines Onlineportals in einem Artikel verlinkt hat. Das Portal mit Open-Posting-Prinzip war von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 als kriminelle Vereinigung verboten worden.
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »