Der Rotstift regiert an der Freien Universität Berlin
Es steht schlecht um die Zukunft des Studiengangs Journalistenweiterbildung (JWB) an der Freien Universität (FU) Berlin: Das europaweit einzigartige Angebot, das Journalistinnen und Journalisten ein berufsbegleitendes und praxisorientiertes Studium ermöglicht, wird vermutlich in der jetzigen Form nicht weiter bestehen können.
Die insgesamt fünf JWB-Stellen waren bei der Planung der FU mit dem Vermerk „kw“ (künftig wegfallend) versehen worden, sie werden also nach dem Weggang des derzeitigen Stelleninhabers nicht neu besetzt. JWB-Chef Stephan Ruß-Mohl befürchtet, dass schon ab Herbst keine neuen Studenten an der JWB aufgenommen werden können. Mit Entrüstung und Verwunderung reagierten darauf Mitglieder des Beirats der JWB, dem neben Einzelpersonen Vertreter von Journalisten- und Verlegerorganisationen sowie der Studentenschaft angehören. „Diese Pläne sind ein Schlag gegen die Weiterbildung auf universitärer Ebene schlechthin“, stellte der Berliner Journalist Wolf Schneider fest. „Die JWB ist einer der wenigen Studiengänge, der die so oft vermisste Brücke zwischen Uni und Praxis schlägt – ein Ansatz, dem sich auch andere Fachbereiche endlich öffnen sollten, wenn die FU zukunftsfähig sein will.“
Publizistikprofessor Ruß-Mohl zweifelt an der Zweckmäßigkeit der FU-Rotstiftpläne: „Die Stellenstreichungen bei uns würden keine signifikanten Einsparungen für die FU bringen“, erklärte er. Die Uni bezuschusse den 1,8-Millionen-Jahresetat der JWB nur mit knapp 727000 Mark. „Das ist nicht mehr, als man einem einzigen hochqualifizierten Experten für Unternehmenskommunikation in der Wirtschaft als Jahresgehalt bezahlen würde.“ Ruß-Mohl äußerte die Vermutung, dass das Institut für Publizistik, zu dessen Aufgabenbereichen das Journalistenkolleg gehört, die Streichungen veranlasst hat. Plötzlich gebe es Bestrebungen, so die Beobachtung des JWB-Chefs, „entgegen der bislang organisatorisch und haushaltlich angestrebten Unabhängigkeit das Kolleg dem Institut einzuverleiben und die 40 Studienplätze zu kassieren“. Außerdem, so der Publizistikprofessor, gebe es Überlegungen, das Journalistenkolleg in ein „Center for Public Communication“ umzuwandeln, „um künftig zahlungskräftigere Zielgruppen zu bedienen“. Diese Behauptungen wies der Geschäftsführende Direktor des Instituts, Lutz Erbring, entschieden zurück: „Wir haben weder auf den Stellenplan Einfluss noch könnten wir die 40 Studienplätze der JWB einkassieren“, unterstrich er und betonte gleichzeitig, dass das Institut der JWB keine weiteren Stellen zuweisen könne, weil dies die eigene Aufnahmekapazität beeinträchtigen würde.
Sicherung der Europäischen Journalistenprogramme?
Allein für den internationalen Bereich des Journalistenkollegs werden Zugeständnisse gemacht: Das Institut wird, so Erbring, die einzige verfügbare Stelle für die wissenschaftliche Geschäftsführung bereitstellen. Gesichert sind damit die Programme Europäische Journalisten-Fellowships (EJF) und Journalisten aus Russland (JaR), die mit der JWB unter dem Dach des Kollegs vereint sind. Im Rahmen des EJF-Programms erhalten jährlich zehn bis 15 erfahrene Journalisten aus Europa und den USA die Gelegenheit, einen zweisemestrigen Studienaufenthalt in Berlin zu verbringen und an einem persönlichen Projekt zu arbeiten. Das JaR-Programm bietet zweimal pro Jahr rund zehn jungen russischen Journalisten einen dreimonatigen Aufenthalt an der FU mit einem maßgeschneiderten Seminarprogramm und einer anschließenden Hospitanz in einem Berliner Medienbetrieb.
An der JWB studieren derzeit rund 160 Journalistinnen und Journalisten, knapp 200 haben das sechssemestrige Regelstudium bereits mit einem akademischen Grad abgeschlossen. Zur Absolventenriege gehören u.a. die heutigen Chefredakteure des „Badischen Tagblatts“ oder der „Rhein-Neckar-Zeitung“.
Um das Studienangebot auch weiterhin abzusichern, ist das JWB-Team bereits aktiv geworden: Es organisierte Informationsrunden zur Zukunft des Studiengangs; in einem Schreiben an 35 seit langem mit der JWB verbundene Hochschullehrer aus Berlin und Potsdam bat Ruß-Mohl um ein „Notopfer“ in Form der Übernahme von Kompaktseminaren oder der Betreuung von Fernstudieneinheiten. Die Resonanz ist überwältigend: „Selbst für den Fall, dass weitere Mitarbeiter das Kolleg vor Vertragsablauf verlassen sollten, können wir das Lehrangebot über die nächsten drei Jahre absichern“, resümiert Ruß-Mohl zufrieden. Damit gebe es keinen Grund mehr, ab Herbst keine neuen Studenten zuzulassen. Das sieht Institutsdirektor Lutz Erbring anders: „Mit dem Studiengang kann es so nicht weiter gehen – es gibt keine Ressourcen mehr dafür“, meint er. Angesichts rückläufiger Bewerberzahlen müsse man sich fragen, ob der Bedarf für diesen Studiengang überhaupt noch in ausreichendem Maß vorhanden sei. Heutzutage gäbe es immer weniger Journalisten, die ihren Job ohne Hochschulabschluss ausübten und der Nachholbedarf aus den neuen Bundesländern sei auch weitestgehend abgedeckt. „Die JWB hat zu ihrer eigenen Abschaffung erfolgreich beigetragen – das ist doch eine positive Bilanz“, stellte Erbring fest. Studierende, Absolventen und große Kreise der Medienbranche sehen das ganz anders und setzen sich für den Erhalt des Studiengangs ein. Auch Stephan Ruß-Mohl lässt nicht locker. Doch die Tage des engagierten JWB-Chefs an der FU Berlin sind gezählt: Er führt derzeit mit der Universität in Lugano Berufungsverhandlungen, der Wechsel in die Schweiz gilt als fast sicher. Noch ist nicht klar, wer sein Nachfolger am Journalistenkolleg wird.
„Ein Orientierungspunkt für den Berufsstand“
FU-Vizepräsidentin Gisela Klann-Delius hatte bereits Ende Juni angekündigt, dass sie dem Unipräsidium eine Vorlage zur Lösung des Stellenproblems an der JWB präsentieren wolle. Wie diese jedoch aussehen könnte, ist bislang unbekannt. Dennoch bleibt Ruß-Mohl optimistisch: „Das Journalistenkolleg ist so etwas wie ein Leuchtturm – nicht nur für diese Universität, auch für den Journalismus. Ein Orientierungspunkt für einen Berufsstand, der Wegweisung und wissenschaftliche Erkenntnis nötig hat, wenn er sich nicht in den Belanglosigkeiten der Spaßgesellschaft in Nichts auflösen soll. Diesen Leuchtturm abzureißen – das kann die FU nicht wirklich wollen.“