Recherche global

Konferenz in Amsterdam mit wenig Teilnehmern aus Deutschland

Über 400 Journalisten aus 54 Ländern haben sich in Amsterdam vom 29. September bis zum 2. Oktober zur dritten Internationalen Konferenz investigativer Journalisten getroffen. Wichtigstes Anliegen des Treffens waren, Netzwerke zu knüpfen, aktuelle Rechercheprojekte vorzustellen und das eigene Handwerkszeug zu verbessern. Ausgerechnet Deutschland, Einwohner stärkstes Land Europas und einer der wichtigsten Medienmärkte weltweit, war nur mit wenigen Teilnehmern auf dem Kongress vertreten.

„Auf jeden Fall ist es eine Enttäuschung. Ich hatte gehofft, da Amsterdam doch ziemlich nah ist für viele deutsche Journalisten, dass es mehr deutsche Teilnehmer geben wird“, sagt Dick van Eijk. Der große Blonde ist Mitbegründer des holländisch-flämischen Vereins investigativer Journalisten, VVOJ, einer Schwesterorganisation des deutschen „netzwerk recherche“. Der VVOJ hat das internationale Zusammentreffen investigativer Medienleute organisiert, nachdem man sich in den Vorjahren zweimal in Kopenhagen getroffen hatte. 150.000 Euro waren zusammenzutragen, um solch einen Kongress in diesem Jahr möglich zu machen. Immerhin: 80.000 Euro kamen von Sponsoren, den Rest mussten die teilnehmenden Journalisten selbst aufbringen, in der Regel 390 Euro pro Person.

Selbstreflektion notwendig

Ein Grund, sich dann doch lieber die Teilnahme zu sparen? „Das ist ein entscheidender Punkt“, erklärt Manfred Redelfs, Leiter der Rechercheabteilung bei Greenpeace und Mitglied des „netzwerk recherche“. „In Deutschland fehlt eine Denkweise, bei der die Themen eher langfristig betrachtet werden, auch die Investitionen in Ausbildung. Schließlich muss es im Journalismus auch um einen Qualitätswettbewerb gehen. Da haben wir häufig die Situation, dass gerade die Grundlagenrecherche zurückgefahren wird.“ Doch Geld dürfte nicht die einzige Ursache für das geringe deutsche Interesse an einer Recherchekonferenz sein. Schließlich fehlten auch Journalisten finanzkräftiger Medien. Offenbar, so Redelfs, gibt es in Deutschland einfach weniger investigative Kollegen. „Die sind offensichtlich immer noch eine gefährdete Art, die auf der roten Liste stehen muss.“ Und die einfach eine andere Mentalität haben, als holländische oder auch nordeuropäische Kollegen. „Hierzulande gibt es nicht so eine starke Tradition, über das eigene Handwerk zu reflektieren“, konstatiert der Greenpeacemann.

Eine Beobachtung, die auch Dick van Eijk gemacht hat. „Wenn man sich eine Jahrestagung von ‘netzwerk recherche’, unserem Schwesterverein, ansieht, merkt man, dass es da viel mehr Diskussionen gibt um Politik und Ethik. Diese Diskussionen sind ganz gut für ein Glas Bier in der Kneipe. Unsere Konferenzen dagegen sind viel mehr praktisch orientiert. Es geht darum, wie man noch besser recherchieren kann.“ Van Eijk hofft, dass sich die deutsche Sicht in eine andere Richtung entwickelt, „weil es auch in Deutschland so viele Erfahrungen mit guten investigativen Projekten gibt.“

Mit großen Unterschieden im Herangehen an die journalistische Arbeit wird van Eijk allerdings auch in den nächsten Jahren leben müssen. Pünktlich zur Konferenz in Amsterdam hat er eine Studie zum investigativen Journalismus in Europa herausgegeben. Sein Fazit: So etwas wie europäischen Journalismus gibt es nicht. In manchen Ländern ist Recherche integriert in die tägliche Arbeit, vor allem in Schweden, Norwegen und Dänemark. Dort gibt es auch viele kleine lokale Zeitungen, für die investigative Projekte ganz normal sind. Je weiter man jedoch nach Süden und nach Osten kommt, desto weniger spielt investigativer Journalismus eine Rolle. „In der Türkei, am weitesten im Süden und am weitesten im Osten gelegen, findet man das am wenigsten. Da sind die Medien eigentlich nicht interessiert an solchen Projekten. Und wenn Reporter in ihrer freien Zeit recherchieren, will ihr Chef das in der Regel nicht publizieren, weil er denkt, damit entweder kommerzielle oder politische Probleme zu bekommen“, resümiert van Eijk.

Zu wenig Managementkompetenz

Was bereits auf eine zweite Erkenntnis der Studie hinweist. Die Untersuchung stellt fest, dass es offenbar keinen Zusammenhang gibt zwischen der Finanzstärke eines Mediums und der Anzahl investigativer Projekte. Es gebe viele Beispiele von kleinen, armen Medien, die oft und gut investigativ arbeiten, so van Eijk. Und es gebe Medien, die viel Geld hätten, „die das kaum oder überhaupt nicht tun“. Abhängig ist dies davon, welchen Anspruch Medienleute an das eigene Tun haben. Der allein jedoch genügt nicht. Wichtig ist auch zu wissen, wie investigative Arbeit koordiniert werden muss. „Wir sind in Europa daran gewöhnt, dass Redaktionen mehr oder weniger anarchistisch arbeiten“, meint Dick van Eijk. „Dass Reporter mehr oder weniger selbst machen, was sie denken, was interessant wäre. Wir haben weniger Hierarchie, aber auch weniger Planung und Prioritätensetzung in den Medien. Wenn man das integrieren will in die tägliche Arbeit, muss man wissen, wie ein gutes investigatives Projekt gemacht wird. Man sollte die Tips und Tricks kennen, aber auch in der Lage sein, Chefredakteuren professionell gegenüber zu treten. Wenn zum Beispiel ein Reporter eine interessante Sache hat, wofür er eine Woche arbeiten möchte, muss jemand anderes seine tägliche Arbeit übernehmen. Diese Managementkompetenz gibt es selten in Europa.“

Auf der dritten Internationalen Konferenz investigativer Journalisten wurde denn auch rege von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, diese Lücke zu füllen. Projektmanagement, die Analyse von Recherchedaten mittels Software sowie die Suche von Informationen im Internet waren die Schwerpunkte der Werkstätten. Überraschungen bereit hielt zum Beispiel das Seminar „Now find that hidden web!“ mit dem niederländischen Internettrainer Henk van Ess. Vordergründig ging es um das simple Auffinden von Daten mittels der Suchmaschine google. Das „hidden web“, das versteckte Netz, ist jedoch nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Van Ess demonstrierte, nach welcher Struktur die Suchmaschine arbeitet, welche Standardbefehle den Nutzer in noch so weit abgelegene Datensammlungen führen und wie man komplizierte Recherchefragen auf einfache Suchbegriffe herunter bricht. „Eine spannende Sache“, bestätigte Thorsten Matthies, Ressortleiter Wirtschaft bei dpa, einer der wenigen deutschen Kongressteilnehmer.

Die Werkstätten, zugeschnitten auf rund 30 Teilnehmer, waren meist überfüllt. Kein Wunder, meint Dick van Eijk. „Viele Journalisten lernen nach ihrer Ausbildung nur noch in ihrer Arbeit dazu. Sie haben aber nicht, wie es normal ist für Rechtsanwälte, Lehrer oder Ärzte, noch weitere Ausbildungen. Hier gibt es die Gelegenheit, neue Sachen zu erfahren, die man in einer Schule nicht lernen kann, weil man dorthin eher eingeladen wird, um als Dozent aufzutreten.“

Nächste Recherchekonferenz in zwei Jahren in Kanada

Anregungen für eigene Projekte gaben die zahlreichen Berichte von erfolgreichen Recherchen. Gerard Legebeke vom niederländischen öffentlichen Hörfunk schilderte seine nun bereits 10 Jahre andauernden Nachforschungen im Fall Srebrenica. Im Juli 1995 waren bei einem Massaker in der UN-Schutzzone 7000 Moslems durch bosnisch-serbische Truppen ums Leben gekommen. Gemeinsam mit zwei Kollegen war Legebeke der Frage nachgegangen, weshalb sämtliche UNO-Verantwortlichen einhellig erklärten, sie hätten von den Mordplänen der Serben nichts gewusst. Durch die Recherchen kam ans Tageslicht, dass die UNO über das bevorstehende Massaker informiert gewesen war. Weshalb dennoch keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, sollen nun weitere Recherchen erhellen. „Bying Politicians“ überschrieb Harinder Bawejo von der indischen Wochenzeitung „Tehelka“ ihre Geschichte. Sie berichtete, wie sich zwei Reporter als Waffenhändler ausgaben und es ihnen gelang, die politische Spitze zu bestechen. Auf diese Weise konnten beide anschließend ihr vermeintliches Produkt an die Armee verkaufen. Ein Beispiel für die Bestechlichkeit der politischen Klasse in Indien.

Die nächste Internationale Konferenz investigativer Journalisten wird in zwei Jahren in Kanada ausgerichtet. 2006 findet in London eine europäische Recherchekonferenz statt. Dann vielleicht auch mit stärkerer deutscher Beteiligung. Denn es wäre, wie Manfred Redelfs vom „netzwerk recherche“ sagte, „ein Armutszeugnis, wenn alle in Deutschland über Globalisierung reden, aber ausgerechnet der Journalismus es nicht schafft, sich international zu vernetzen.“

 

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