Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
Die Vorgänge gehen ins Jahr 2019 zurück, wegen denen der spanische Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón nun gegen den Investigativ-Journalisten des linken Wochenblatts „La Directa“ ermittelt. Der Richter am Sondergericht für schwere Kriminalität und Terrorismus wirft Rodríguez Terrorismus vor. Neben Rodríguez hat sich auch der Schriftsteller Josep Campmajó in die Schweiz „in Sicherheit gebracht“, wie der Rodríguez gegenüber M berichtet.
Der 50-jährige Journalist soll Führungsmitglied der Gruppe „Tsunami Democràtic“ (Demokratischer Tsunami) sein, die der Richter als terroristisch einstufen will. Tsunami hatte im Oktober 2019 zu öffentlichen Protesten gegen harte Urteile für katalanische Regierungsmitglieder aufgerufen. Regierungsmitglieder und Aktivist*innen waren wegen des Unabhängigkeitsreferendums damals zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Der Oberste Gerichtshof sah einen Aufstand in der friedlichen Durchführung des Referendums zwei Jahre zuvor. Zu den Protesten gegen die Urteile gehörte auch die Blockade eines Terminals des Flughafens in Barcelona. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Absurde Strafmaße
Schon bei den damaligen Strafen fiel auf, dass Richter*innen in keinem europäischen Land Beweise für einen Aufstand finden konnten. Wie Deutschland, im Fall des Exilpräsidenten Carles Puigdemont, verweigerten auch Belgien, die Schweiz oder Großbritannien Auslieferungen von Exil-Katalanen an Spanien. Belgien bezweifelte sogar, dass die dort ein faires Verfahren zu erwarten hätten. Denn für einen Aufstand bedarf es den Einsatz massiver Gewalt. Die Katalanen hatten aber stets zu Friedfertigkeit beim zivilen Ungehorsam aufgerufen. Der Straftatbestandes des „Aufstands“ wurde im Jahr 2022 schließlich auch in Spanien abgeschafft.
Dennoch wirft García-Castellón dem Journalisten vor, wie Puigdemont Teil der Tsunami-Führung gewesen zu sein. Er habe bereits Tage zuvor von geplanten Aktionen gewusst habe. Das sollen abgehörte Handynachrichten beweisen, meint der Richter. Bekannt ist, dass bis zum amtierenden katalanischen Regierungschef auch Europaparlamentarier*innen, Anwält*innen und Journalist*innen über den Pegasus-Trojaner ausspioniert wurden, was in Spanien illegal sei, erklärt der Journalist. Das geschah zudem oft ohne juristische Kontrolle. Auch das Europaparlament fordert eine Untersuchung.
Repression wegen Recherche?
Dass Journalisten im Vorfeld von Protesten informiert werden, gehört zum Arbeitsalltag. Der gut vernetzte Rodríguez fühlt sich „für die Arbeit beschuldigt, die von einem Journalisten erwartet wird.“ Er streicht heraus, dass er mit seinen Quellen nur über „Demonstrationen oder Straßenblockaden“ gesprochen habe. Daraus konstruiere man nun die Terroranschuldigung. „Das wäre eigentlich grotesk und lächerlich, wenn damit nicht Anschuldigungen verbunden wären, die einen bis zu 30 Jahre ins Gefängnis bringen können.“
Er beklagt die „inquisitorische Verfolgung“ einer politischen Strömung durch einen Teil der spanischen Justiz. „Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, wenn ein Journalist als Mitglied einer Organisation betrachtet wird, weil er von deren Aktionen im Vorfeld wusste.“ Weitere 26 Journalist*innen würden namentlich in dem Verfahren als „Terrorismusunterstützer“ benannt. Von denen wurde bisher allerdings noch niemand wie er angeklagt, erklärt Rodríguez. Er vermutet, dass er wegen seiner investigativen Recherchen ein Dorn im Auge ist. Er enttarnte zum Beispiel „illegale Praktiken“ der Sicherheitskräfte, die ohne „juristische Kontrolle“ Spitzel in soziale und politische Organisationen eingeschleust haben.
Dass es im Katalonien-Konflikt Terrorismus überhaupt gab, bestreitet sogar der sozialdemokratische Regierungschef Pedro Sánchez, der sich selbst inzwischen als Opfer einer politisierten Justiz sieht. Selbst die spanische die Staatsanwaltschaft lehnte ein Verfahren ab, dass allein durch den Richter über den Nebenkläger vorangetrieben wird. Das ist die ultrarechte VOX-Partei.
Terrorvorwurf gegen unliebsame Journalisten
Auch für den Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo liegt der politische Charakter der Verfahren auf der Hand. In der Art, in der das Amnestiegesetz angepasst worden sei, habe auch der Richter seine Anschuldigungen stets angepasst, um die Anwendung auszuhebeln, wenn es im Gesetzesblatt veröffentlicht wird.
Politisch motivierte Terrorismus-Vorwürfe, auch gegen Journalisten, sind in Spanien nicht neu. Sie führten einst zu Schließungen von baskischen Medien. Eine Verbindung zum Terrorismus konnte nicht bewiesen werden. Journalisten wurden freigesprochen, aber Spanien wurde vom Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg wegen Folter verurteilt.
Keine Rechtshilfe aus der Schweiz
Dass auch Rodríguez die Schweiz als Exilland gewählt hat, liegt nicht nur daran, dass hier seit Jahren katalanische Exilanten leben. Er verweist auf den Fall der Generalsekretärin der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Marta Rovira lebt seit 2017 in Genf. Nach Ermittlungen wegen angeblicher Rebellion und Aufruhr, beschuldigte García Castellón auch sie als Tsunami-Anführerin. Das Bundesamt für Justiz (BJ) in Bern hat aber im Februar aber einen Rechtshilfeantrag des umstrittenen Richters García-Castellón „nach eingehender Prüfung“ ausgesetzt. Auch die Eidgenossen vermuten ein „politischen Charakter“ in dessen Vorgehen.
Auch die Europäische Journalistenvereinigung (EFJ) kritisiert das Vorgehen der spanischen Behörden.
Update: Der Journalist von La Directa konnte am 12.07. nach Katalonien zurückkehren, nachdem der spanische Richter Manuel García Castellón den Fall „Tsunami Democràtric“ abgeschlossen hatte.