Am 28. Dezember startet in den deutschen Kinos die britisch-polnische Koproduktion „Loving Vincent“. Der Film ist inzwischen als bester europäischer Animationsfilm ausgezeichnet worden. Bei der Produktion wurde nach dem Dreh jedes einzelne Filmbild in Öl und im Stil Vincent van Goghs in eigens eingerichteten Ateliers übermalt. Über ihre Arbeitserfahrungen in der Großproduktion berichtet die in Berlin lebende polnische Malerin und Illustratorin Iga Igson Oliwiak im M-Interview.
M | Es gab ein großes weltweites Bewerbungs- und Auswahlverfahren für Künstler_innen. Wie kamst du zur Loving Vincent-Produktion?
Iga Igson Oliwiak | Auf Facebook wurde – zunächst in Polen – ein erster Trailer des Films veröffentlicht und Künstler wurden zur Bewerbung aufgerufen. Diese Ausschreibung wurde später dann auch international durchgeführt. Ich bewarb mich mit meinem Portfolio: klassische Malerei, digitale Arbeiten, aber auch einige Van Gogh-Kopien. Dann wurde ich zu einem dreitägigen Test in eines, ins größte der drei Produktionsstudios nach Danzig eingeladen. Die anderen Studios sind in Breslau und Athen. Es gab keine Interviews, kein klassisches Vorstellungsgespräch. Wir sollten lediglich eine Filmsequenz malen, zeigen, dass wir den Stil von van Gogh kopieren, schnell malen und die richtigen Farben setzen konnten. Die Mischung der Farben war echt schwierig, weil Orange auf dem Bildschirm und Orange auf der Leinwand sehr verschieden sein können.
Haben zumeist polnische Künstlerinnen und Künstler den Film „gemalt“?
Sehr viele Kolleg_innen aus Polen waren dabei, aber grundsätzlich war das ein internationales Team, auch viele Leute aus der Ukraine. Ich habe ein halbes Jahr für die Produktion gearbeitet. Es waren übrigens nicht nur bildende Künstler beteiligt, sondern zum Beispiel auch Restaurator_innen.
In Reportagen über die Produktion sieht man euch Künstlerinnen in einem riesigen Raum nebeneinandersitzen und malen. Das erinnert ein wenig an die klassischen Atelierwerkstätten, die große Künstler wie da Vinci zu Renaissancezeiten betrieben. Muss man sich die Arbeitsatmosphäre bei Loving Vincent so vorstellen?
Anfangs sah es so aus, wie du es beschreibst. Dann wurden einzelne Boxen gebaut, sogenannte Painting Animation Work Stations (PAWS), in denen wir arbeiteten, um das Licht besser kontrollieren zu können.
Hast du deine Arbeit eher als Kunst, oder eher als Kunsthandwerk, als Arbeit in einer Manufaktur verstanden?
Offen gesagt, eher als Manufakturarbeit. Du musst dir das so vorstellen: Wir bekamen diese Aufnahmen in unsere PAWS projiziert und haben sie im Stil van Goghs in Ölmalerei umgesetzt. Über uns hing ein Projektor, der das fertige Filmbild auf ein grundiertes Panel projizierte, auf das wir dann malten. Das fertige gemalte Bild wurde dann fotografiert und der nächste Frame projiziert, gemalt und fotografiert. Das Verfahren wird Rotoskopie genannt.
Wie viele Frames hast du in dem halben Jahr für die Produktion gemalt?
Ich habe etwa 150 Frames für eine erste Szene und dann noch einmal etwa 105 Frames für eine zweite Szene gemalt. Insgesamt also etwa 250 Bilder, die im Film etwa 20 Sekunden entsprachen. Verschieden Szenen waren unterschiedlich schwierig und aufwändig zu malen. So kam es, dass einzelne Künstler am Tag 20 Franes schafften, andere aber nur zwei Frames. Im Film sind etwa zwölf Frames pro Sekunde zu sehen, während normalerweise eine Filmsekunde 24 Frames enthält.
Mit „Teheran Tabu“ ist gerade ein weiterer Film im Rotoskopieverfahren ins Kino gekommen. Denkst du, das wird ein Trend in der aktuellen Filmgestaltung?
Ich würde „Teheran Tabu“ nicht mit unserem Film vergleichen wollen, obwohl beide das Rotoskopie-Verfahren einsetzen. Der Film kombiniert Rotoskopie mit dem Motion Capturing der Darsteller vor einem Green Screen mit handgemalter und computergenerierter Animation. Das ist ein ganz anderer Prozess, als bei unserem Film. Wir haben den ersten langen Spielfilm gemacht, der komplett in Öl gemalt wurde. Es gab zuvor lediglich einen russischen Kurzfilm, der als Animationsfilm mit Ölgemälden produziert wurde.
Der Film wird oft in Kooperation mit Museen vermarktet, zum Beispiel mit dem Van Gogh-Museum in Amsterdam. Die Bilder werden ausgestellt und auch über die Website zum Film, zu teils zu hohen Preisen, verkauft – eine ungewöhnliche Liaison von Filmkunst, Kunsthandwerk, Merchandising und Öffentlichkeitsarbeit. Habt ihr alle Rechte an euren Bildern an die Filmproduktion abtreten müssen?
Es gibt weltweit Ausstellungen der gemalten Frames, begleitend zu den Filmpremieren. Man kann die Frames auch online, über die Website kaufen. Einige meiner Frames sind bereits verkauft. Aber ich habe alle Rechte an die Filmproduktion abgetreten. Das war in der Bezahlung enthalten.
Tausende Gemälde
„Loving Vincent“ zeichnet Leben und Sterben Vincent van Goghs in Gesprächen mit ihm nahestehenden historischen Personen nach. Erstmals wurde für einen abendfüllenden Spielfilm jedes gefilmte Einzelbild in Öl und im Stile van Goghs nachgemalt. Das eingesetzte Rotoskopie-Verfahren ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt und wird in Animationsfilmen öfter eingesetzt (Alois Nebel, Filme von Richard Linklater). 65.000 einzelne Ölgemälde wurden für den eineinhalb Stunden langen Film von 125 Künstlerinnen und Künstler angefertigt.