Unterschiede aushalten und Gemeinsamkeiten benennen
Zur Auflockerung mal stehen: Die Fishbowl-Diskussion „Stärken der Debattenkultur durch konstruktiven Journalismus“ lud zum offenen Debattierkreis ins ver.di Atrium ein. Ins „Goldfischglas“ der „Fishbowl“ mit Laura Goudkamp, Hanna Israel und Tina Fritsche auf der Bühne durfte jeder springen, der Fragen oder Meinungen zum Thema beisteuern wollte.
Hanna Israels Plattform „My Country Talks“ hat weltweit bereits eine viertel Million Menschen zu Vier-Augen-Gesprächen zusammengebracht mit der Absicht, Unterschiede auszuhalten und Gemeinsamkeiten zu benennen, zu fragen, „was vereint und nicht nur, was trennt“. Das Bedürfnis, sich auszutauschen sei riesig, wie tausende Bewerbungen zeigten. Nach einem Fragebogen werden Gesprächspaare „gematcht“ – Jung, Alt, Frau, Mann, Divers mit unterschiedlichen Biografien, Erfahrungen, Positionen.
Laura Gouldkamp, die sich seit vier Jahren mit kon-struktivem Journalismus beschäftigt und die digitale Transformation beim Bayrischen Rundfunk begleitet, sucht für ihre Formate immer neue Ideen. Gezielt sei sie auf die Korrespondenten von 30 ARD-Studios weltweit zugegangen mit der Frage, welche guten Beispiele und Lösungsansätze es neben den „harten Fakten“ – die oft als negative Beispiele das Denken beeinflussen – aus den Ländern gäbe. „Ich war überrascht, was da zum Weitererzählen zurückgekommen ist.“ Mit Instagram beispielsweise seien junge Menschen konstruktiv zu erreichen.
Menschen zusammenbringen und Offenheit schaffen
Elisabeth Knetsch, angehende Journalistin, sprang als erste aus dem Publikum ins „Goldfischglas“. Sie beschäftigt die Notwendigkeit, gesellschaftliche Probleme zu lösen und Verständigung zwischen Menschen herzustellen. Wie können sich Menschen austauschen, die das sonst nicht tun. Ist Journalismus dazu bereit? Kanäle dafür, meint Laura Gouldkamp, „müssen divers sein.“ Freie Presse sollte immer mit anderen Medienpartnern arbeiten. Um Offenheit zu schaffen, so Hanna Israel, sollte eine fragende und nicht eine endgültig fordernde Haltung eingenommen und Stimmen zu unterschiedlichen Perspektiven wiedergegeben werden.
Felix Huesmann vom Redaktionsnetzwerk Deutschland zeigte sich besorgt, wie in Projekten ein Bild entsteht. Sind Meinungen gleich viel wert? Wie war beispielsweise mit wissenschaftsfeindlichen Ansichten in der Corona-Zeit umzugehen? Gibt es rote Linien?
Alle, die sich bei ihrer Plattform anmeldeten, konstatiert Israel, würden überprüft, wer sich menschenverachtend zeige, könne kein Gespräch führen. Natürlich gäbe es Graubereiche, aber „wir wollen Menschen zusammenbringen.“ Und natürlich könne man beispielsweise über die Angst vor Impfungen sprechen.
Philipp Neumaier, Journalismusstudent, fragte, wie mit Opferschutz und Traumareaktionen umgegangen werde. Und wie die Meinung zu Influencern sei, die ohne journalistische Ausbildung Fehler machten? Das Screening für ihre Gesprächsplattform soll sichern, dass es nicht zu solchen Reaktionen kommt, berichtet Israel. Bisher seien das Einzelfälle. Rückmeldungen wären in der Regel positiv. Wobei auch ein Gespräch abgebrochen werde, wenn es sich als Zeitverschwendung erweise. Dass Influencer Erfahrungen nicht filtern, sondern zusammenwerfen, sei nicht zu verhindern. Wichtig sei, so Gouldkamp, dass Qualitätsmedien präsent sind. „Wir können moderieren und journalistisch einordnen. Über Social Media machen wir auch einen guten Job.“
Gefährlich: Schnelle Automatismen und niedrige Toleranzschwellen
Negative Nachrichten beeinflussen das Denken. Wie, so eine Frage der Moderatorin Fritsche, wirkt konstruktiver Journalismus? Sie persönlich könne etwas verändern, meint Gouldkamp. „Ich kann gute Beispiele suchen, bin offen für Hinweise und sehe, dass viel zurückkommt.“ So käme man weg von Ohnmachtsgefühlen. Gefährlich seien, so Israel, schnelle Automatismen und niedrige Toleranzschwellen. Lösungsorientierung zu finden, sei wichtig. „Ohnmacht ist für niemanden förderlich.“
Noelia Sanchez-Barón, Redakteurin für den „Stern“, interessierte, wie die Verbindungen zu Instagram, Tik Tok und anderen sozialen Medien aufgebaut seien. Es gäbe beispielsweise ARD Accounts, erklärt Gouldkamp, die von den Sendern mit wöchentlich wechselnden Chefs vom Dienst betreut würden. Aber insgesamt gäbe es zu derartigen Verbindungen noch manches zu besprechen.
Sarra Chaouch-Simsek, Lernende an der deutschen Journalistenschule, fragte, wenn konstruktiver Journalismus in sozialen Medien stattfinde – wie es dann in den öffentlich-rechtlichen Medien sei. Ja, meint Gouldkamp, auch im Fernsehen müsse das geschafft werden. Positive Effekte zeigten sich beispielweise im Weltspiegel. Redaktionen müssten Perspektivenvielfalt in der Strategie festschreiben und Strukturen ändern. Noch seien Führungsetagen weiß und männlich geprägt. Zudem sei Aufklärung nötig, findet Israel. Viele Journalistinnen und Journalisten wüssten noch nicht, was konstruktiver Journalismus ist.
Noch mal nach Beispielen für konstruktiven Journalismus befragt, verwies Gouldkamp auf amerikanische Plattform „Jubilee“, wo Formate in vielen Nuancen zusammenkommen und „Menschen willkommen“ sind. Israel sieht Chancen, sich aus unterschiedlichen Perspektiven anzunähern. Ganz verschiedene Menschen in Interviews zusammenzubringen, sich dabei auch höchst kritischen Fragen zu widmen und bedachtsam damit umzugehen, brächte „unfassbare Expertise“.