Mit dem Teufel tanzen

Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland spricht über seinen zweiten Dokumentarfilm, die deutsche Filmpolitik und den Umgang mit dem Filmerbe

M | Ihr neuer Dokumentarfilm heißt „Hitlers Hollywood”. Ein „steiler Titel”, wie die taz schrieb. Wie kommt es zu diesem Titel?

Rüdiger Suchsland | „Steiler Titel”, das akzeptiere ich vollkommen. Wenn man heute Filme macht, da bin ich auch Journalist genug, möchte man natürlich, dass sich die Leute ihn ansehen und sich den Titel merken. Es musste also eine Schlagzeile sein. Es ist zugleich ein sachlicher Titel, da es um diejenigen geht, die für das deutsche Kino im „Dritten Reich” verantwortlich waren, und die zielten auf Hollywood: Als Vorbild, als schärfste Konkurrenz. Sie wollten die deutsche Filmindustrie, die es ja gab, ausbauen. Die Nazis haben sich an Hollywood gemessen, weil sie ja wirklich glaubten, dass sie die Größten sind; daher musste auch der Film der Größte sein. Hinzuzufügen ist, dass Deutschland zwar relativ autark war, wirtschaftlich aber bald auch große Probleme hatte. Im Krieg belieferte man dann die besetzten Gebiete mit eigenen Filmen, um sie damit bei Laune zu halten, aber auch zu indoktrinieren. Bei befreundeten Ländern wie Ungarn war es wichtig zu zeigen, dass man ein eigenes Starsystem hatte und mit Hollywood mithalten konnte. Da sind dann Werke entstanden, die manchmal einfach gemacht wurden, um Geld zu verdienen.

Wie etwa die Screwball-Komödie „Glückskinder” (1936) von Paul Marin?

Ja, aber auch „Paracelsus” (1942) von G.W. Pabst, ein Mittelalterspektakelfilm, der gleichzeitig einen „großen Deutschen” propagierte. Oder „Titanic” (1943) von Herbert Selpin und Werner Klingler. Joseph Goebbels hatte schon ähnliche Ideen wie später der kanadische Filmregisseur James Cameron. Ich möchte ihn nicht überschätzen, aber unterschätzen sollte man Goebbels, der als Reichspropagandaminister für die verstaatlichte Filmproduktion zuständig war, auch nicht. Er kannte das Kino gut. Ähnlich wie in den USA ging es darum, durch Kulturimperialismus kulturell, politisch aber auch ästhetisch Einfluss zu nehmen. Da viele Filmschaffende nach Hollywood emigriert waren, versuchte man sie zurückzuholen. Ob das Fritz Lang war oder Marlene Dietrich. Goebbels informierte sich über Filmzeitschriften, wie andere arbeiteten. Er versuchte Äquivalente zu finden. Dem Film „Kolberg” (1945) von Veit Harlan stand beispielsweise „Vom Winde verweht” Pate. Aus Goebbels Tagebüchern geht hervor, dass er stets versuchte, in der Gunst Hitlers oben zu schwimmen. Wer am Ende die Macht hatte, ist klar, der Titel „Hitlers Hollywood” somit ebenfalls.

Filmemacher Rüdiger Suchsland
Foto: Ute Evers

Wie wird Ihr Film von den Zuschauern aufgenommen?

Bei den Zuschauern nehme ich Neugierde und viele Fragen wahr. Vereinzelt gab es in der Presse Reaktionen, zu meinen Analogien wie ‘Goebbels als Autorenfilmer’ oder „das ‘Dritte Reich’ als ein einziger großer Film von Joseph Goebbels”. Das sage ich zwar nicht wörtlich so, aber ich stelle es schon als Provokation in den Raum – und stehe dazu. Das „Dritte Reich”, so wie wir es kennen, ist in erster Linie eine Inszenierung von Goebbels, eine Wunschmaschine, es wurden viele Wünsche geweckt, wie übrigens auch Ängste. Vielleicht versteht man vom „Dritten Reich” mehr, wenn man sich vorstellt, dass es wie ein einziger langer Film funktioniert hat.

Provokativ gefragt: Beschäftigen wir uns nicht schon zu viel mit dem „Dritten Reich”?

Nein. Nichts liegt mir ferner als eine Schlussstrich-Mentalität. Ich habe auch kein Problem mit der re-education. Wir haben eine klare Position als Demokratie, zu der gehört, wie wir zu dieser Epoche stehen. Dazu gehört auch, dass wir verstehen wollen. An diesem Punkt setze ich an. Zum Verstehen gehört, dass wir uns eines blinden Fleckes bewusst werden.

Und der ist?

Wir haben uns bisher zu wenig mit der ästhetischen Frage beschäftigt. Zugespitzt formuliert, hat Hitler ästhetisch gesehen den Krieg gewonnen. Aber nicht, weil Guido Knopp irgendwelche Hitler-Filme im Fernsehen gemacht hat, sondern weil beispielsweise Leni Riefenstahl so ungemein anschlussfähig war für Popkultur. Riefenstahl hat eine sehr explizite Ästhetik, die insbesondere seit den 1970er Jahren Einfluss nimmt auf Musikvideos, Werbefilme, etc. Susan Sontag versucht in ihrem Aufsatz „Fascinating Fascism” diese Faszination nicht zu leugnen, sondern zu fragen, warum die Leute fasziniert sind.

Sind Sie nicht auch selbst fasziniert?

„Unter den Brücken“ in „Hitlers Hollywood“
Filmbild: Kinofreunde eG 2017

Bis zu einem bestimmten Grad schon. Das wird in meinem Film auch deutlich. Es ist nichts anderes, als dass ich mit der klassischen Frage, ‘wie es möglich war’, eine Erklärung für das „Dritte Reich” suche. Die Antwort ist eine ästhetische. Für mich ist Kino ein Medium der Weltwahrnehmung, wie Literatur oder Philosophie. Vom Kino habe ich auch gelernt, wie ich mich anziehe, eine Zigarette halte oder diverse andere Dinge. In meinem Dokumentarfilm versuche ich eine Art visuelle Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus zu erzählen. Das ist das, was ich von Siegfried Kracauer mitnehme. Wenn man sich mit dem Teufel beschäftigt, muss man auch mit ihm tanzen.

Themenwechsel. Wie nehmen Sie den aktuellen Dokumentarfilm wahr?

Der boomt! Es gibt ein großes Bedürfnis, Dokumentarfilme zu sehen. Er boomt, weil viele Filme entstehen. Aber ihm geht’s schlecht, weil die Zuschauer, die ihn gerne sehen, sich verteilen. Viele Filme werden nicht lange genug gespielt, und dann zu schlechten Tageszeiten. Die Verleihbedingungen sind ziemlich ungut, es gibt vor allem nicht genug Kinos. Auf der anderen Seite hat auch das Fernsehen in Deutschland das Kino getötet. Im Fernsehen sehen sich die Leute sehr wohl Dokumentationen an.

Ist die Kooperation mit dem Fernsehen nicht kontraproduktiv, wenn nur dann Filme unterstützt werden, wenn sie nach dem Kino im TV laufen?

Das ist ja gut, sonst kämen sie nicht ins Kino. Wobei ich schon ein großes Privileg hatte, da mein Film einer von drei 90minütigen Dokumentarfilmen war, die Arte dieses Jahr unterstützt hat. Aber natürlich: man würde sich viel mehr Unterstützung von öffentlichen Gruppen, mehr Filmförderung von der Bundesregierung wünschen. Ich glaube, wir müssen uns auch aus einer perversen Situation verabschieden. Wir sind nicht mehr bereit, Kino und Fernsehen als Erziehungsinstitution anzusehen, wo wir sagen würden, es gibt nicht nur Sachen, die das Publikum sehen will, sondern auch welche, die es sehen sollte. Hinter der Behauptung von der Mündigkeit des Zuschauers und jener, dass er doch frei entscheiden soll, was er sehen will, steckt eine wahnsinnige Denkfaulheit, vor allem seitens der Sender. Auch ein bisschen Ideologie. Hart gesagt: Nicht alle sind daran interessiert, dass die Zuschauer aufklärende Dokumentarfilme sehen. Sie könnten dann ja politisch Schwierigkeiten machen. Das Fernsehen ist, Noam Chomsky hat das auf einen treffenden Begriff gebracht, eine „Konsensfabrik”. Solchen Bedingungen ist der Dokumentarfilm ausgesetzt. Die Bundesregierung sollte die Filmförderung radikal ändern und die Zwangsehe zwischen Fernsehen und Kinofilm aufheben.

In welchem Zustand befinden sich die deutschen Filmarchive?

Sie sind einerseits beschissen ausgestattet. Sie müssen vielmehr Geld bekommen, da kann man mal nach Frankreich, in die Niederlande oder nach England schauen, um zu sehen, was die dort machen. Das liegt daran, dass wir eine Kulturministerin haben, die vollkommen ignorant dem Kino gegenübersteht, die sich dafür einfach nicht interessiert. Sie fördert lieber Denkmäler oder Museen, aber nicht das Kino, geschweige denn Filmarchive.

Andererseits täte den Archiven mehr Scheinwerferlicht gut. Dann würden manche nicht so verantwortungslos vor sich hinwurschteln. Das betrifft die Unzugänglichkeit der Archive wie auch die Filmrestaurationen. Fazit: Wie bei der Filmförderung wäre für unsere Filmarchive und den Umgang mit unserem Filmerbe eine Stunde Null, ein Neuanfang angebracht. Wobei: so alles anders machen zu wollen, das sind natürlich totalitäre Träume. Und wenn einer gerade einen Film über Goebbels gemacht hat, sollte er sie lieber nicht öffentlich äußern.

 

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