Ansatzpunkte gegen neoliberale Einflussstrategien
Über zwei Jahrzehnte hinweg ist es wirtschaftsliberalen Kräften gelungen, das gesellschaftliche Klima entscheidend zu beeinflussen: Die sozialen Folgen der Globalisierung gelten weithin als alternativlos, die Politik als hilflos – und die Verbände und Organisationen, die Alternativen entwickeln und einklagen, als verknöcherte Gralshüter des ewig Gestrigen.
Dieser langfristige Prozess wurde auch dadurch gestützt, dass die Folgen der Globalisierung aufgrund der Wiedervereinigung in Deutschland mit mehr als einer Dekade Verzögerung anrollten. Die wirtschaftlichen Eliten – also Unternehmen und Arbeitgeberverbände samt ihrem Netzwerk aus Lobbyisten, Think Tanks, Parteien, Medien und Wissenschaft – haben diesen Zeitraum strategisch genutzt. Die arbeitgeberfinanzierte PR-Maschinerie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ist da nur das aktuell in der Öffentlichkeit am breitesten diskutierte Werkzeug der Einflussnahme. Die Wirkung der weniger prominenten und finanzkräftigen Konvente, Think Tanks und Wissenschaftsnetzwerke darf darüber nicht unterschätzt werden. Erfolgreiche Einflussstrategien sind nicht allein vom Budget abhängig. Das straff koordinierte und konsequente Vorgehen zeigt im Zusammenspiel aller Akteure eindeutig Wirkung: im Bewusstsein wie im Portemonnaie breiter Bevölkerungsschichten.
Das Unbehagen an dieser Entwicklung findet plötzlich erstaunliche Resonanz in den Medien: Ob Albrecht Müllers Buch „Die Reformlüge“, ob Walter van Rossums „Meine Sonntage mit ‚Sabine Christiansen‘ „- die Debatte über neoliberale Einflussstrategien gewinnt an Fahrt. Gute Zeiten, um ohne Larmoyanz über grundsätzliche Ansatzpunkte zu diskutieren, wie dem wirtschaftsliberalen Zeitgeist Paroli geboten werden kann. Im Folgenden einige Wege aus dem Jammertal:
1. Langer Atem statt PR-Strohfeuer
Eine so tiefgreifende und langfristige Veränderung des gesellschaftlichen Klimas lässt sich nicht auf kurze Sicht korrigieren. Dazu braucht es langen Atem. Erfolge können sich erst mittel- und langfristig einstellen. Schnelle PR-Erfolge sind Strohfeuer.
2. Wertedebatte intensivieren
Neben einer realistischen Einschätzung der Zeithorizonte muss der Kampf um die Köpfe intensiviert werden: Notwendig ist eine Wertedebatte, die angekoppelt ist an die aktuellen Debatten – was also ist zu verstehen unter Gerechtigkeit und Solidarität im Zeitalter von Hartz IV, Kopfpauschale und einer alternden Gesellschaft? Wie konkretisiert sich die Idee von der Würde der Arbeit, wenn z. B. für immer mehr Menschen prekäre Arbeitsverhältnisse Normalität sind?
3. „EuroVision“ formulieren
Entscheidende arbeits- und wirtschaftspolitische Fragen lassen sich bereits jetzt nicht mehr im nationalen Rahmen regeln. Die Integration der europäischen Märkte schreitet weiter voran. Auch hier hat die Wirtschaftslobby ihren Einfluss frühzeitig geltend gemacht. Wenn Europa jedoch mehr als ein Wirtschaftsraum sein soll, dann müssen Gewerkschaften ihr Bild vom Europäischen Sozialmodell, ihre EuroVision, formulieren – und sich z.B. auf den beschwerlichen Weg zu europäischen Mindeststandards machen.
4. Netzwerke knüpfen
Vom konzertierten Vorgehen der Wirtschaftselite kann man durchaus lernen. Höchste Zeit, die eigenen Kräfte zu bündeln und zum einen bestehende Verbindungen, wie etwa zu Intellektuellen, Kirchen und Sozialverbänden, zu beleben und neue Kontakte, z. B. mit Attac, aufzubauen. Gerade die jüngere Generation in den Gewerkschaften sieht sich als Teil eines Netzwerks – und ist neugierig darauf, auch jenseits der bekannten Bündnisse zu agieren.
5. Aufklärung tut not
Schärfer hingucken und schneller agieren: Gewerkschaften müssen ihre Gegnerbeobachtung professionalisieren. Dabei geht es nicht allein um das Monitoring der Parteienlandschaft. In den Fokus gehören auch die anderen Akteure – also Unternehmen, Wissenschaft, Lobbyisten, Arbeitgeberverbände und ihre Think Tanks.
6. Alle Einflussmöglichkeiten nutzen
Die Gewerkschaften werden alle Einflusskanäle nutzen müssen, um für mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Land zu sorgen – in Parteien und Parlamenten, in Verbänden, Kirchen, NGOs etc. Die Flucht aus den Organisationen und Parteien beraubt Gewerkschaften lediglich einer Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und für Veränderung zu sorgen.
7. Professionelle Medienarbeit
Die Mediendemokratie gehorcht eigenen Regeln: Es gilt das Gesetz des Personalisierens, des Dramatisierens und des Skandalisierens. Sich darüber zu wundern und zu ärgern ist das eine – das andere, kreativ damit umzugehen: Gewerkschaften müssen offensiver werden, mit Gestaltungsvorschlägen punkten, sich nicht vom politischen Gegner auseinanderdividieren lassen, ihre Kampagnen mit mittel- und langfristiger Perspektive entwickeln und dann konsequent und stetig umsetzen.
Und auch auf die Tonlage der Kommunikation kommt es an: es geht um mehr Nachdenklichkeit, mehr Argumentation und Dialog – und um weniger Schlagabtausch, um weniger reflexhafte Kommunikation.
Christiane Zerfaß, DGB