Presse als Hilfssheriff

Seit 1994 Durchsuchungs- und Beschlagnahmewelle in Redaktionen

Immer rücksichtsloser und immer öfter ordnen deutsche Gerichte Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahmen an. Die Anlässe sind meist banal, die Maßnahmen völlig unverhältnismäßig und die Begründungen meist an den Haaren herbeigezogen. Staatsanwälte und Polizei scheinen zu glauben, daß Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Presseorganen hierzulande zur Folklore gehören.

Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmewelle begann vor zwei Jahren. Allein 1994 traten Polizei und Staatsanwaltschaften in 19 Fällen gegen Redaktionen in Aktion. Im vergangenen Jahr waren es noch einmal 10 Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Und im laufenden Jahr geht es schon wieder in unverminderter Härte weiter: Beschlagnahmen und Durchsuchungen in mindestens sieben Fällen. Mindestens einmal im Monat schlagen Staatsanwälte und Polizisten zu.

Merkwürdig auch: Als es zu Ende der 80er Jahre zu ein paar Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahmen kam, brauste ein wahrer Entrüstungssturm durchs Land. Heute, wo sich die Zahl der Polizeiaktionen vervierfacht, ja verfünffacht hat, regen sich oft nur noch vereinzelt schwache Lüftchen. Die Behörden scheinen sich darauf verlassen zu können, daß massenhafter Mißbrauch abstumpft.

Man muß sich einmal plastisch vor Augen führen, wie Richter, Staatsanwälte und Polizisten es begründen, wenn sie eine Durchschungsaktion anordnen oder durchführen. Beim „Solinger Tageblatt“ hat sich im Februar allen Ernstes folgendes zugetragen: Die Polizei beschlagnahmte – mit einem Beschluß des Amtsgerichts Solingen in der Hand – Photos, die der Tageblatt-Redakteur Uli Preuß vor einem Jahr bei einer Protestaktion von jungen Leuten aus der Hausbesetzerszene gemacht hatte. Die Demonstranten hatten in einer siebenminütigen Aktion ein Transparent entrollt und eine Ladung Bauschutt in den Solinger Ratssaal gekippt.

Der Staatsschutz ermittelte daraufhin gegen die Störer wegen Hausfriedensbruch – nicht unbedingt ein Kapitalverbrechen. Weil klare Zeugenbeobachtungen fehlten, geriet die Anklage in Beweisnot. Der erste Prozeß gegen drei der insgesamt neun mutmaßlichen Störer wurde vorläufig eingestellt, nachdem diese sich bereiterklärt hatten, insgesamt 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu leisten – ein deutliches Indiz dafür, daß auch das Gericht die Straftaten, die den Frevlern zur Last gelegt werden, schon eher der Kategorie „Lappalie“ zurechnet.

Die übrigen Angeklagten ließen sich jedoch auf diesen Handel nicht ein. Sie wollten die Angelegenheit vor Gericht durchstehen. Um zu erreichen, daß die Ankläger in zwei weiteren Prozessen nicht gar zu blaß ausschauen, wurde ein Kripobeamter des Staatsschutzes beim „Solinger Tageblatt“ vorstellig, um die Photographien vom Tathergang zu bekommen. Nachdem die Zeitung mit der Begründung abgelehnt hatte, sie sei nicht der Handlanger der Justiz, ordnete das Amtsgericht Solingen die Beschlagnahme der Bilder an (vgl. „M“ 4/96).

Es ging also im Grunde genommen darum, die Beweisnot der Anklagebehörde zu lindern. Man kann das auch so sehen: Die Ermittlungsbehörden hatten schlampig ermittelt, und nun versuchen sie, die Scharte mit Hilfe der Informationen der Presse wieder auszuwetzen. Von Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel kann da keine Rede mehr sein. Das Verfassungsrecht der Pressefreiheit wird geopfert, um den polizeilichen Gang der Beweisfindung zu erleichtern.

Mißstand des Zeugnisverweigerungsrechts

Zugleich wirft der Fall „Solingen“ ein grelles Licht auf einen bestehenden Mißstand des Zeugnisverweigerungsrechts. Bundesrechtlich geregelt ist das Zeugnisverweigerungsrecht – und damit auch das Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot – von Angehörigen der Presse durch das „Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk“ (BGBI 1975 I, S. 1973) vom 1. August 1975. Das Zeugnisverweigerungsrecht dient danach dem Schutz der journalistischen Informationsquellen und Informanten. Daraus hat der Gesetzgeber die Schlußfolgerung abgeleitet, daß selbstrecherchierte Informationen der Redaktionen nicht durch das Zeugnisverweigerungsrecht geschützt sind. Schließlich dient das Zeugnisverweigerungsrecht dem Schutz der Informanten und Informationsquellen – eine Erklärung, die nur scheinbar und auch nur auf den ersten Blick plausibel erscheint.

Widersinnige Unterscheidung

Tatsächlich läuft das auf den Widersinn schlechthin hinaus: Hätte ein freier Photograph die Aufnahmen in Solingen gemacht, so wäre jeder Beschlagnahmeversuch ohne jede Aussicht auf Erfolg gewesen. Dann hätte er nämlich als Informant gegolten, und die Redaktion hätte sich mit Fug und Recht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. Eine Beschlagnahme wäre ein rechtswidriger Akt gewesen. Da aber in diesem Fall ein festangestellter Photograph tätig war, steht die Beschlagnahme – wenigstens in dieser Hinsicht – in Übereinklang mit dem geltenden Recht.

Mit riesigen Kanonen auf ein winziges Spätzchen schoß auch das Amtsgericht Tiergarten im März, als es die Beschlagnahme von Unterlagen in der Anzeigenabteilung der linken „tageszeitung“ (taz) und der ehemaligen Anzeigenagentur der „jungen Welt“ anordnete: Mit rund 30 Polizeibeamten rückte die geballte Staatsmacht an, um Unterlagen zu einer Anzeigenkampagne zu beschlagnahmen, die gut acht Monate zuvor erschienen war. Der Schnee von gestern war längst abgetaut. Aber das Tauwetter hatte die Mühlen der Justiz offenbar noch nicht erreicht.

Selbst die Polizei scheint die Beschlagnahmereaktion zunächst nicht sehr ernst genommen zu haben: Immerhin rückte sie der „taz“ und der Anzeigenagentur der „jungen Welt“ mit einem Gerichtsbeschluß auf den Pelz, der schon volle drei Monate alt war. Und das, obwohl die Durchsuchungsaktion damit begründet wurde, es lägen „dringende Gründe“ vor, „daß das Druckwerk eingezogen und die Unbrauchbarmachung der zur Herstellung verwendeten Gegenstände angeordnet wird, da es einen solchen Inhalt hat, daß jede vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis seines Inhalts des Tatbestands eines Strafgesetzes verwirklichen würde. 74 d StGB.“ Was Wunder, daß man bei „taz“ und „junger Welt“ einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Beschlagnahmeaktion und der zum selben Zeitpunkt über die Bühne gegangenen ersten Lesung der „Lex Bundeswehr“ wittert.

Verschärfung

Was hat sich verändert? Seit 1994 hantieren deutsche Gerichte mit Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen wie wildgewordene Staatsschützer. Traf es früher vor allem kritische und linke Presseorgane, so geht es seit zwei Jahren querbeet. Konservative, überparteiliche, ja unpolitische Presseorgane trifft es ebenso wie die Linken, die natürlich nicht aus dem Fadenkreuz sind. In der Liste der durchsuchten Redaktionen finden sich auch Titel wie die „Augsburger Allgemeine“, die Würzburger „Main-Post“, die „Stuttgarter Zeitung“ oder das Nachrichtenmagazin „Focus“ (siehe dazu auch die Broschüre „Hände weg von den Medien“, Beihefter zu „M“ 10/94 und „M“ 12/95).

Dabei bewegten sich die Gerichte sogar auf juristisch schwankendem Grund; denn ganz so eindeutig ist die Rechtsgrundlage für Durchsuchungen und Beschlagnahmen auch nach dem Bundesgesetz von 1975 nicht.

So hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluß vom 1. Oktober 1987 festgestellt, das durch das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk rechtseinheitlich kodifizierte und auf Personen und Mitteilungen außenstehender Informanten begrenzte Aussageverweigerungsrecht sei nicht abschließend. Die mit diesem Gesetz eingeführten Regelungen enthielten lediglich eine generalisierende Bestimmung darüber, in welchen Konstellationen dem publizistischen Geheimhaltungsinteresse typischerweise der Vorrang gegenüber den Rechtspflegeerfordernissen gebühre. Da die Presse- und Rundfunkfreiheit jedoch nicht nur den Schutz des Informantenverhältnisses, sondern darüber hinaus auch die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit im allgemeinen gewährleiste, könne sich bei auf eigenen Wahrnehmungen und Ermittlungen beruhenden, also bei durch eigene publizistische Arbeit gewonnenen und somit selbstrecherchierten Informationen ein Zeugnisverweigerungsrecht auch unmittelbar aus der verfassungsrechtlichen Presse- und Rundfunkfreiheit ergeben. Dies setze allerdings voraus, daß im konkreten Einzelfall der redaktionelle Schutzbereich höher wiege als die widerstreitende Rechtspflegeerfordernis.

Verhältnismäßigkeit

Bei Zugriffen auf selbstrecherchierte Informationen muß daher von den Gerichten mithin stets und sorgfältig sowie im Einzelfall nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit abgewogen werden, ob die Einschränkung des Redaktionsgeheimnisses tatsächlich geeignet und erforderlich ist, um das mit einem Aussagezwang verfolgte Aufklärungsinteresse zu erreichen. Dieses Aufklärungsinteresse muß in einem angemessenen Verhältnis zu den Einbußen stehen, die ein solcher Eingriff für die Presse- und Rundfunkfreiheit, insbesondere für das Redaktionsgeheimnis, mit sich bringt. Bei solcher Einzelfallabwägung ist auf der einen Seite der herausgehobene und für die freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierende Charakter der Presse- und Rundfunkfreiheit als Verfassungsfundamentalrecht zu berücksichtigen. Doch genau das tun die Gerichte nicht.

Durch das Zeugnisverweigerungsrecht ist also nicht nur das Vertrauensverhältnis zwischen einer Redaktion und ihren Informanten in besonderer Weise geschützt. Gleichzeitig schützt es auch das Redaktionsgeheimnis.

Ergänzt wird das Recht der Zeugnisverweigerung durch das Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot. Staatliche Eingriffe in den journalistischen Produktionsprozeß stellen eine besonders starke Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Presse dar. Wenn die Beschlagnahme von Unterlagen und die Durchsuchung von Redaktionsräumen generell zulässig wären, könnte die Anonymität von Informanten nicht mehr gesichert werden. Deshalb gilt Beschlagnahme- und Durchsuchungsfreiheit für alle Personen, denen auch das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.

Sonderrecht der Presse

Dieses Sonderrecht der Presse ist vor allem im Zuge von Strafverfolgungsmaßnahmen durch Justizbehörden, die nicht einem Presseorgan selbst gelten, und dabei im Zusammenhang einer möglichen Sicherstellung von Beweismitteln von Bedeutung, da insbesondere Informationen und Pressematerial, die einem Presseorgan von dritter Seite anvertraut werden, durch die Strafprozeßordnung (StPO) geschützt sind. Dadurch soll nach den Worten des Presserechtlers Udo Branahl „gewährleistet werden, daß die Strafverfolgungsbehörden sich die Informationen, die ihnen Mitarbeiter einer Zeitung, Zeitschrift oder eines Senders unter Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht vorenthalten, nicht dadurch verschaffen, daß sie deren Räume nach Unterlagen durchsuchen, die die gewünschten Informationen enthalten, und diese beschlagnahmen“.

 

 

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