Mit Namen, Kürzel oder anonym?

Ross oder Reiter nennen? Auch solche Entscheidungen sind nicht immer einfach. foto: pixabay

Journalisten stehen in ihrer täglichen Arbeit oft vor der kniffeligen und zunehmend brisanten Frage: „Wann darf man Ross und Reiter nennen? – das Recht auf Anonymität in der Berichterstattung“ Die dju im Münsterland hatte dazu für den 6. Dezember 2016 den Medienrechtsexperten und Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler zu einem Vortrag und Interessierte zur Debatte geladen.

Oft stellt sich die Frage ganz praktisch: Darf ich in meinem Text jetzt den vollen Namen des Betroffenen nennen, wenigstens ein Kürzel verwenden oder sollte ich auf jeden Hinweis verzichten, der zur genaueren Identifizierung führen könnte? Kolleginnen und Kollegen, die der Einladung der dju in Münster gefolgt waren, wissen jetzt besser Bescheid. Sie erörterten etwa die Frage, ob man bei einem Text mit dem Thema „Wurde der Modechef auf der Dienstreise zudringlich?“ den Namen des Chefs nennen darf oder es besser lässt. Entfaltet selbst die Abkürzung des Namens, mit der der Modechef identifizierbar wird, schon eine „unzulässige Prangerwirkung“, wie dies im konkreten Fall das Landgericht in Hamburg feststellte? Ganz anders sehe dies zum Beispiel aus, wenn der Prinz von Hannover 80 km/h zu schnell über die Autobahn rase, dann sei eine identifizierende Berichterstattung durchaus zulässig. Wenn Aufsehen erregende Straftaten begangen würden, müssten die zentralen Personen eines Strafverfahrens eine Berichterstattung zulassen. Am Beispiel des NSU-Prozesses könne man sehr genau beobachten, wie unterschiedlich in der Praxis verfahren würde: Über Beate Tschäpe, den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und zwei mutmaßliche Helfer werde mit vollem Namen berichtet. Das müssten diese hinnehmen – auch im Vorfeld und für eine gewisse Zeit nach dem Prozess. Der mutmaßliche Waffenbeschaffer der NSU, Carsten S., tauche hingegen in den Medien nur mit Namenskürzel auf, was mit dessen jugendlichem Alter zu tun haben könnte.

Sensibilisiert wurden die Zuhörer_innen auch in der Frage, wie es sich mit der Identifizierung in der Berichterstattung in den unterschiedlichen Sphären, der Sozial-, der Privat- und der Intimsphäre verhält. Dazu gibt es klare juristischen Leitlinien: Eine Berichterstattung über Angelegenheiten der Privatsphäre (Tagebücher, Sexualität, Krankheiten, innerfamiliäre Streitigkeiten, Familientragödien) erst recht aber der Intimsphäre ist fast ausnahmslos unzulässig.

Der Vortrag konzentrierte sich weitgehend auf Beispiele aus der jüngeren Rechtssprechung. Auf Normative wie den Pressekodex oder die Funktion des Deutschen Presserates als Gremium der Selbstkontrolle bezog sich der Referent nicht, sie wurden lediglich in der regen Debatte hergestellt.

Doch gab Achelpöhler Hinweise zu der Frage, in welchen Fällen das Anfertigen und Verbreiten von Fotos gestattet ist. Er riet dazu, im Zweifelsfalle schriftliche Einwilligungen einzuholen. Jedenfalls empfahl er, immer wenn es sich nicht um absolute Personen der Zeitgeschichte handele, in der Berichterstattung auch den Betroffenen zu ermöglichen, Stellung zu nehmen.

Zu größter Vorsicht riet der Medienrechtler bei der Verwendung von Fotos, die Kinder zeigen, auch deren Namensnennung sei nur in Ausnahmefällen statthaft. Kinder seien besonders zu schützen, so der Tenor der Rechtssprechung. Als Beispiel führte er den Rechtsstreit um ein Buch von Ursula Sarrazin, der Ehefrau von Thilo Sarrazin, an. Der BGH entschied letztinstanzlich, die Autorin habe darin die Defizite eines namentlich genannten Kindes zu ausführlich geschildert. Geklagt hatte dessen Mutter. Das Buch „Hexenjagd“ durfte daraufhin nicht mehr wie bisher vertrieben werden. Doch vermisste Achelpöhler eine „klare Linie“ in der Rechtssprechung. Oft würde in zweiter Instanz durchaus anders geurteilt als in der ersten. Dies erschwere den Journalisten die Arbeit, oft werde auch von den Medien ganz unterschiedlich verfahren. Entscheidend sei deshalb immer, ob sich der Betroffene selber für eine Berichterstattung geöffnet und die Presse zum Beispiel zu Homestories eingeladen hätte. Wer seine Privatsphäre öffne, vielleicht die Ehefrau präsentiere, müsse dann auch damit leben, dass über Ehekrisen oder weiteres Private berichtet werde. Andere Prominente – etwa Günther Jauch – achteten sorgfältig darauf, dass über ihre Person nur im Zusammenhang mit der eigenen Fernsehtätigkeit berichtet werde. Über das Privatleben tue Jauch selbst nichts kund, deshalb dürfe darüber auch nicht berichtet werden. Gut lasse sich das auch am Beispiel zweier Fußballer demonstrieren: Bastian Schweinsteiger habe alle Details seiner Hochzeit öffentlich gemacht; was Toni Kroos außerhalb des Fußballs mache, sei der Öffentlichkeit dagegen weitgehend unbekannt.

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