Mal halblang!

Erst durfte sie nicht, dann ließ man sie doch. Wegen eines missliebigen Berichts über den scheidenden IG-Metall-Vorsitzenden Jürgen Peters wurde die „tageszeitung“ (taz) vom Gewerkschaftstag ausgeschlossen. Um nach öffentlichen Protesten Tage später doch zugelassen zu werden.


Stein des Anstoßes: der Artikel „‘Stalins’ Erbfolge“, erschienen in der taz vom 3. September dieses Jahres. Darin berichtete der Gewerkschaftsexperte des linksalternativen Blattes kenntnisreich über die Stellungskriege und Personalrochaden vor dem Leipziger Gewerkschaftstag. Gegen Ende des umfangreichen Artikels fällt, bezogen auf Ex-IG-Metall-Chef Peters, der Satz: „Seine internen Gegner nennen ihn manchmal ‘Stalin’“. Das schmeckte dem Betroffenen offenbar nicht. Die IG-Metall-Pressestelle forderte eine Entschuldigung von der Zeitung. Eine Beschwerde, auf die das Blatt nicht reagierte. Doch auch nach der Rücknahme des Bannstrahls für den taz-Reporter sind die Wellen nicht geglättet. „Der Vergleich eines IG-Metall-Vorsitzenden mit Stalin ist eine Beleidigung und journalistische Grenzverletzung“, schrieb Peters-Nachfolger Berthold Huber der taz-Chefredaktion. Nun mal halblang, euer Ehren! Auch wenn man über Geschmacksfragen bei historischen Vergleichen trefflich streiten kann: Sowohl in der inkriminierten Headline wie auch im Text steht der Name des russischen Diktators in Anführungszeichen. Der Schreiber macht sich diese Charakterisierung also nicht zu Eigen, sondern greift zum Stilmittel des Zitats. Dass innerhalb von Gewerkschaften Flügelkämpfe auch mit harten verbalen Bandagen ausgetragen werden, dürfte hinlänglich bekannt sein. Den taz-Reporter als Überbringer der ungeliebten Botschaft abzustrafen, erscheint daher nicht überzeugend. Zumal der Artikel insgesamt der IG Metall wegen der „Abkehr von ihrem strengen Zentralismus“ einen positiven Imagewandel attestiert. Auch unter Gewerkschaftern sollte sich herumgesprochen haben, dass Majestätsbeleidigung hierzulande nicht mehr strafrechtlich geahndet wird. „Sie kämpft für die Rechte der Arbeiter, doch mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit scheint die IG Metall Probleme zu haben“ (Welt Online) – über solche hämischen Kommentare darf man sich sonst nicht wundern.
Aber auch die gelegentlich infantile Lust mancher Medien an billiger Provokation verdient Kritik. Dass die taz mit einer Headline wie „‘Stalins’ Erbfolge“ versucht, die Aufmerksamkeit der Leser zu fesseln – geschenkt! Es gibt Schlimmeres. Welche Folgen das publizistische Aufblasen etwa eines Diktators vom Schlage Saddams zum neuen Hitler gehabt hat, belegt die jüngere Geschichte. Aber das ist ja das Schöne an der Demokratie: Im Irak hätte den taz-Kollegen womöglich Schlimmeres ereilt als der kurzfristige Entzug seiner Akkreditierung.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

VG Wort ändert Verteilungsplan

Die Mitgliederversammlung der VG Wort hat in ihrer Mai-Sitzung eine Reform des METIS-Systems mit der erforderlichen Mehrheit in allen Berufsgruppen beschlossen. Sie führt zu wichtigen Änderungen im Verteilungsplan der VG Wort. Vertreter der dju in ver.di haben das vorliegende Papier in Teilen kritisiert und versucht, es noch mit Änderungsanträgen zu beeinflussen – ohne Erfolg.
mehr »

Kampf um kritisches Profil: 80 Jahre FR

Gegründet 1945 von kommunistischen, sozialdemokratischen und katholischen Antifaschist*innen steigt die Frankfurter Rundschau (FR) in den 1960er Jahren zur prägenden linken Tageszeitung in der Bundesrepublik auf. Ihre Geschichten und Recherchen beeinflussen sogar die Regierungspolitik. Wie es später zu einer massiven Abwärtsspirale kam und mit welcher Hilfe sie aufgehalten wurde, zeichnet ein neues Buch von Claus-Jürgen Göpfert nach.
mehr »

Innovatives Arbeiten im Journalismus

Flache Hierarchien, flexible Workflows und rollenbasierte Teamarbeit sind Kernelemente von agilem Arbeiten. Das Konzept stammt aus der Softwareentwicklung und hält inzwischen auch im Journalismus Einzug. Die Studie „Agiles Arbeiten im Journalismus: Einführung, Anwendung und Effekte von agilen Methoden in deutschen Medienhäusern“ untersucht, wie deutsche Medienhäuser agile Arbeitsmethoden in den redaktionellen Arbeitsalltag integrieren.
mehr »

Rundfunkfinanzierung in der Sackgasse

Bisher war Einstimmigkeit gefordert, wenn es um rundfunkpolitische Fragen ging. Die Ministerpräsident*innen der Länder sollen gemeinsam agieren, zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kein einfaches Unterfangen, wenn es um das Thema Rundfunkfinanzierung geht. Dass diese Praxis nun überarbeitet wird, ist Ausdruck einer Krise – wenn nicht der Demokratie, dann doch zumindest der Rundfunkpolitik der Länder.
mehr »