Ausbildung beim Duisburger Stadtfernsehen Studio 47
Ich war Fernsehkind“, sagt Vanessa Wiebe, die davon träumte, „selber einmal TV-Beiträge zu machen“. Seit April 2022 ist sie eine von vier Volontär*innen beim privaten Stadtfernsehen Studio 47 in Duisburg. Nachwuchsförderung ist für Chefredakteur Sascha Devigne wichtiger denn je: „Wenn wir heute nicht ausbilden, fehlen uns morgen im Ruhrgebiet die Journalisten für einen öffentlichen Diskurs, der die Demokratie stärkt.“
In den vergangenen Jahren nimmt das Interesse junger Menschen am klassischen Journalismus ab, sie wählen eher den Weg in die PR oder bauen eigene Online-Kanäle auf, konstatiert Devigne im Gespräch mit M. Ein Grund sei die Entlohnung. Volontär*innen in Medienhäusern erhielten 1.000, 1.200 Euro im Monat, Trainees in der Unternehmenskommunikation 3.000 Euro. „Wir können da nur punkten, wenn wir die Auszubildenden nicht als billige Arbeitskraft nutzen, sondern ihnen Professionalität vermitteln und ihre Persönlichkeit entwickeln“, so Devigne. Das funktioniere, wenn ihnen die „Berufung“ wichtiger sei als viel Geld zu verdienen.
Der Verdienst war auch für Vanessa Wiebe, die bei ihrer Volo-Bewerbung mehrere Angebote erhielt, nicht ausschlaggebend: „Ich muss über die Runden kommen, aber Geld verdienen kann ich noch mein Leben lang“, erklärt sie im Gespräch mit M. Wichtig sei ihr, dass sie bei Studio 47 „sofort Teil des Teams“ wurde und sich nicht fühlte „wie eine Ameise unter vielen“. Das wäre in einem größeren Medienhaus so gewesen, wo sie zwar mehr verdient hätte, aber eine von 20 Volontär*innen gewesen wäre, die zudem „alle paar Monate den Standort wechselten“.
Traumberuf Journalistin
Vanessa Wiebe kam auf Umwegen zum Duisburger Stadtfernsehen, wo sie ihren „Kindheitstraum“ erfüllen kann. Nach dem Abitur studierte sie einige Semester Theaterwissenschaften, begann eine Ausbildung als Mediengestalterin und dann auf Anraten der Eltern ein Lehramtsstudium: Englisch und Geschichte. Während des Praxissemesters, das wegen des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2021 verkürzt wurde, stellte sie bereits nach vier Wochen fest: „Das ist nicht meine Welt!“ Nach einem Praktikum in der Redaktion von Radio Bochum merkte sie, dass die journalistische Arbeit im Team „viel cooler“ ist als das „Alleinding“ einer Lehrerin: „Das ist genau das, was ich kann und was mir Spaß macht!“ Nach ihrem Masterabschluss im September schaute sie in einem Jobportal nach Volontariaten und bewarb sich. Das Duisburger Stadtfernsehen Studio 47 lud sie zu einem Vorstellungsgespräch und Probearbeitstag ein.
Im April startete sie dann ihr zweijähriges Volontariat gleichzeitig mit Tim Mahlo. Für ein gestelltes Thema organisierten die beiden den Dreh zusammen mit einem Kameramann. Studio 47 bildet auch Kameraleute aus – als „Mediengestalter Bild & Ton“. Zurzeit gibt es zwei Azubis. Die Volos Wiebe und Mahlo führten Interviews und am Nachmittag schnitten sie die O-Töne, schrieben die Zwischentexte und bauten den Beitrag zusammen. Nach einem Monat übten sie die Moderation für das abendliche Live-Magazin mit Chefredakteur Devigne, indem sie eigene Texte für die Vortagssendung präsentierten. Nach der vierten Testmoderation ging es dann auf Sendung. Inzwischen habe sie schon ihre dritten Sendung live moderiert, berichtet Vanessa Wiebe stolz. Das Moderieren und Beiträge schneiden mache ihr sehr viel Spaß, sie lerne „megaviel“ über Duisburg und in der Redaktion herrsche eine „Super-Stimmung“, schwärmt sie.
Die Redaktion besteht aus 18 Leuten, davon drei Praktikant*innen. Die Arbeit gliedert sich in zwei Bereiche: Die Live-Redaktion produziert die abendliche Magazin-Sendung. Hier arbeitet seit August außer ihr und Tim auch noch Volontärin Anna Zimmer. In der „Formate“-Redaktion produziert man etwa „Grenzenlos mobil“ oder eine Sendung für ukrainische Geflüchtete. Außerdem werden hier Aufträge wie Werbetrailer oder Imagefilme für Firmen bearbeitet. In diesem Bereich ist Jacqueline Upadek seit Juli als Volontärin beschäftigt.
Chefredakteur Sascha Devigne ist stolz auf die „erkleckliche Voloquote“ bei Studio 47 – zumal es nicht so einfach sei, Nachwuchs für Lokal- und Regionaljournalismus zu gewinnen: „Manche drehen nach dem Volo ein bis zwei Runden in der Redaktion und nutzen dann das Lokalfernsehen als Karriere-Sprungbrett. Viele sind beim öffentlich-rechtlichen WDR gelandet.“ Als „Fluch und Segen zugleich“ bezeichnet er das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden, das um die dreißig Jahre liegt. Einerseits sei es ein „Kampf gegen Windmühlen, wenn wir ständig neuen Nachwuchs holen müssen, andererseits bekommen wir frisches Blut, was sich wiederum positiv auf die Programmgestaltung auswirkt.“
Wie man Nachwuchs gewinnt
Es gebe auch in der Medienbranche einen Braindrain junger Talente, die es in klassische Medienmetropolen wie Berlin, Hamburg, Frankfurt zieht. Wir haben versäumt zu zeigen, „wie cool und sexy Lokal- und Regionaljournalismus sein kann.“ Für die Recruiting-Probleme stellte er im Juli bei den Lokalrundfunktagen in Nürnberg zwei Lösungen vor: „RuhrReporter – Medienmacher 4.0“ und das trimediale Format „Quarta Parete“ zur Gewinnung und Bindung der „Generation Z“, das heißt der jungen Menschen, die ab Mitte der 1990er Jahre geboren sind.
Das Projekt „RuhrReporter“ hat Studio 47 vor drei Jahren zusammen mit der Weiterbildungseinrichtung in Essen entwickelt – als „Bootcamp für den journalistischen Nachwuchs und Recruiting-Plattform für lokale Radio- und TV-Redaktionen“. Halbjährig gibt es für jeweils 12 Teilnehmende dreimonatige Kurse, in denen drei Kurzhospitanzen bei unterschiedlichen Medien enthalten sind. Finanziert wird das durch die Ruhrkonferenz, die auch infrastrukturelle Medienprojekte wie dieses zur Qualifizierung unterstützt. Für 99 Prozent der Kurs-Teilnehmenden sei das Abschlusszertifikat eine „Eintrittskarte für ein Volontariat“, berichtet Devigne und nennt Studio-47-Volontär Tim Mahlo als Beispiel. Er selbst fühle sich schon als „Volontärsmakler“, da er RuhrReporter-Absolvent*innen auch an andere Medienhäuser vermittelt – etwa an Ems-TV, die Funke-Medien-Gruppe oder eine Agentur, die Trainees sucht.
Das Projekt „Quarta Parete“ ging 2021 mit einer Förderung des Journalismus Lab der Landesmedienanstalt an den Start. Devigne bezeichnet das neue Format, das Fernsehen, Radio und Podcast in einer Live-Sendung miteinander verbindet, als „Spielwiese“ für den journalistischen Nachwuchs. Der Name „Quarta Parete“ stammt aus der Theatersprache und bezeichnet die unsichtbare (vierte) Wand des Bühnenraums zum Publikum, die durch eine aktiv beteiligte Community aufgebrochen werden soll. Projektpartner von Studio 47 sind die „Radio-Duisburg-Jugendredaktion“ der VHS und der Ruhrpodcast der Kommunikationsagentur Durian. Die Premierensendung zum Thema „Nachhaltigkeit ohne Verzicht“ wurde am 18. März 2022 ausgestrahlt. „Wir sind aktuell in den Vorbereitungen für die zweite „Quarta Parete“-Folge“, verrät Devigne. Sendetermin sei der 14. Oktober, das Thema „Zuhause im Dreck? Probleme und Chancen für den öffentlichen Raum“.
Um auch in Zukunft junge Menschen für (lokalen) Journalismus zu begeistern, so Devigne, müssten „sich Recruiting, Ausbildung und Formate ändern: niedrigschwelliger, crossmedialer und deutlich näher an der Zielgruppe“. Da scheint Studio 47 mit seinem Konzept auf gutem Weg zu sein: Tägliche Mitarbeit, Seminare bei Medienakademien wie ProContent oder der RTL-Journalistenschule in Köln, interne Fortbildungen – etwa Sprechtraining – und externe Hospitanzen. Außerdem sei das Stadtfernsehen Medienpartner der EU-Kommission geworden und könne die jungen Leute so auch damit locken, an Volo-Reisen nach Brüssel teilzunehmen. Das hat Vanessa Wiebe bereits gemacht. Es sei schon „irgendwie krass“ gewesen, so nah am Weltgeschehen zu sein. Aber so ein Lokalsender wie Studio 47 sei viel persönlicher und biete mehr Chancen, sich auszuprobieren. Es sei „der perfekte Ort, um richtig viel zu lernen!“
STUDIO 47
STUDIO 47 ist der regionale TV-Sender für das westliche Ruhrgebiet und den Niederrhein. Das Programm wurde mehrfach mit dem Deutschen Regionalfernsehpreis ausgezeichnet und zählt mit einer Reichweite von 650.000 Zuschauern zu den stärksten Medien der Region. Der Sender ist Medienpartner des Europäischen Parlaments, Mitglied des Bundesverbands Lokalfernsehen (BLTV) und Projektträger der Ruhr-Konferenz.