Komplizen von Katars „Sportswashing“?

Symbolfoto: 123rf

Am 20. November startet die Fußball-WM in Katar. Über die Schattenseiten dieses Mega-Events – WM-Baustellen und Sklavensystem, Diskriminierung queerer Personen und Frauen, Korruption – wurde in den letzten Monaten viel publiziert. Wie kann in dieser Situation eine Medienberichterstattung gelingen, die die Balance zwischen Sportjournalismus und den Erwartungen einer kritischen Öffentlichkeit schafft?

Schon bei vergangenen sportlichen Großereignissen wie der Fußball-WM in Russland und den Olympischen Spielen in Peking wurde ein Dilemma deutlich: Sobald der Anpfiff erfolgt bzw. die Eröffnungsfeier zelebriert wird, rückt für die meisten Journalist*innen das Kerngeschäft in den Fokus – die Berichterstattung über die sportlichen Highlights, das Wohl und Wehe der Stars usw. Vor allem den TV-Redaktionen geht es nach bisherigen Erfahrungen dann in erster Linie darum, mit einem guten Produkt hohe Quoten zu erzielen. Zu viel Kritisches, so wird vielfach befürchtet, könne das unterhaltungsfixierte Publikum verprellen.

Ob das auch bei der hoch umstrittenen Fußballshow im Wüstenstaat Katar möglich sein wird? Die Gastgeber selbst dürften kein Interesse daran haben, dass die Welt über das rein Sportliche in den Stadien hinaus auch mit gesellschaftlichen Missständen im Emirat konfrontiert wird. An die 200 Milliarden Euro haben die Scheiche in das Turnier investiert. Es ist zentraler Baustein einer Imagekampagne, die das Emirat definitiv als globalen Player im internationalen Sport profilieren soll.

Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, wurden die Akkreditierungsanträge für Journalist*innen durch eine Liste mit Regeln ergänzt, die für alle Wort- und Bildberichterstatter*innen und TV-Teams gelten. Nach Informationen des britischen „Guardian“ und des „Stern“ laufen diese Regeln auf massive Zensur hinaus. Verboten sind nicht nur – wie international nicht unüblich – Aufnahmen von sicherheitsrelevanten Gebäuden wie etwa Ministerien oder Militäreinrichtungen, sondern auch Bilder aus privaten Haushalten, Firmen und Büros. Darunter fallen folglich auch Unterkünfte, in denen migrantische Gastarbeiter untergebracht sind. Übrig bleiben für die Berichterstattung vor allem Fanmeilen, Glitzerfassaden und natürlich die WM-Stadien selbst.

Keine guten Vorzeichen für eine an westlichen Kriterien orientierte Medienarbeit. Im Pressefreiheit-Ranking von Reporter ohne Grenzen (RoG) belegt Katar Platz 119 unter 180 Staaten. Angesichts der repressiven Rahmenbedingungen ist von einheimischen Medien kaum zu erwarten, dass sie während des kommenden Mega-Events irgendwelche Informationen verbreiten, die am erwünschten Bild von der „besten WM aller Zeiten“ (so Gianni Infantino, Präsident des Weltfußballverbands FIFA) kratzen. Das gilt auch für Al-Dschasira, einen der einflussreichsten Nachrichtensender in der arabischen Welt. „Kritik an der stark verbesserungswürdigen Situation der Gastarbeiter*innen, die den größten Teil der Bevölkerung ausmachen, sucht man bei Al-Dschasira vergeblich“, heißt es auf der ROG-Homepage.

Falls die katarischen Autoritäten mit den publik gewordenen Auflagen tatsächlich Ernst machen sollten, liefe das auf einen klaren Einschnitt in die freie journalistische Arbeit hinaus. „Nur die glitzernde Fassade zu zeigen, hat mit Journalismus nicht viel zu tun“, moniert ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Hintergründige oder investigative Berichterstattung sei unter diesen Umständen nicht möglich. Wer sich über die faktische Kontaktsperre zu Privatpersonen hinwegsetze, setze seine journalistischen Quellen zudem einem nicht verantwortbaren Risiko aus.

Dass die lokalen Behörden bei Verstößen gegen ihre strengen Auflagen mit Repressionen antworten, haben sie in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. Erst im November 2021 wurden zwei norwegische Journalisten verhaftet und 36 Stunden festgehalten. Ihr Vergehen: Sie hatten zu den Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitern an verschiedenen WM Austragungsorten recherchiert. Derart robuste Eingriffe sind während des vier Wochen langen Fußball-Festivals eher unwahrscheinlich. Doch erst wenige Tage vor der WM gab es einen neuen Eklat: In einem Interview für die ZDF-Doku „Geheimsache Katar“ bezeichnete der ehemalige Nationalspieler und offizielle WM-Botschafter Khalid Salman Homosexualität als „geistigen Schaden“. Worauf der das ZDF-Team bei den Dreharbeiten begleitende Pressesprecher des WM-Organisationskomitees das Gespräch abbrach.

Totschweigen lassen sich solche Themen indes nicht. Kurz vor dem Eröffnungsspiel am 18. November strahlen n-tv und RTL+ die Doku „Rote Karte statt Regenbogen – Homosexuelle in Katar“ aus. Wer eine informative Einstimmung auf das Event wünscht, dem sei die WDR-Reihe „Katar – WM der Schande“ der „Sport Inside“-Redaktion aus der ARD-Mediathek empfohlen.

Allein ARD und ZDF haben an die 200 Millionen Euro für die Übertragungsrechte bezahlt und seit der Vergabe der WM an den Wüstenstaat im Jahr 2010 eine ganze Reihe kritischer Dokumentationen gesendet. Es gebe gute Gründe, die für das WM-Engagement der Öffentlich-Rechtlichen in Katar sprechen, heißt es auf der Homepage des koordinierenden Südwestrundfunks. Dazu gehöre laut ARD-Programmdirektorin Christine Strobl und ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten nicht zuletzt eine „Verbesserung der kritischen Verhältnisse über öffentliche Aufmerksamkeit“.

Printjournalisten dürften während der WM nicht so minutiöser Kontrolle unterliegen wie ihre TV-Kolleg*innen. Man erwarte „keine bequeme WM“, sagte „Kicker“-Chefredakteur Jörg Jakob am 7. November auf einem Forum der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur in Nürnberg. „Es gibt Grund zu der Annahme, dass in Katar die Pressefreiheit eingeschränkt wird“, so Jakob, „aber wir müssen das austesten“. Die Berichterstattung werde an den Spieltagen sicher nicht nach 90 Minuten Fußball enden. Eine totale Verweigerungshaltung sei für sein Blatt „keine Option“, einen „Fernglas-Journalismus“ dürfe es nicht geben. Die Kicker-Redaktion reist mit sieben Mitarbeiter*innen an den Golf.

Oliver Fritsch, Sportredakteur von Zeit Online, ist sich des Risikos bewusst, mit seiner Präsenz bei der WM Teil der PR-Strategie des Emirats zu werden. Zwar plagen ihn Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns, aber „man möchte auch nicht der Sofa-Moralist sein“, bekannte er in Nürnberg. Er erwartet vor Ort „eine globalisierte Elite in klimatisierten Stadien“. Von Anfang an sei die Wahl Katars als Austragungsort der WM absurd gewesen: Mangels eigenständiger Fußball-Liga und der Abwesenheit von Breitensport habe der Neubau von acht Stadien nicht das Geringste mit Nachhaltigkeit zu tun.

Fritsch hofft auf die Widerständigkeit einer neuen Generation von Sportjournalist*innen. Für sie gehöre – neben der „reinen“ Sportberichterstattung – der kritische Umgang mit gesellschaftspolitischen Themen mittlerweile fast schon selbstverständlich zum sportjournalistischen Spektrum. Damit, so bleibt zu hoffen, vermindert sich die Gefahr für die Medien, als Komplizen von Katars Strategie des „Sportswashing“ missbraucht zu werden.

 

 

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