Ohne Print-Online-Grabenkämpfe

Kölner Forum Lokaljournalismus: Plädoyers für mehr Innovation und langen Atem

„Local is social. Zeitung 4.0 – die neue Ära“. Unter diesem Slogan diskutierten Ende Mai beim 23. Forum Lokaljournalismus in Köln rund 180 Chefredakteure und Redaktionsleiter von Lokalzeitungen aus Deutschland über die Zukunft der Branche. Eingeladen hatte die Bundeszentrale für politische Bildung, lokaler Gastgeber war der Kölner Stadtanzeiger.

Foto: Max Grönert

„Auf der Weltkarte der journalistischen Innovation ist Deutschland ein ziemlich weißer Fleck“, sprach Christoph Keese, seines Zeichens Executive Vice President der Axel Springer SE, und verblüffte die Forumsteilnehmer gleich zu Beginn mit spektakulären Erfolgen journalistischer Formate aus dem Ausland. Er unterscheidet zwischen „erhaltenden“ und „disruptiven“ Innovationen. Zur ersten Kategorie zähle etwa die Ablösung der Vinyl-Schallplatte durch die CD. Dagegen sei die Entwicklung von Spotify für die Musikbranche eine disruptive Neuerung: Sie biete einen nahezu unbegrenzten Musikstream zum monatlichen Spottpreis von 9,90 Euro. Derartige Revolutionen würden in Deutschland nicht angemessen wahrgenommen. Hierzulande spotteten Verleger, die für das Monatsabo eines Regionalblattes nach wie vor 35 Euro, für den Bezug einer überregionalen Zeitung 60 Euro verlangten, noch über die flachen Inhalte von „Buzzfeed“ – für Keese das „Lachen der Halbtoten auf dem Weg zum Friedhof“.

Christoph Keese Executive Vice President der Axel Springer SE Foto: Max Grönert
Christoph Keese
Executive Vice President
der Axel Springer SE
Foto: Max Grönert
Als innovativ gilt ihm etwa Politico, das parlamentstäglich erscheinendes Internet-Portal und Nachrichtenmagazin. Hauptzielgruppe sind Polit-Profis, Abgeordnete und Mitarbeiter im Umfeld des Weißen Hauses. Mit seinen Insiderinformationen bestimmt es nicht selten die Tages-Agenda in Washington. Das traditionelle Modell der Kauf-Zeitung mit angeschlossener Internet-Seite stellten sie auf den Kopf. Bei Politico gilt „online first“. Die wichtigsten Stories erscheinen anschließend nochmal als kostenlose Print-Ausgabe. Die Spezial-Webseiten Politico Pro seien „zwölfmal so teuer wie die durchschnittliche Lokalzeitung, zehnmal so viele Leute arbeiten an einem Thema“, schwärmt Keese. Dennoch habe das Blatt die journalistische Führerschaft übernommen und erziele an die 50 Millionen Pageviews im Monat. Auf Print entfielen nur noch 17 Prozent des Umsatzes. Ein denkbares Modell auch für Europäer? Unlängst startete in Brüssel – unter Beteiligung des Springer Verlags – politico.eu (M 2/2015).
Aus Frankreich erwähnenswert ist „Mediapart“, der Blog des früheren „Le-Monde-Redakteurs“ Francois Bonnet (M 8/2013). Unzufrieden mit den Online-Aktivitäten seines Verlags, kreierte er mit Wagniskapital ein linkes Portal und verblüffte in kurzer Zeit alle Skeptiker. Inzwischen zählt Mediapart mehr als 100.000 Abonnenten, denen das Monatsabo zehn Euro wert ist. Keeses Empfehlung an die Lokalredaktionen: „Sie sollten überlegen, welcher Journalismus, welche Leistungen Ihrer Meinung nach zehn Euro im Monat wert sind – und dann genau das liefern.“ Seine Prognose: „Kombi-Modelle mit Journalisten und Bloggern“ dürften künftig am erfolgreichsten sein.
Andere backen einstweilen kleinere Brötchen. Die unlängst gestartete App und Website GO.Berlin bieten ihren Nutzern eine Übersicht über kulturelle und kulinarische Highlights in der Hauptstadt. Welcher aktuelle Film läuft im Kino nebenan mit welcher Bewertung, wie empfehlenswert ist das frisch eröffnete Restaurant im Nachbarbezirk? Solche Fragen beantwortet GO.Berlin geobasiert auf einem Stadtplan. A und O des mobilen Stadtführers seien die Bewertungen, sagt Bernd Ziegenbalg, Geschäftsführer der Raufeld Medien, die auch die beiden Berliner Stadtmagazine TIP und Zitty herausgibt: „Orte, die auf der Karte nicht bewertet werden, sind nichts wert.“

Fruchtbare Symbiose

Michael Bröcker Chefredakteur der Rheinischen Foto: Max Grönert
Michael Bröcker
Chefredakteur der Rheinischen
Foto: Max Grönert

Für langen Atem bei neuen Ideen im Lokalen plädiert Michael Bröcker, Chefredakteur der Rheinischen Post: „Wir brauchen Geduld, wir brauchen Vertrauen in journalistische Fähigkeiten, und es bringt nichts, wenn die Chefredakteure im Alleingang top-down Strukturen durchsetzen.“ Düsseldorf-Oberbilk sei im Übrigen kein Silikon Valley. Andererseits wachsen im Gefolge der Konvergenz auch die Anforderungen der Leser/Userinnen an die Medien. Qualitätsjournalismus? Schön und gut, findet Ralf Freitag, Geschäftsführer Medien und Kommunikation bei der in Detmold erscheinenden Lippischen Landeszeitung: „Aber mach das mal mit einer Mannschaft, die nicht größer wird, die auch nicht jünger wird.“ Change-Management sei immer Konfliktmanagement, das nicht nur einzelne Mitarbeiter, sondern den gesamten Verlag betreffe. Wichtig sei, Raum für gegenseitiges Verständnis und fruchtbare Symbiosen zwischen Print und Online zu schaffen.
Bröckers Appell: „Vergesst die blöden Print-Online-Grabenkämpfe!“ Getreu dieser Devise habe man bei der Rheinischen Post im vergangenen Jahr beide Redaktionen zusammengelegt. Integration bedeute aber nicht „Gleichschaltung“. RP Online sei weiterhin ein völlig anderes Produkt als die Printausgabe. Der Erfolg der Seite beruhe darauf, dass sie lokalen „unique content“ biete, der auch tatsächlich „geshared“ werde. In diesem Kontext sei der Lokalredakteur „unersetzlich“. Er sei „das eigentliche soziale Medium“. Ein gewisser Widerspruch zur Klage Bröckers, seine Reporter hätten immer weniger Zeit für Vorort-Recherchen. Gleichwohl schlägt er regelmäßige „Reporter Days“ und „Digital Days“ vor, bei denen die Redaktionen gemeinsam wachsen könnten. Unbegrenzt ist seine Geduld bei veränderungsresistenten Mitarbeitern allerdings nicht. Ohne „Feuer“ und Begeisterung für den Wandel werde es schwierig. „Wer die neue Welt nicht anerkennt, muss gehen“, gab er den Hardliner.

Tipp-Charakter

Michael Husarek stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten Foto: Max Grönert
Michael Husarek
stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten
Foto: Max Grönert

Austausch über konkrete Neuerungen im Lokalen lieferten die „Praxisgespräche“. Einer der Workshops drehte sich um „Lokales 4.0 – von der Tradition zur Innovation“. Da präsentierte etwa Michael Husarek, stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, das Projekt SamSon (für Samstag/Sonntag). Ein seit einem halben Jahr wöchentlich aufgelegtes digitales Magazin für die beiden Nürnberger Lokalblätter mit lokalen und regionalen Themen. Die Geschichten bilden keine harte Politik ab, sondern spielen häufig im Freizeitbereich, haben Tipp-Charakter: das Porträt eines Sattlers oder eine Reportage über die Kletterszene in der Fränkischen Schweiz. Erzählt wird das Ganze crossmedial: mit Audio-Slideshows, mit Videos, mit langen Bilderstrecken und entsprechend kürzeren Texten. Zielgruppe sind vor allem die derzeit 5.000 digitalen Abonnenten der Zeitung, die man auf diese Weise noch stärker zu binden hofft. Mit zweieinhalb dafür eingesetzten Vollzeitstellen ist der Aufwand beachtlich. Ein erwünschter innerredaktioneller Nebeneffekt: so gelingt es, die Berührungsängste mancher Mitarbeiter mit dem Digitalen abzubauen. „Wenn die Kollegen sich einmal an SamSon-Stories herangewagt haben, kommen sie auch wieder, weil es ihnen einfach Spaß macht, mit dem neuen Format Geschichten zu erzählen“, freut sich Husarek.
Wie Multimedia im Lokalen funktionieren kann, belegt auch die Strategie „Online to Print“ beim Nordbayerischen Kurier in Bayreuth. Die Online-Redaktion begreife Themen nicht mehr als abgeschlossene Komplexe, sondern versuche, den Leser den ganzen Tag über mit ständig aktualisierten Inhalten zu versorgen. „Wir denken nicht mehr in Ressortgrenzen und -strukturen“, konstatiert Multimedia-Leiter Tobias Köpplinger. Alle Themen würden „auf einer zeitlichen Achse verortet“, von „Aktuell“ über „Dranbleiber“ bis hin zu „Zeitlos“. Die zentrale Frage bei jedem Thema laute: „Gibt es eine andere, eine bessere Möglichkeit, meine Geschichte zu erzählen als mittels Text?“ Das kann eine echte Herausforderung sein, zum Beispiel bei einem zunächst etwas sperrigen Thema wie der „Straßenausbaubeitragssatzung“. Dahinter steckt das Ansinnen des Landkreises Bayreuth, die Gemeinden dazu anzuhalten, die Bürger an den Kosten für den Straßenausbau zu beteiligen. Anstelle eines Interviews mit Funktionsträgern griff der Kurier zu einer recht originellen Lösung: er spielte in einem Animationsfilm das Problem mit Playmobilfiguren nach: Was dräut der Familie Meier, wenn ihre Straße ausgebaut wird? Ein Thema wie „70 Jahre Kriegsende in Bayreuth“ wurde dagegen in Form von unkommentierten Zeitzeugenberichten bearbeitet, unterlegt mit historischen Fotos und Kriegsakustik.

Ruf nach Partizipation

Uwe Vetterick Chefredakteur der Sächsischen Zeitung Foto: Max Grönert
Uwe Vetterick
Chefredakteur der Sächsischen Zeitung
Foto: Max Grönert

Das Panel „Warum braucht Demokratie lokale Massenmedien?“ drehte sich um PR, Personalabbau und Pegida. Unkritische Unternehmensberichterstattung habe es früher im Lokalen vergleichsweise leicht gehabt, provozierte Wiebke Möhring, Professorin für Öffentliche Kommunikation an der Hochschule Hannover, das Auditorium. Dies ändere sich in jüngerer Zeit, denn „der Ruf der Bürger nach Partizipation ist lauter geworden“. Hinter dem Aufstieg von Pegida habe anfangs ein „aufgestautes Aufklärungsbedürfnis“ gesteckt, das später „instrumentalisiert und gegen die Politik und die Medien gewendet“ worden sei.
Uwe Vetterick, Chefredakteur der Sächsischen Zeitung, konnte davon ein Lied singen. Aus den „Lügenpresse“-Anfeindungen zieht er den Schluss: „klare Kante gegen die Macher zeigen“, den Gründen für den Erfolg der Bewegung nachgehen, einen differenzierten Umgang mit den Mitläufern zu versuchen, schließlich „mutig Haltung zeigen“. Viele Inhalte, die die lokale Presse transportiere, so räumte er ein, seien „nicht nah genug an den Menschen dran“. Die Redaktionen müssten sich mehr darum kümmern, was die Bürger umtreibe.

Wiebke Möhring Professorin für Öffentliche Kommunikation an der Hochschule Hannover Foto: Max Grönert
Wiebke Möhring
Professorin für Öffentliche Kommunikation an der Hochschule Hannover
Foto: Max Grönert

Die Hofberichterstattung sei kein Spezifikum des Lokaljournalismus, urteilte Christian Humborg, Geschäftsführer des gemeinnützigen Essener Recherchebüros „Correct!v“. Vordringliche Aufgabe der Journalisten – egal ob lokal oder überregional tätig – sei, „den Mächtigen auf die Finger zu schauen und ihre Machenschaften aufzudecken“.
Horst Röper, Medienwissenschaftler und Geschäftsführer des Dortmunder Formatt-Instituts, kritisierte die verschlechterten Rahmenbedingungen der Branche. Gerade viele Lokalredaktionen seien heute „viel zu schwach besetzt, um ihrer Steuerungs- und Kontrollfunktion angemessen nachgehen zu können. „In vielen Lokalredaktion in Nordrhein-Westfalen stoppeln zwei Redakteure täglich drei, vier Seiten zusammen.“ Die Folgen für die lokale Demokratie lägen auf der Hand: „weniger Personal, abnehmende Vielfalt“. Röper stellte die Entscheidungsfrage: „Nimmt die Gesellschaft dieses Schrumpfen der Ressourcen hin oder haben wir Gegenrezepte?“

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