„Knie nieder, dann spreche ich in Dein Mikrophon!“

Wie in der Fußball-Bundesliga nicht nur beim Deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern Journalisten gegängelt und ausgebremst werden

Nach dem Schlußpfiff folgt immer das gleiche Spiel. „SAT 1 Erster, wir Zweiter“, ruft ZDF-Reporter Rolf Töpperwien seinem Kameramann im Presseraum des Kaiserslauterer „Fritz-Walter-Stadion“ zu und bittet, Aufstellung zu nehmen. Dann darf SAT-1-Volontär Michael Schulz mit seinem Aufnahmeteam die von zwei massigen Bodyguards gebildete Absperrung zum Allerheiligsten passieren. Dort residiert im Trainertrakt der Fußball-Lehrer Otto Rehhagel (59), den sie in der Pfalz entzückt „König Otto“ rufen, seit er dort das Kunststück fertigbrachte, mit dem 1. FC Kaiserslautern von der zweiten Liga direkt zur Deutschen Fußball-Meisterschaft durchzumarschieren.

Rehhagel gebärdet sich den Medien gegenüber selbstherrlich wie ein Sonnenkönig und schuriegelt kritische Presseleute – bis zur Demütigung. Nur handverlesenen Journalisten gewährt er Interview-Audienzen. Zu den wenigen Auserwählten, die dem undurchsichtigen Trainerguru vis-a-vis Fragen stellen dürfen, zählt SAT-1-Mann Michael Schulz, ein früherer Spieler Rehhagels bei Werder Bremen. Mitunter fällt der angehende Journalist, einst ein gefürchtetes Rauhbein in der Fußball-Bundesliga, in seine frühere Rolle zurück. Während der Meisterschaftsgala der Kaiserslauterer Kicker versuchte er in alter Manndecker-Manier einen ZDF-Kameramann auszuschalten, weil er fälschlicherweise allein sich im Besitz der Exclusivrechte wähnte. Nach Spielschluß ist Schulz auf dem „Betzenberg“ nicht selten damit beschäftigt, Beate Rehhagel galant in den Presseraum zu führen, wo die hellhörige Trainergattin, mittendrin im Journalistenpulk, die Ohren spitzt, um frühzeitig kritische Strömungen zu kanalisieren.

Audienzen

Neben dem devoten Schulz („Glückwunsch, Trainer!“) und dem handzahmen Töpperwien („Ist der Tabellenstand Ihrer Mannschaft nicht sensationell?“), der sich schon mal während des laufenden ZDF-„Sportstudios“ einschaltet, um ein aufgeregtes Rehhagel-Dementi zu vermelden, haben nur noch Vertreter von „Bild“ und „Sport-Bild“ ungehinderten Zugang zu dem cholerischen Lauterer Coach. Der steht seit geraumer Zeit bei dem von ihm lange Zeit bekämpften Springer-Verlag auf der Pay-Roll. Nach der gewonnenen Meisterschaft tat er in „Bild“ das, was er seinen Spielern bei Höchststrafe, der Verbannung aus dem Mannschaftskader, untersagt hat: er plauderte in einer Exclusiv-Serie Vereinsinterna, wie etwa Prämienregelungen, aus. Titel: „Jetzt erzähle ich alles.“

Den übrigen Journalisten erzählt Rehhagel – mit Ausnahme auf den obligatorischen Pressekonferenzen nach dem Spiel – so gut wie nichts. Und die Vereinsführung läßt ihn gewähren. „Otto ist ein Geschenk des Himmels. Aber man muß tun, was er sagt, dann wird alles richtig“, bestätigt der FCK-Aufsichtsratsvorsitzende Robert Wieschermann die Selbstentmündigung der Vereinsführung. Für die Öffentlichkeits- und Pressearbeit bei dem Kaiserslauterer Bundesligisten ist alleine der Trainer Rehhagel verantwortlich. In Ziffer 3 seines mit einer Jahresgage von annähernd 3 Millionen Mark dotierten Arbeitsvertrages hat sich der Angestellte Rehhagel zusichern lassen, daß „alle Verantwortlichen des 1. FC Kaiserslautern e.V. verpflichtet“ seien, „sich jeglicher eigener Stellungnahmen zum Bereich der Lizenzspielermannschaft zu enthalten“.

Demütigungen

Um zu demonstrieren, wer am „Betzenberg“ das Sagen hat, demütigt Dompteur Rehhagel („Die Spieler sind wie Raubtiere“) schon mal einen Hörfunkreporter von Radio Rheinland-Pfalz (RPR): „Knie nieder, dann spreche ich in dein Mikrophon!“ Oder er verscheucht unbequeme Journalisten vom Trainingsgelände. „Sie haben keinen Charakter. Ich will Sie hier nicht mehr sehen“, raunzte er den örtlichen „Rheinpfalz“-Redakteur Wolfgang Kreilinger an. Dessen Enthüllungsgeschichten über den übelriechenden Vereinsfilz am Lauterer „Betzenberg“ waren dem Trainer arg aufgestoßen. „Das ist ein Journalismus wie ich ihn nicht mag.“

Nach dem Auswärtsspiel beim 1. FC Köln blockte Rehhagel den hartnäckigen „Rheinpfalz“-Rechercheur eigenhändig bei einem Interview mit dem Spieler Michael Schjönberg ab. „Mach nur, daß du abhaust!“ Auf der Meisterschaftsfeier der Lauterer wurde Kreilinger („Bis heute hat es nicht eine Gegendarstellung gegeben“) von der Vereinsführung zur „unerwünschten Person“ erklärt.

Schwarze Listen

Kritische Frager rüffelt Rehhagel regelmäßig: „Stellen Sie Ihre Frage anders, so beantworte ich sie nicht.“ Dem „premiere“-Moderator Christian Sprenger fuhr er in der laufenden Sendung über den Mund, als er den Job des Stuttgarter VfB-Trainers Joachim Löw nach einer neuerlichen Niederlage in Gefahr sah. „Halten Sie sich da raus“, bellte Rehhagel den Moderator an, „das ist doch gar nicht Ihr Thema.“ Auf der schwarzen Liste des Meisterclubs steht auch Südwestfunk-Reporter Bernd Schmitt. Sobald Rehhagel den SWF-Mann am Spielfeldrand oder im Presseraum erblickt, winkt er mit großer Geste ab: „Nee, nee, nee, nee.“ Schmitt, dessen Fußballkompetenz als Inhaber eines Trainerscheins außer Frage steht, gehört nach Angaben von FCK-Geschäftsführer Gerhard Herzog zu jenen Berichterstattern, die beim FCK „kritisch betrachtet werden“.

Herzog, ein finsterer SPD-Karrierebeamter aus der Mainzer Staatskanzlei, ist offiziell für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Fußballmeister zuständig. Seine Arbeit beschränkt sich weitgehend darauf, kritische Medienleute über politische Kanäle kaltzustellen oder, wie die in Kaiserslautern arbeitenden Journalisten klagen, „pure Desinformationspolitik“ zu betreiben. So vermeldete er via Pressemitteilung, einen neuen Dreijahresvertrag für das Kaiserslauterer Urgestein Axel Roos. Einen solch langfristigen Kontrakt hätte Roos zwar gerne gehabt, doch er bekam lediglich einen Jahresvertrag, was Herzog offenbar verschleiern wollte. Die ungarische Neuverpflichtung Janos Hrutka verkaufte der FCK-Geschäftsführer vollmundig als Nationalspieler und Libero. Tatsächlich entpuppte sich der Ungar als Manndecker ohne Nationalmannschafts-Erfahrung.

Der Mönchengladbacher Trainer Friedel Rausch, ein erfahrener „Betzenberg“-Kenner, hält die Tätigkeit Herzogs als Öffentlichkeitsarbeit im Profi-Fußball für eine Zumutung. „Vor einem halben Jahr wußte dieser Mann noch nicht, daß der Ball rund ist, und heute spielt er sich hier als der große Macher auf.“

Skandalöse Arbeitsbedingungen

Die Vorgänge in Kaiserslautern werfen ein grelles Schlaglicht auf die immer skandalöseren Arbeitsbedingungen für Fußball-Journalisten, die in vielen Bundesligaclubs erheblichen Pressionen von seiten der Vereinsführung, Trainern und Spielern ausgesetzt sind. Entsprechend geschönt fällt häufig die Berichterstattung aus. Neben dem 1. FC Kaiserslautern tat sich in der abgelaufenen Saison vor allem Bundesliga-Absteiger Arminia Bielefeld bei der Gängelung von Pressevertretern hervor.

Bielefelds Trainer Ernst Middendorp beleidigte massiv einen Hörfunkreporter und drohte ihm Prügel an. Als der bedrohte Journalist mit einer Strafanzeige konterte, konnte er nur unter Polizeischutz das Bielefelder Stadion betreten. Arminen-Manager Rüdiger Lamm, ein gefürchteter Pressezensor, schränkte die Arbeitsbedingungen für kritische Journalisten mit immer neuen Schikanen ein.

Handgreiflichkeiten

Handgreiflich ging es auch beim VfB Stuttgart zu. Auf dem Flug zum Europapokalendspiel der Pokalsieger nach Stockholm Mitte Mai zitierte Spielmacher Krassimir Balakov den Reporter der „Stuttgarter Nachrichten“, Holger Gayer, zu sich. „Was hast Du für einen Scheiß geschrieben?“, begrüßte Balakov den verdutzten Journalisten und versetzte ihm nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten zwei Backpfeifen und eine Kopfnuß. Dann verabschiedete das bulgarische Ballgenie den Pressemann mit der Warnung: „Paß auf, ich bin Ausländer und kein Deutscher. Halte Dich künftig bloß von der Mannschaft fern. Ich mach Dich kaputt.“ Gayer hatte beschrieben, wie Balakov, der in Stuttgart mit sechs Millionen Mark Jahresgehalt Topverdiener ist, seinen Spielerberater in den VfB-Führungsgremien installieren wollte, um noch mehr Einfluß auf die Vereins- und Personalpolitik zu gewinnen.

Im Jahr davor war es im Winter-Trainingslager bereits zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen VfB-Mannschaftskapitän Frank Verlaat und dem Journalisten Jürgen Löhle, ebenfalls „Stuttgarter Nachrichten“, gekommen. Verlaat hatte in einem durchaus wohlwollenden Artikel die Charakterisierung als „Softie“ derart in Rage gebracht, daß er dem Reporter die Brille von der Nase schlug und sie wutentbrannt zertrat. Auch der VfB-Akteur Torsten Legat soll Journalisten in der Vergangenheit wiederholt mit Prügel gedroht haben.

Daß sich Fußballprofis zunehmend auf tätliche Auseinandersetzungen verlegen, hängt für den Sportjournalisten Martin Hägele „damit zusammen, daß sich das Selbstwertgefühl bei vielen Unterhaltungsstars übers Konto und den Beifall in der Arena definiert“. Andererseits hapere es häufig an der Verständigung. Hägele, ein langjähriger Beobachter des Fußballmilieus, mutmaßt: „Auf Bravo-Sport trainierte Profis haben heutzutage wohl zwangsläufig Probleme mit der Zeitungslektüre.“

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