Presserat urteilt: Unangemessene Sensationshascherei

Der Deutsche Presserat hat auf seinen Beschwerdeausschuss-Sitzungen Anfang Dezember wegen schwerer Verstöße gegen den Pressekodex insgesamt elf öffentliche Rügen ausgesprochen. So wurde „Der Mobilitätsmanager Online“ etwa wegen Diskriminierung gerügt, weil dort nordafrikanische Flüchtlinge als „Gesindel“ bezeichnet wurden.

In einem Beitrag über zwei Fälle von sexueller Belästigung von Frauen durch junge marokkanische Männer hieß es: „Deutschland wird immer mehr von nordafrikanischem Gesindel überflutet, das sich durch die Willkommenskultur eingeladen fühlt.“ Die Bezeichnung „Gesindel“ sei eindeutig eine Diskriminierung nordafrikanischer Zuwanderer und verstoße gegen Ziffer 12 des Pressekodex, urteilte der Beschwerdeausschuss.

In den Sitzungen vom 6., 7. und 8. Dezember 2016 wurden neben den Rügen auch 15 Missbilligungen ausgesprochen und 42 Hinweise gegeben. Sechs Beschwerden wurden zwar als begründet angesehen, jedoch auf eine Maßnahme verzichtet. 38 Beschwerden wurden von den Ausschüssen als unbegründet erachtet.

Nicht von öffentlichem Interesse gedeckt

Eine öffentliche Rüge erhielt auch MOPO24.de wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 11 des Pressekodex. Das Medium hatte ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie ein dreijähriges Mädchen von seinem Stiefvater im Pool eines mexikanischen Hotels ertränkt wird. Der Beschwerdeausschuss sah darin eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Dem Zuschauer sei ermöglicht worden, dem Leiden und Sterben des Kindes in voyeuristischer Weise zuzusehen. Zudem habe das Portal fast vollständig auf eine journalistische Einbettung des Videos verzichtet.

„Bild Online“ wurde gerügt für die Veröffentlichung eines Videos, das in einer Mehrfachschleife zeigte, wie ein kleiner Junge von einem Auto angefahren wurde. Der Beschwerdeausschuss sah in dem Film, der zudem mit reißerisch-emotionalisierender Musik unterlegt war, ebenfalls eine unangemessen sensationelle Darstellung im Sinne der Ziffer 11 Pressekodex. Eine solche Berichterstattung in Bewegtbildern sei nicht mehr durch ein öffentliches Interesse gedeckt .

Eine weitere Rüge erging gegen den „Berliner Kurier Online“ wegen der Berichterstattung über den Suizid eines Politikers der Piratenpartei. Das Medium hatte die Methode, wie der Verstorbene sich umgebracht hatte, detailliert geschildert und damit die Zurückhaltung missachtet, die gemäß Richtlinie 8.7 des Pressekodex bei der Berichterstattung über Selbsttötung geboten ist. Die Schilderung der näheren Begleitumstände der Tat habe insbesondere dann zu unterbleiben, wenn sie geeignet ist, zu Nachahmungstaten anzuregen.

Um den Schutz der Persönlichkeitsrechte ging es im Fall der Rüge gegen die „Rems-Zeitung“. Sie erhielt eine Rüge für die Weiterleitung der E-Mail-Korrespondenz zwischen der Redaktion und einem Leser an dessen Vorgesetzten. Die Mails enthielten nicht nur das Anliegen des Lesers, sondern auch seinen Namen und weitere persönliche Daten. Diese Weitergabe von Leserkorrespondenz  widerspreche dem redaktionellen Datenschutz, den die Presse nach Ziffer 8 – im konkreten Fall in Verbindung mit Ziffer 2, RL 2.6 Abs. 5 – des Pressekodex gewährleistet.

Leser grob getäuscht

Eine Rüge wegen Verstoßes gegen die Ziffern 1 und 2 des Pressekodex erging gegen „Die Aktuelle“. Das Blatt hatte auf der Titelseite über einen angeblichen Zusammenbruch des britischen Prinzgemahls beim Besuch einer Schule berichtet und behauptet: „Prinz Philip – es geht zu Ende“. Ein Bild zeigt den Prinzen beim Griff in die Innentasche seines Jacketts. In der Bildunterschrift heißt es: „Der Schock: Philipp greift sich an die Brust. Erst jetzt erkennt die Königin den Ernst der Lage“. Das Foto war allerdings bei anderer Gelegenheit aufgenommen worden. Die Farbe des Jacketts wurde geändert, um dies zu verschleiern. Der Verlag teilte mit, man habe den Beitrag von einem Zulieferer eingekauft und die Berichterstattung für plausibel gehalten. Der Ausschuss bewertete die Berichterstattung jedoch als eklatanten Verstoß gegen die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung. Die Redaktionen tragen auch für von Dritten zugekauftes Material die Verantwortung.

„Bild Online“ erhielt eine Rüge für einen Teasertext unter der Überschrift „Eintracht-Chef Hellmann knallt in Stauende“. Dort heißt es: „Eintracht-Vorstand Axel Hellmann (45) in Lebensgefahr!“ Erst bei Aufrufen des hinter einer Paywall befindlichen Artikels erfahren die Leser, dass der Unfall bereits fünf Monate zuvor stattgefunden hatte und dass der Chef des Frankfurter Bundesliga-Clubs unverletzt geblieben war. Darin sah der Beschwerdeausschuss einen schweren Verstoß gegen das in Ziffer 1 des Pressekodex festgeschriebene Gebot zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit.

Schleichwerbung in drei Fällen

Gleich zwei Rügen wegen Schleichwerbung nach Ziffer 7 Pressekodex erhielt die Fernsehzeitschrift „TV14“. Im ersten Fall Artikel ging es um eine von einem Unternehmen entwickelte Technologie, mit der die Treibgasmenge einer Spraydose halbiert werden kann. Diesem Beitrag beigestellt war ein großes Foto eines Deo-Sprays, das von diesem Unternehmen hergestellt wird. Der Beschwerdeausschuss sah für diese Berichterstattung keinen redaktionellen Anlass, insbesondere da die Technologie zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels bereits zwei Jahre auf dem Markt war und mit der Produktabbildung ein eindeutiger Werbeeffekt verbunden ist. Im zweiten Fall wurde die Rüge für insgesamt sieben Artikel ausgesprochen, die sich jeweils mit einem bestimmten medizinischen Thema beschäftigten. In jedem dieser Beiträge wurde dabei ein konkretes Präparat aus einer Palette ähnlicher Produkte genannt. Diese – redaktionell nicht begründete – Hervorhebung eines einzelnen Produktes stelle Schleichwerbung dar, befand der Beschwerdeausschuss.

Auch das Internetportal NETMOMS.DE wurde gerügt wegen einer unangemessenen Berichterstattung über ein medizinisches Thema (Ziffer 14 Pressekodex) sowie einer Verletzung des Grundsatzes der klaren Trennung von Redaktion und Werbung (Ziffer 7 Pressekodex).

http://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »