Mehr Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit bitte!

Reiseberichte – Paradebeispiel für degradierten Journalismus

Die Klagen über den Journalismus in Deutschland häufen sich. Es werde weniger recherchiert, die Grenzen zwischen redaktionellen Berichten und Werbung würden zunehmend verschwinden. Von Dritten bezahlte Berichte gelangten immer häufiger in die Medien, Schleichwerbung und Korrumpierbarkeit mache sich in den Redaktionen breit. Dieser Niedergang des aufrechten Journalismus ist seit langem Alltag im Reiseressort.

Der heute in Deutschland und weltweit überwiegend praktizierte Reisejournalismus ist geradezu das Paradebeispiel für einen degradierten Journalismus, der nur noch eine, wie es Luc Jochimsen formulierte, „nachfrageorientierte Dienstleistung zur Mobilmachung großer Kaufkraftgruppen“ ist. Statt kritisch der Tourismusindustrie auf die Finger zu sehen, beschränken sich die Medien in ihren Reisebeilagen, in ihren Tourismus- und Freizeitmagazinen im wesentlichen darauf, große Menschenmassen zum Verreisen zu animieren.

Große Verlockung

Kostenlose, von Touristikunternehmen, Airlines oder Fremdenverkehrszentralen bezahlte Journalistenreisen und Flugtickets sind der Alltag, nicht die Ausnahme im heutigen, die „heile Urlaubswelt“ verbreitenden Reisejournalismus. Wie selbstverständlich nehmen es Reiseredaktionen wie freie Tourismusjournalisten hin, dass ihnen laufend von potentiellen Anzeigenkunden Einladungen zu bezahlte Reisen in die Karibik, nach Südostasien oder zu einer kostenlosen Mittelmeer-Kreuzfahrt auf den Schreibtisch flattern. Die Verlockung ist groß, und die Angebote werden – auch aufgrund magerer Honorare und geringer Redaktionsetats – gerne angenommen. Die daraus entstehenden Reiseberichte landen unkommentiert auf den Reiseseiten der Zeitungen oder in die einschlägigen Magazine. Touristikjournalisten, die auf solche kostenlosen Reisen verzichten, sind rar, kritische Tourismusberichte eine Seltenheit.


„Sie haben die einzigartige Gelegenheit, diese Route vom 12.04. bis 18.04.2002 auf unserer exklusiven Journalistenreise kennen zu lernen. Wir übernehmen die gesamten Reisekosten und möchten Sie lediglich um eine Flugkostenbeteiligung von 476 Euro bitten. Diesen Betrag erstatten wir Ihnen jedoch zurück, wenn Sie die Eindrücke und Erfahrungen dieser Reise in einem Beitrag veröffentlichten.“

Zitat aus einer Einladung zur Journalistenreise nach Südafrika von Lernidee Erlebnisreisen GmbH


Für das Reiseressort scheint es den Pressekodex nicht zu geben, in dem es heißt: „Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab É Sonderveröffentlichungen unterliegen der gleichen redaktionellen Verantwortung wie alle redaktionellen Veröffentlichungen.“ Wenn private oder staatliche Tourismusunternehmen Journalisten zu kostenlosen Reisen einladen, dann steckt selbstverständlich ein geschäftliches Interesse dahinter. Schließlich geht es darum, das in Konkurrenz zu zahlreichen anderen Urlaubszielen stehende Produkt verkaufsfördernd in den Medien zu platzieren.

Dieser von Dritten co-finanzierte Reisejournalismus verstößt nicht nur gegen den Pressekodex. Er ist auch mehr als sittenwidrig und ein Kavaliersdelikt: Er ist rechtswidrig. Es sei kriminell, schrieb der Medienrechtler von der Universität Dortmund Udo Branahl im „Journalist“ (7/01), „wenn ein Redakteur von einem Unternehmen eine Gegenleistung dafür nimmt, dass er einen (werbenden) Bericht über das Unternehmen in dem Blatt unterbringt, für das er arbeitet (Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Paragraf 299 Abs. 1 StGB).“

Nur die Spitze des Eisbergs

Welcher Reisebericht, welche Sonderbeilage wirbt nicht mit der „rosaroten Brille“ für das beschriebene Urlaubsgebiet, oder für die darin vorgestellte Tourismusart wie Golf- oder Kreuzfahrttourismus? Die negativen Folgen der jeweiligen Urlaubsform, die Schattenseiten des international wuchernden Tourismus werden in der Regel nicht oder nur am Rande erwähnt. Dabei ist heute der unabhängige, investigative Journalismus in kaum einem anderen Wirtschaftszweig so notwendig wie in der Reisebranche. Schließlich hat sich der Tourismus – auch dank der jahrzehntelangen unkritischen Reiseberichterstattung – zu einer der weltweit stärksten und gleichzeitig sozial- wie umweltschädlichsten Industriebranchen entwickelt. Laut Weltwährungsfond (IWF) überflügelte der internationale Tourismus bereits 1998 die Automobilbranche als größte Exportindustrie der Welt. Den IWF-Zahlen zufolge nahm 1998 der internationale Tourismus über 504 Milliarden US-Dollar ein. Dabei sei der internationale Tourismus, so die Welttourismusorganisation (WTO), „nur die Spitze eines Eisbergs.“ Zu den derzeit jährlich rund 700 Millionen grenzüberschreitenden Reisenden kommen nochmals etwa 2,3 Milliarden Touristen hinzu, die jeweils im eigenen Land Urlaub machen. Die WTO schätzt deshalb die globalen Gesamteinnahmen der Tourismusbranche auf 1,7 Billionen US-Dollar jährlich. Zum Vergleich: Die internationale Erdöl- und Kraftstoffindustrie schaffte es 1998 weltweit gerade mal auf 435 Milliarden US-Dollar Einnahmen aus dem Exportgeschäft.

Es ist schon paradox. Die weltweit größte Exportindustrie wird von den Medien so unkritisch begleitet, als handele es sich um ein Mauerblümchen, dem man mit kostenloser Schleich-Werbung im redaktionellen Teil ein wenig auf die Sprünge helfen müsse. Dabei haben sich seit 1950 Reisekonzerne entwickelt, die gemeinsam mehr wirtschaftliche und politische Macht haben, als viele der bereisten Urlaubsländer des Südens zusammen. So erwirtschaftet allein der deutsche Reisekonzern Preussag-TUI jährlich über 10 Milliarden Euro Umsatz. Zum Vergleich: Dem bei Deutschen und bei der TUI bis vor kurzem beliebten Urlaubsziel Tunesien brachte der Massentourismus 1998 lediglich 1,6 Milliarden Euro an Einnamen. Die Medien haben in der Demokratie eine Wächterfunktion. Dies gilt ebenso für die Tourismusseiten. Es wird höchste Zeit, der Korrumpierbarkeit auch in den Reiseredaktionen ein Ende zu setzen.

Nicht frei bei Entscheidungen

Sicher: Nicht jeder Journalist, der auf Kosten der Urlaubsbranche verreist, ist deshalb schon korrupt. Aber es reicht, wenn seine freie Entscheidungsfähigkeit dadurch eingeschränkt ist. Außerdem wird bei organisierten Journalistenreisen meist nur das gezeigt und vorgestellt, was die Journalisten sehen sollen. Für eigene Recherchen bleibt keine oder nur wenig Zeit. Ähnlich wie manche „Kriegsreporter“ von den Kriegsparteien für plumpe Propaganda missbraucht werden, indem sie nur an die der eigenen Seite dienlichen Schauplätze geführt und mit vorsortierten Informationen versorgt werden, so führen die Veranstalter der kostenlosen Journalistenreisen die Tourismusjournalisten an der Nase herum und füttern sie mit Informationen und Eindrücken, die nur dem Veranstaltern genehm sind.

Vielleicht sollten sich die Redaktionen in Deutschland – wenn sie schon unter Sparzwängen leiden und ihren festen wie freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Reisekosten nicht finanzieren können – wenigstens dazu durchringen, etwas mehr Ehrlichkeit an den Tag zu legen. Die brasilianische Tageszeitung „O Estado de Sao Paulo“ beispielsweise informiert die Leser zumindest in einem Nachsatz darüber, welches Touristikunternehmen den Reisebericht mitfinanziert hat. Von einer kritischen Tourismusberichterstattung ist aber auch diese Zeitung noch weit entfernt.


Norbert Suchanek arbeitet seit 1992 als kritischer Journalist zu den Themen Tourismus und Umwelt. 2000 erschien sein Buch

„Ausgebucht – Zivilisationsfluch Tourismus.“
Schmetterling Verlag, Stuttgart
ISBN 3-89657-573-2
10,00 Euro

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »