Reporteros auf Recherchetour

Ein ambitioniertes journalistisches Projekt in Peru mit ersten Erfolgen

Gustavo Gorriti ist Redaktionsleiter von IDL-Reporteros, einem ehrgeizigen Projekt, das den investigativen Journalismus in Peru wiederbeleben will. Dabei kann sich der 62-jährige auf internationale Unterstützung verlassen – eine Blaupause für andere Länder?

M | Sie haben mit IDL-Reporteros ein neues Medium für investigativen Journalismus geschaffen. Fehlt es an solider Recherche in Peru?

GUSTAVO GORRITI | Weltweit muss man neue Formate finden, um investigativen Journalismus zu ermöglichen. Beinahe überall haben wir es mit sinkenden Auflagen, mit der Konzentration von Medienmacht in den Händen von wenigen zu tun, die oftmals nichts mit Journalismus zu tun haben. Man darf Medienunternehmen nicht ausschließlich nach Gewinnkriterien führen. In Peru, aber auch in Kolumbien und anderswo haben wir es mit einem oft irrationalen Absenken der Kosten, der Verstümmelung des Personalbestands in den Redaktionen und der Schließung von Recherche-Abteilungen und ganzer Blätter zu tun. Der investigative Journalismus liegt weltweit im Sterben und in Peru will ich dem nicht tatenlos zusehen.

M | Wann haben Sie begonnen nach Alternativen zu suchen?

GORRITI | Schon zu Beginn dieses neuen Jahrtausends habe ich mit Kollegen über journalistische Standards debattiert: Über die Probleme eines gemeinnützigen Journalismus, über die Rolle des Journalismus als Kontrollinstanz und über die Herausforderungen der neuen Techniken. Der Druck auf Journalisten wurde erhöht – Geschwindigkeit ist manchmal wichtiger als solide Recherche. 2002 habe ich begonnen nach Alternativen zu suchen.
Damals war die Korruptionsbekämpfung ein großes Thema. Korruption konterkariere die Entwicklungsbemühungen, sie verhindere eine effiziente Zusammenarbeit und torpediere Ansätze zur Selbsthilfe, hieß es da. Da kann man ansetzen – Workshops organisieren, recherchieren, die Leute informieren, aufklären und vorbeugen. Diese Ideen haben wir in ein Konzept gegossen und es der Weltbank vorgelegt. Unser zentrales Argument war, dass der investigative Journalismus eines der effizientesten Mittel ist, um Korruption zu bremsen und das lässt sich belegen. Wir wollten eine große Redaktion aufbauen, nach fünf Jahren die Arbeit evaluieren, um dann zu sehen, ob und wie man fortfahren kann.

M | Wie war die Resonanz auf den Vorschlag?

GORRITI | Die Idee gefiel den Verantwortlichen, aber finanzieren wollten sie eine große Redaktion eben nicht. Zu teuer war ein Argument, zu ambitioniert ein anderes und obendrein fürchtete man Ärger mit den Regierungen in den betreffenden Ländern. Zu recht, denn wer hat schon Lust sich von Journalisten nachweisen zu lassen, dass man Mittel veruntreut.

M | Wie haben Sie auf diesen Rückschlag reagiert?

GORRITI | Ich habe das Konzept modifiziert, es auf Bonsai-Größe heruntergefahren und bin zum Open Society Institute in New York gefahren und habe dort um Förderung gebeten. Das war 2006, doch leider war den Verantwortlichen mein Projekt immer noch zu aufwendig. Ich gab aber nicht auf, nahm an internationalen Konferenzen zum Thema teil, knüpfte weitere Kontakte und überarbeitete das Konzept zum dritten Mal bevor ich es 2009 erneut nach New York ans Institut schickte. Im Oktober 2009 erhielt ich dann grünes Licht, gemeinsam mit vier Journalisten „IDL-Reporteros“ zu gründen.

M | Sie haben die Redaktion unter dem Dach des Instituto de Defensa Legal (IDL), einer der renommierten Menschenrechtsorganisationen Perus, aufgebaut. Wie kam es dazu?

GORRITI | Den Kontakt zu den Anwälten des Instituts gibt es schon lange. Ich habe immer mal wieder für IDL gearbeitet und die Entscheidung, unter dem Dach des IDL unser Projekt anzusiedeln, war nur folgerichtig. Das Institut tritt seit 26 Jahren für die Menschenrechte in Peru ein und das oft unter schweren Bedingungen – schließlich wurde es zum Höhepunkt des peruanischen Bürgerkriegs gegründet und hat für die Opfer des Terrors von links und rechts Partei ergriffen. Das Institut genießt in Peru enormes Prestige. Es gibt Synergieeffekte, denn das Institut arbeitet an Fällen, die auch uns interessieren. Aber wir sind vollkommen unabhängig – finanziell und redaktionell.

M | Sie haben bei der Wochenzeitung Caretas, bei der linken Tageszeitung La República und im Fernsehen für Frequencia Latina gearbeitet. War dort kein Platz mehr für kritischen Journalismus?

GORRITI | Er hat in Peru an Verbreitung verloren, das ist ein schleichender Prozess, gegen den ich in den Redaktionen gekämpft habe – nicht nur in Peru, sondern auch in Panama, wo ich eine Zeit lang arbeitete. Grundsätzlich ist eine Banalisierung der Berichterstattung zu beobachten.

M | Lässt sich das Beispiel der IDL-Reporteros übertragen?

GORRITI | Ich denke schon und der Start war gut. Die Themen, die von uns entdeckt, recherchiert und kostenlos ins Netz (www.idl-reporteros.pe/) gestellt wurden, haben Redaktionen genauso aufgegriffen wie die Bloggsphäre. Das wirkt sich auf die Qualität der Berichterstattung insgesamt aus – und das ist doch unser übergeordnetes Ziel.


 

Open Society Institut (OSI)

Das Open Society Institut (OSI) ist eine Stiftung, die vom Milliardär George Soros ins Leben gerufen wurde. Die Stiftung vertritt den Gedanken einer Offenen Gesellschaft mittels der Unterstützung von Initiativen der Zivilgesellschaft und unterhält mehrere Büros. Die Zentrale befindet sich in New York.

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