Katastrophen erschüttern und bewegen die Menschen. Das Mitgefühl für die Betroffenen einer Flutkatastrophe, eines Erdbebens, eines großflächigen Waldbrandes steigt mit der Intensität der Medienberichterstattung. Gemessen daran dürfte den Deutschen das Leid der Opfer von Hurrikan Harvey in Houston weitaus näher gehen als das Absaufen ganzer Regionen in Südasien. Warum ist das so?
Schon vor der Ankunft von Harvey überschlugen sich viele Medien mit dramatischen Berichten. Kaum war er da, hagelte es umfangreiche Reportagen. Eigens losgeschickte Korrespondenten interviewten Betroffene. Schadensbilanzen wurden gewälzt. Live-Bilder von hilflos auf Dächern kauernden Menschen, kreisende Rettungshubschrauber, das volle Programm. Bis zum 1. September rechnete man mit mindestens 50 Toten.
Zeitgleich schlug in Südasien der Monsun zu – mit ungleich dramatischeren Folgen: Seit Wochen endlose Regenfälle, Hunderte von Dörfern überschwemmt, ein Drittel der Landesfläche von Nepal und Bangladesh zeitweilig unter Wasser, mindestens 2.100 Tote. Das Interesse der Medien? Hielt sich in Grenzen. Ein paar Berichte – gern im Vermischten oder Bunten, „Aus Deutschland und aller Welt“. Ein, zwei Tage lang der eine oder andere 20-Sekunder in „Tagesschau“ und „Heute“. Mit Luftaufnahmen von zerstörten Häusern und gefluteten Reisfeldern. Chronistenpflicht halt.
Danach aber schnell wieder nach Texas. Dort hat der transatlantisch sozialisierte Reporter viel mehr Anknüpfungspunkte. Die von dort angebotenen Bilder sind ja auch wesentlich eingängiger. Allein der surrealistische Auftritt des Präsidentenpaars am Katastrophenschauplatz: Sie in High Heels und Leder, er in frisch gewichsten Stiefeln – da leckt sich jedes Boulevard-Magazin die Lippen. Und sendet gleich noch einen Gesellschaftsreporter in die Krisenzone. Richtig obszön wird es, wenn kommentarlos gemeldet wird, der Präsident habe eine Spende von einer Million Dollar in Aussicht gestellt. Aus seinem Privatvermögen! Das erinnert ein wenig an Helmut Kohl, der sich vor Jahren während einer TV-Gala „Ein Tag für Afrika“ nicht entblödete, mit den Worten „Heute haben wir mal die Spendierhosen an“ einen Hundert-Mark-Schein medienwirksam in einem Spendentopf zu versenken.
Der Berliner Tagesspiegel frohlockt: „So oft wird geschrieben über Amerika, das geteilte Land. Harvey zeigt, wie stark die menschliche Gemeinschaftlichkeit sein kann, wie real die amerikanische Idee.“ Am nächsten Tag eine ganze „Dritte Seite“ darüber, „wie ‚Harvey‘ die Amerikaner versöhnt“. Schwulst, der immerhin ergänzt wird um einen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der verhängnisvollen Klimapolitik der Trump-Regierung und dem dadurch erschwerten Management künftiger Katastrophen.
Katastrophen, die vor allem Staaten der so genannten Dritten Welt immer härter treffen. Den meisten hiesigen Massenmedien scheint dieser Kontext egal. Je weiter entfernt eine Katastrophe, desto geringer fällt die Empathie mit den Betroffenen aus. Menschlich verständlich? Mag sein. Aber auch Houston liegt nicht gerade um die Ecke. Vielleicht geht es in Wahrheit um die Zugehörigkeit zum gleichen Kulturkreis, die Mitgefühl erzeugt. Was die Sache nicht besser macht. Medienhype um 50 US-Opfer und einige geflutete Städte, Desinteresse für 2.000 Tote und Millionen zerstörte Existenzen im fernen Asien? Das grenzt – mit Verlaub – an Rassismus.