Political Correctness?

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

„RAF-Terroristen“, „linkes Milieu“, „sozialistische Revolution“, „linksextreme Parteien“, „Holger, der Kampf geht weiter!“, „kommunistische Killer“, „hasserfüllter Linksextremer“, „Linke von 1975″ – lauter Begriffe aus einer Kolumne im Berliner „Tagesspiegel“ vom 13. Oktober. Worum geht es wohl in diesem zweispaltigen Text? Richtig, um die Morde von Halle. Äh, wie jetzt? Waren die nicht das Werk eines verhetzten, fanatischen Juden-, Ausländer- und Frauenhassers?

Schon, aber das interessiert den Autor Harald Martenstein nicht so richtig. Ihm geht es vornehmlich darum, die AfD von jedweder Mitschuld an den Morden freizusprechen. Denn andernfalls, so die verquere Logik, müsse er selbst ja auch seine eigene Mitschuld an den Untaten der RAF bekennen. Schließlich hätten seinerzeit im „linken Milieu“ viele mit den Terroristen sympathisiert, zumindest verbal. Es sei „unanständig, aus dem Blut von Mordopfern sein tagespolitisches Süppchen zu kochen“. Soso.

Eine Partei, deren Führungspersonal den Holocaust als „Vogelschiss“ bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert, die nicht erst seit dem Einzug in den Bundestag hemmungslos gegen Ausländer und Migrantinnen hetzt – für den Kolumnisten sind das offenbar keine ausreichenden Belege für eine geistige Mittäterschaft. In einer Demokratie sei es nun mal „legitim, friedlich für eine politische Wende zu kämpfen, egal in welche Richtung“. Und wie lange, bis zur nächsten „Machtergreifung“?

Noch wirrer erscheint allerdings die Meinungsbekundung von Springer-Chef Mathias Döpfner. In der Welt, dem arg ramponierten Flaggschiff seines Hauses geißelt er den Terror in Halle unter der Headline „Nie wieder ’nie wieder!“ als „Systemversagen der offenen Gesellschaft“. Ein Dorn im Auge sind ihm vor allem Deutschlands Medieneliten, die „den „Wunschtraum der Political Correctness“ träumten. Was ihn dabei besonders wurmt: Der „Aufwiegelung“ bezichtigt und beschimpft werde dagegen derjenige, „der die Realität beschreibt“. Offenbar der Versuch einer Absolution des hauseigenen Revolverblatts Bild, das Millionen Menschen Vollnamen, Bilder und Message des Attentäters in die Newsfeeds und ins Blatt spielte. Durch diese sensationsheischende, den Täter ikonisierende Berichterstattung – das hat die Kriminalpsychologie längst erweisen – werden Nachahmungstäter geradezu animiert. Mit derlei Überlegungen hält Döpfner sich aber nicht auf. Anstatt den Ursachen für rechten Terror nachzugehen, landet er flugs bei der „rechtsstaatlich sehr zweifelhaften Flüchtlingspolitik“ der Bundesregierung. Eben die sei nämlich für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hierzulande hauptverantwortlich, meint der Mann, der im Nebenjob Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger ist.

Wohin das Anrennen gegen das „Elend der Political Correctness“ führen kann, zeigt der traurige Abstieg des „Medienphilosophen“ Norbert Bolz. Dessen Auftritt bei der AfD-nahen Desiderius Erasmuss Stiftung gipfelte unlängst in einer Suada gegen den „linken Gesinnungsjournalismus“, dessen „mächtigster Mythos“ mangels anderer Ideen der „Kampf gegen rechts“, gegen ein „Phantom“ sei. Obwohl „wir“ so fortschrittlich, so tolerant, so ausländerfreundlich wie nie zuvor in der deutschen Geschichte seien, werde so getan, „als müsste man ständig gegen Nazis kämpfen“. Was für eine Karriere: Vom geachteten, originellen Wissenschaftler zum nützlichen Idioten der AfD!

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