Nähe versus Kritik

Gespräch mit Erich Laaser, Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten

Erich Laaser. Foto: dpa / Kay Nietfeld

M | Sportjournalisten verstünden sich eher als „Schützer des Sport“ denn als Aufklärer, sagte der renommierte Dopingexperte Werner Franke in einem Interview Ihres Verbandsorgans „SPORTjournalist“. Was ist dran an dieser Einschätzung?

ERICH LAASER | Aus seiner Sicht kann ich das nachvollziehen. Er ist ja ein Aufklärer. Er versucht seit 20, 30 Jahren, das, was man den Dopingsumpf nennt in unserem Land, trocken zu legen, und da hat er ja auch einige Erfolge vorzuweisen. Ich glaube, dass der erste Impuls für jemanden, der als junger Mensch Sportjournalist werden will, sicherlich nicht der aufklärerische Aspekt ist, sondern zunächst mal das Interesse, vielleicht auch die Liebe zum Sport. Ich kann aber auch verstehen, dass nach Ansicht von Franke viele in dieser Branche zu nah am Sport sind und nicht kritisch genug.

Zum Beispiel Radsport. Erstmals seit einigen Jahren überträgt die ARD die Tour wieder live. Als „Presenter” tritt die Firma Bora auf, die gleichzeitig auch Namenssponsor des deutschen Rennstalls „Bora Argon 18” ist. Das erinnert an den Sündenfall der ARD, die geradezu symbiotische Beziehung mit dem Team Telekom und seinem später des Doping überführten Star Jan Ulrich.

Die Parallele ist offensichtlich. Der Sündenfall wird von den öffentlich-rechtlichen Sendern immer wieder vollzogen. Man kauft Sportrechte teuer oder weniger teuer ein und präsentiert diesen Sport dann auch als Ware. Und wenn man ihn verkaufen will, das ist eine Binse, darf man nicht zu kritisch mit ihm umgehen.

Wie kritisch dürfen Sportreporter sein? Wer allzu investigativ nachfragt, riskiert seine Informanten zu verlieren, Kontakte einzubüßen. Ist es wirklich so krass?

Wer zu kritisch mit manchen Dingen umgeht, der bekommt einfach keine Informationen mehr. Auf Schalke werden zum Beispiel Journalisten schon mal gezielt eingeladen, um mit ihnen im kleinen Kreis etwa über die Finanzen zu reden. Und Kollegen, die vorher nicht so berichtet haben, wie der FC Schalke das gern möchte, sind dann nicht dabei. Der Herr Tönnies (Vorstandsvorsitzender von Schalke 04, Red.) stellt da einfach die Frage: Sind Sie eigentlich Schalker? Viele meinen: Wer nicht für Schalke ist, der ist gegen Schalke. Und der kriegt natürlich Ärger, sei es, dass er ausgesperrt wird von Informationen, aus der Sicht das Vereins, sei es, dass er mit Bier beschüttet wird, aus der Sicht der Fans. Beides sind Verhaltensweisen, die in dieser Gesellschaft eigentlich nicht zu tolerieren sind.

Die Live-Berichterstattung ist ja seit Jahren das Maß aller Dinge. Finden Sie es nicht auch bedauerlich, dass der Anteil von kritischen Hintergrundformationen im Sport so verschwindend gering ist?

Das würde ich erst mal bestreiten. Natürlich erschlägt die Live-Berichterstattung in erster Linie alles andere, weil da so genannte Events zelebriert werden. Die werden als solche eingekauft und dementsprechend auch vermarktet. Aber es gibt auch anderes – man muss es nur finden. Wir vergeben einmal im Jahr den VDS-Fernsehpreis. Da bekomme ich zwischen 30 und 40 Beiträge eingeschickt, und da sehe ich den kritischen Sportjournalismus in Deutschland. Die Sendeplätze sind allerdings meist am späten Abend und nur Insidern bekannt. Und da sind wir auch schon bei „Sport Inside” (eine halbstündige wöchentliche Sportsendung im WDR-Fernsehen, Red.). Es gibt diese Art kritischer Auseinandersetzung mit dem Sport immer wieder, und dafür darf man dann auch dankbar sein.

Viele kleinere Sportverbände kritisieren immer wieder die Fußball-Monokultur in der TV- Sportberichterstattung. Kürzlich lief im Hauptprogramm von ARD und ZDF am selben Abend je ein Fußballspiel – eines von der Frauenfußball-WM, ein weiteres von der U21-EM der Männer. Aber die hohe Publikumsresonanz scheint den Sendern Recht zu geben, oder?

Eine Frauenfußball-WM ist natürlich ein Ereignis. Die Quoten sind nicht so schlecht, es sind sechs, sieben, acht Millionen Zuschauer, die da gucken. Wenn aber die Sommerpause vorbei ist, dann spielt die Bundesliga wieder die erste Geige. Eine Monokultur läge dann vor, wenn der Fußball 90 Prozent der Sendefläche im Sport bedecken würde. Es sind aber höchstens um die 25 Prozent. Ein Problem ist, dass viele Sportarten überhaupt nicht auftauchen. Da sehe ich die öffentlich-rechtlichen Sender übrigens mehr in der Verantwortung als andere. Sie haben ja den Programmauftrag, unsere Gesellschaft abzubilden. Viele Sportarten, jenseits des Fußballs haben Vorbildfunktion: Da geht es um Fairplay, um das Erlernen von Regeln, um gesundheitliche Aspekte. Hier besteht großer Nachholbedarf.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat vor knapp einen Jahr mit sportdeutschland.tv einen eigenen Internetkanal gegründet, in dem auch kleinere Disziplinen ihre Sportwettbewerbe präsentieren. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Der DOSB hat fast 28 Millionen Mitglieder, ist also finanziell gut ausgestattet. Wenn ARD und ZDF sich nicht ausreichend engagieren, sollte er Verantwortung übernehmen. Daher habe ich schon vor Jahren für so einen Sportkanal in seiner Regie plädiert. Damals dachten wir zunächst alle an Fernsehen. Mittlerweile ist das Internet ja zu einer echten Konkurrenz geworden fürs Fernsehen. Von daher kann ich diesen Schritt hin zu einem Sportkanal, auf welcher Plattform auch immer, Hauptsache sichtbar für alle und kostenfrei, nur begrüßen.

Es gibt jetzt sportdeutschland.tv einerseits, demnächst auch noch einen Olympia-Kanal des Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Im Grunde genommen berichtet da doch der Sport über sich selbst – keine guten Voraussetzungen für eine kritische Berichterstattung?

Kommt drauf an, wer das dann macht. Als die Bildberichterstattung der Fußball-Bundesliga von der Deutschen Fußball-Liga selbst übernommen wurde, war der Aufschrei zunächst mal groß. Aber das war zu kurz gedacht. In einem Bundesligastadion sitzen zehntausende Sportfans. Denen entgeht nichts. Da kann es sich die Deutsche Fußball-Liga überhaupt nicht erlauben, bestimmte Szenen – etwa Fehlentscheidungen des Schiedsrichters – nicht zu zeigen. Und das gleiche gilt ja für Berichterstattung über olympische Sportarten. Dafür gibt es immer die schreibende Presse und Fotografen als Korrektiv. Die werden sicher nicht alle vom IOC gegängelt werden. Eine unwahrheitsgemäße Berichterstattung kann sich in der heutigen Zeit niemand mehr erlauben.

Stichwort Korruption im Sportjournalismus. Geht es nicht entschieden zu weit, wenn ein repressives Regime wie das von Katar hunderte von Journalisten zur Berichterstattung bei der Handball-WM der Männer einlädt und sämtliche Kosten trägt?

Ich würde das in dem Moment verdammen, wenn man den Kollegen, die da waren, nachweisen könnte, dass dadurch die Berichterstattung gesteuert wurde. Wenn rauskäme, dass ihre Arbeit kontrolliert wurde und dass so eine wohlwollende Berichterstattung über Katar herbeigeführt wurde. Das war aber nach meinen Erkenntnissen nicht der Fall. Ich habe ein gewisses Verständnis für viele Kolleginnen und Kollegen, gerade die, die frei arbeiten, dass ihnen eine Reise nach Katar im Grunde genommen zu teuer ist, und dass sie dadurch kostengünstig dort hingekommen sind, um dann für ihren Lebensunterhalt zu schreiben.

Müsste nicht als Mindestvoraussetzung für die nötige Transparenz gesorgt werden? Im Reiseteil von Tageszeitungen steht mitunter der Hinweis auf Sponsoren.

Ja, es hat auch Zeitungen gegeben, die es deswegen abgelehnt haben, bzw. andere, die genauso verfahren. Das Mindeste wäre, am Ende eines Artikels zu schreiben: Der Veranstalter der Handball-WM hat unseren Kollegen eingeladen, von dort zu berichten. Verbunden mit der Aufforderung: Wenn Sie etwas an dieser Berichterstattung auszusetzen haben, dann melden Sie sich bitte bei uns. Ein solcher Dialog mit dem Leser, Hörer oder User ist ja heute durchaus zeitgemäß.

In westlichen Ländern scheitert die Ausrichtung hochkarätiger Sportevents wie Olympische Spiele neuerdings verstärkt an ablehnenden Plebisziten der Bevölkerung. Daher finden solche Ereignisse immer häufiger in Diktaturen statt, in denen massive Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Wie sollten Sportjournalisten ihre Rolle in solchen Konflikten definieren?

Es ist mit Aufgabe der Sportjournalisten, etwa bei Olympiabewerbungen, kritisch abzuwägen, was bringt das für dieses Land? Was bringt es für die Bürger und wo schadet es den Interessen der Bevölkerung, der Natur, usw. Das ist eine ureigene Aufgabe der Sportmedien, und die wird zum großen Teil auch gut erfüllt. Das hat ja mit dazu geführt, dass München mit seiner Olympiabewerbung so baden gegangen ist letztes Jahr.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »