Können Reporter und Politiker Freunde sein?

Recherche und PR: Beim „netzwerk recherche“ werden wieder alte Fragen diskutiert – und das ist gut so

Der Bundeskanzler war gut gelaunt und wollte mal ein Geheimnis lüften: Acht Zeitungen lägen täglich auf seinem Tisch, und als die Gäste des „netzwerks recherche“ bei dessen Jahrestreffen im Konferenzzentrum des NDR wissen wollten, welche er zuerst zur Hand nehme, zierte sich Gerhard Schröder nicht: Die „Financial Times Deutschland“ (FTD). Ein weiblicher Jauchzer von rechts, der Kanzler grinste amüsiert. Noch mehr Grund zum Lachen hatten die fast 500 Zuhörer, als Schröder eine Alltagserfahrung schilderte: Häufig träten investigative Fernsehreporter an ihn heran mit der Frage: „Herr Bundeskanzler. Und?“

Der Journalismus, der Eindruck konnte am 24. Mai in Hamburg entstehen, ist auf den Hund gekommen. Entschuldigungen dafür fanden seine Vertreter zuhauf: Schrumpfende Budgets und Redaktionsteams bei wachsenden Aufgaben unter zunehmendem Konkurrenz- und Aktualitätsdruck. Und wenn, wie etwa an der FH Hannover, der PR- und der Journalistennachwuchs in den ersten vier Semestern gemeinsam studiere, was sei da zu erwarten?

Doch das Netzwerk ergab sich nicht einer larmoyanten Betrauerung der guten alten Zeit, der tags zuvor die Feier „40 Jahre Weltspiegel“ beinahe erlegen wäre, die Mitglieder suchten vielmehr Auswege. Zwei vernachlässigte Themen werden in der Zunft endlich wieder diskutiert: Mangelhafte Recherche sowie die Korrumpierbarkeit von Journalisten.

Keiner ist käuflich

Jenseits des Falls Hunzinger / Scharping / Journalismus scheint das Problembewusstsein nicht nur bei jungen Kollegen längs verschüttet zu sein. Alle bestreiten, käuflich zu sein, aber Geiz ist offenbar auch unter Journalisten geil; Journalistenrabatte werden gern genommen. Sich beispielsweise einen Flug sponsern zu lassen, verstößt gegen die Etikette und ist Korruption, wenn der Begünstigte später schreibt, dass die Fußballmannschaft von Hertha BSC mit dieser Linie ins Trainingslager geflogen sei. Dass Frauenzeitschriften häufig bessere Werbeblätter sind, wurde ebenso beklagt wie die Gepflogenheiten im Reise- und Autojournalismus. n-tv-Chefredakteur Markus Föderl sah sich unter den inquisitorischen Fragen von Netzwerk-Vorstandsmitglied Thomas Leif genötigt, zu versprechen, bezahlte Firmenportraits stets als Werbung zu deklarieren sowie fremdfinanzierte Reisemagazine einzustellen. Werner Funk, der vor „Stern“ und „Spiegel“ das „Manager Magazin“ geleitet hatte, wünschte auch den Wirtschaftsmagazinen wieder mehr Distanz, ihrem Personal statt Kumpanei Skepsis und permanentes Misstrauen: „Der Journalismus hat sich abhängig gemacht“, urteilt Funk, und das sei selbst verschuldet.

Kaum PR-freie Räume

Embedded Journalism sei in der deutschen Politikberichtserstattung die Regel, stellte Hans-Ulrich Jörges („Stern“, stellvertretender Chefredakteur) fest. Dass Redaktionen ihren Mitarbeitern Politikfelder und Parteien zuteilen, erhöht zwar die Effizienz, aber auch die Möglichkeiten für die Politik, Druck auf Journalisten ausüben. Deren „Manndecker“ (Jörges) versuchten immer wieder, Chefredakteure zu veranlassen, die ihnen zugeteilten Redakteure auszutauschen gegen freundlichere Berichterstatter. Die Verantwortung liege aber auch bei denjenigen Journalisten, deren Strategie vorauseilender Gehorsam sei, um im Geschäft zu bleiben. Jörges verhehlte nicht, jene Kollegen zu schelten, die Wahl- und Politikberatung machen, während sie noch bei Redaktionen in Lohn und Brot stehen. Paragraf 1 in der Ausbildung von Journalisten müsse lauten: „Der Politiker ist dein Gegner. Wer politischen Journalismus machen möchte, muss das begriffen haben.“ Jörges empfiehlt sich als Vorbild: „Ich duze mich nicht mit Politikern, ich gehe nicht zu deren Geburtstagen, und ich lade sie auch nicht ein.“

Klaus Harpprecht ging das zu weit. Er nannte Jörges‘ Verhalten „pubertär“. Immerhin aber warnte auch der Journalist und ehemalige Berater von Willy Brandt vor „Vertrauensseligkeit, die die billigste Form der Bestechung“ sei.

Auch der Bundeskanzler hatte es zuvor, befragt von Jürgen Leinemann („Spiegel“) und dem Publizisten Michael Jürgs, als „normal“ beurteilt, dass sich zwischen Politikern und Reportern Freundschaften ergeben. Nur sollten die einen dann nicht mehr über die anderen schreiben. Des Kanzlers verblüffende Begründung: Das gehe meist zu Lasten der Politiker, weil der Journalist kritischer als üblich urteile, um nicht in den Verdacht zu geraten, Gefälligkeitsgeschichten zu schreiben.

„Im Journalismus gibt es nicht mehr viele Flecken, die PR-frei sind“, resümierte Funk. Ob man sich dem Mechanismus von Belohnung und Bestrafung hingibt oder nicht, so Jörges, sei eine Charakterfrage. Anfällig sei jeder und jede. Michael Hallers Prophezeiung lässt für die Zukunft einiges erwarten: Bisher stünden 15 000 Beschäftigten im PR-Bereich etwa 60 000 Journalisten gegenüber, die Hälfte arbeite tagesaktuell. Der Leipziger Journalistikprofessor erwartet eine Angleichung dieser Zahlen, vielleicht sogar wie in den USA ein Übergewicht der PR. Wie sollen da „Immunisierungsstrategien“ aussehen? Um insbesondere dem Nachwuchs wieder zu verdeutlichen, was verpönt ist, lautet Hallers Vorschlag: Die großen Tageszeitungen wie „SZ“ und „FAZ“ sollten, wie jüngst die New York Times, einen Verhaltens- oder Ehrenkodex erstellen, der für ihre Redakteure gilt. Das hätte nicht nur Vorbildcharakter, sondern wäre auch gelungene PR.

Verschlossene Auster für Aldi

Dass Recherche mehr ist als dem Kanzler ein Mikrofon unter die Nase zu halten, versucht das „netzwerk recherche“ seit zwei Jahren wieder ins Bewusstsein zu heben. Insbesondere junge Journalisten sollen ermutigt werden, die Mühe der Recherche auf sich zu nehmen. Dafür vergibt der Verein Stipendien (Anträge auf der Homepage: www. netzwerkrecherche.de). Auch ein „Trainingshandbuch Recherche“ ist inzwischen erschienen (nebenstehende Rezension). Weil Recherche erschwert und bei der Verweigerung von Auskünften ein Grundrecht behindert wird, stellt das Netzwerk jedes Jahr einen Preisträger an den Pranger und vergibt die „Verschlossene Auster“. Dieses Mal erhielt Aldi diese zweifelhafte Trophäe, weil die Informationspolitik des Hauses eher der von Diktaturen gleicht als den Grundsätzen und Möglichkeiten einer demokratischen Gesellschaft. Aldi, so die Jury, erteile keinerlei Auskünfte an die Presse.

Abschließend diskutierten sechs Chefredakteure großer deutscher Zeitungen die Krise des Zeitungsmarkts. Zwei Szenarien scheinen möglich: Dünnere Qualitätszeitungen zu höheren Preisen bis zu drei Euro, die nur noch eine Lese-Elite sich leisten kann und wird, wie Werner Kilz („SZ“) erwartet. Für die überregionalen Zeitungen der Provinz dagegen sieht Stephan Richter (Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverband) eine Zukunft, die sich eher zum kostenlosen Blatt auf Anzeigenblattniveau orientiert.

Doch zu diesem Zeitpunkt hatte der Kanzler der verzagten Gemeinde längst zugesichert, möglichst bald darüber reden zu wollen, „wie die politischen Rahmenbedingungen gestaltet werden müssten, um das wirtschaftliche Überleben der Unternehmen zu gewährleisten“. Schröder möchte geprüft sehen, ob das Kartellrecht noch zeitgemäß sei, Subventionen werde es aber keine geben.

Damit waren alle Fragen geklärt – bis auf eine: Ob die „FTD“ künftig damit werben wird, die Lieblingszeitung des Kanzlers zu sein, war nach der Veranstaltung nicht in Erfahrung zu bringen.

 

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