Kurzer Weg zum Frust

Junge Journalist*innen wollen mehr Berufs- und Lebensperspektive

Immer weniger junge Menschen suchen den Berufseinstieg in den Journalismus. Die Bewerbungszahlen für die Volontariate gehen zurück. Bei den ARD-Sendern hatten sie sich schon 2020 zum Teil halbiert, da waren die jüngsten Turbulenzen noch gar nicht absehbar. Über den Nachwuchsmangel bei Zeitungen hat „M“ immer wieder berichtet. Doch das Problem ist nicht nur, guten Nachwuchs für die Redaktionen zu finden, sondern ihn auch zu halten. Was die jungen Leute vergrault, damit beschäftigen sich inzwischen Medienforschung und Debattenrunden.

Wie regionale Medienhäuser attraktive Arbeitgeber werden, fragt die Konferenz für Führungskräfte im Lokaljournalismus aus Deutschland, Österreich und der Schweiz „L100“ Ende September auf Schloss Esterhazy in Eisenstadt. „Finden“ und „halten“ sind hier die wesentlichen Begriffe. Das Finden ist schwieriger geworden, bestätigt Ella Schindler, Volontärsbetreuerin beim Verlag Nürnberger Presse. Bei ihrem regelmäßigen Austausch im Netzwerk von Ausbilder*innen hört sie vor allem aus den kleineren Verlagshäusern Klagen. Dabei sei der Lokaljournalismus inzwischen in vielen Häusern bunt und vielfältig geworden mit seinen verschiedenen Ausspielwegen. Diese Breite der Ausbildung werde von den Verlagen nicht genug beworben. In Nürnberg sei die Basis an Bewerbungen noch groß genug, so dass die Jahrgänge mit je sechs Volos noch möglichst vielfältig besetzt werden können. Darauf legt Schindler besonderen Wert, und zwar nicht nur auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, sondern auch auf kulturelle und berufliche Vielfalt wie in der sexuellen Orientierung.

Karikatur: dieKleinert/Rudolf Schuppler

Work-Life-Balance

Mehr Werbung in eigener Sache machen, um für Bewerber*innen attraktiv zu sein, das sieht auch Miriam Scharlibbe, Chefredakteurin Content und Entwicklung im Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag sh:z in Flensburg als unbedingt erforderlich an. Aber sie sieht einen anderen Schwerpunkt: Der Wohn- und Freizeitwert des Arbeitsplatzes habe eine viel höhere Bedeutung bekommen. Familienbindung, eigene Familiengründung, die Work-Life-Balance spielen eine deutlich höhere Rolle bei den jungen Journalistinnen und Journalisten, die langfristig planen, „sesshaft werden“ wollen, wie Scharlibbe es nennt.

Die langfristige Perspektive ist auch für den Verlag nach Personaleinsparungen in den vergangenen Jahren sehr wichtig geworden, denn die Zahl der sogenannten „Boomer“, deren Rente bald bevorsteht, ist hoch in den Redaktionen. Die Ausbildung, sei es im dreijährigen Volontariat mit Master an der Fachhochschule Kiel oder im zweijährigen Volontariat für diejenigen, die nicht noch ein Studium draufsatteln wollen, dient dem eigenen Haus.

Mit dem Spruch „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“ hat der „Schwarzwälder Bote“ schon vor Jahren geworben. Inseln, Strände, landschaftliche Schönheit spielen bei der Personalsuche des sh:z etwa bei Linked-In inzwischen eine große Rolle. Und sollte sich jemand mit Abwanderungsgedanken tragen, versucht Scharlibbe, ihr oder ihm Abwechslung durch eine andere Aufgabe in Redaktionen oder bei Reportagen zu bieten.

Wie schnell aus der Lust auf den Journalismus im Berufsalltag Frust werden kann, das waren ernüchternde Erkenntnisse für Vera Katzenberger, die für ihre Dissertation an der Uni Bamberg die Fragebögen von 228 jungen Journalist*innen aus dem Herbst 2021 ausgewertet hat. Alle hatten ein Medien- oder Journalismusstudium, teilweise noch eine Journalistenschule zusätzlich, absolviert. Mit 25 von ihnen hat sie für ihre Arbeit „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Ausbildung und Kompetenzen für professionellen Journalismus“ noch ausführliche Interviews geführt. Alle Befragten waren inzwischen ein bis sieben Jahre im Beruf. Bei vielen war von der anfänglich hohen Motivation hauptsächlich Desillusionierung übriggeblieben. Was ihnen im Rückblick in der Ausbildung an den Hochschulen fehlte, waren Module zu Selbstständigkeit, Formatentwicklung, Finanzierungsmodellen, Marketing und Branding in Social Media.

Eine erstaunliche Themenpalette, wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen zurzeit der Befragung angestellt waren. Aber nur mit befristeten Verträgen und gefühlt mit wenig Aussicht, dass sich dies bald ändern könnte. Viele sahen eine eher unfreiwillige Freiberuflichkeit auf sich zukommen, auf die sie sich nicht vorbereitet fühlten.

Niedrige Honorare, keine Zeit für Recherche, Unterbesetzung in den Redaktionen, Tempo statt Qualität, schnelle Klickzahlen statt Hintergrund, lockere Umgangsformen, die im Streitfall doch in einer strengen Hierarchie enden, Tarifflucht und Sparrunden sind weitere Gründe für die Demotivierung junger Mitarbeiter*innen. Auch Zusammenlegungen von Redaktionen sind oft von Frust begleitet. Das hat eine junge Journalistin aus Süddeutschland erlebt, als das Boulevardblatt und die Tageszeitung aus demselben Verlag verschmolzen wurden und der Boulevard künftig den Ton angab. Als ihr nach fester freier Mitarbeit, Volontariat und einem Jahr als Redakteurin wieder nur ein Jahresvertrag angeboten wurde und sich auch keine Änderung dieser Arbeitgebertaktik abzeichnete, wechselte sie die Branche.

Aus dem Beruf herausgedrängt

Jana Rick forscht für ihre Doktorarbeit an der Uni München nach den Gründen für die Berufswechsel. Sie hat im Winter 2020/21 im Anschluss an eine Umfrage des Lehrstuhls zur Prekarisierung im Journalismus bei den Aussteiger*innen nachgehakt: „Die Entscheidung, den Journalismus-Beruf aufzugeben, kann von sehr verschiedenen Faktoren abhängen, nicht immer führt ein einzelnes konkretes Motiv zum Ausstieg“, berichtet sie M. Viele der Befragten hatten sogar den Eindruck, aus dem Beruf herausgedrängt zu werden. Sie wanderten ab in die PR, in den Tourismus, zu Headhuntern oder als gesuchte Quereinsteiger in die Schulen. Lange werden sich die Arbeitgeber in der Medienbranche so einen Exodus bei sinkenden Bewerber*innenzahlen nicht mehr leisten können.

 

 

 

 

 

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