Saudi-Arabien endlich ungeschminkt

Es ist, als hätten Arte oder die beauftragte Produzentin Sandra Maischberger auf die Kritik an der zuletzt ausgestrahlten fünfteiligen Serie über das „unbekannte Arabien“ reagiert. Statt zuckersüßer Werbebilder wird dem Zuschauer Saudi-Arabien nun endlich 55 Minuten lang ungeschminkt gezeigt. Ein konservatives Königshaus gepaart mit einer fundamentalistischen Geistlichkeit, die ihren wahhabitisch-salafistischen Islam petromilliardendollarschwer zu möglichst vielen Sunniten in alle Welt exportiert. Auch nach Europa. Auch nach Deutschland!

Saudi-Arabien steckt in einer Krise, die das Land zu zerreißen droht. Alles scheint zum ersten Mal seit Jahrzehnten im Wandel. Eine im Ausland gut ausbildete Jugend kehrt zurück, die immer lauter mehr Rechte fordert. Die Öleinnahmen in Zeiten der US-amerikanischen Fracking-Konkurrenz sprudeln nicht mehr so wie früher. Erstmals seit 40 Jahren müssen viele Saudis selbst arbeiten, auch immer mehr Frauen. Töchter trauen sich, eigene Firmen zu gründen. Bald sollen sie sogar offiziell Auto fahren dürfen. Die Jugend will Kinos, Theater, Hip-Hop-Konzerte. Blogger üben sich in immer mehr Gedanken- und Meinungsfreiheit. Noch gilt zwar das Prinzip der Abschreckung. Der saudische Blogger Raif Badawi, der mit 10 Jahren Haft und 1000 Stockhieben bestraft wurde, ist das prominenteste Beispiel dafür. Doch vielleicht gehört er zu den letzten Opfern des Regimes. Mit dem Reformprogramm „Vision 2030“ hat der neue Herrscher Mohammed bin Salman erste Zugeständnisse gemacht. Sogar der Tourismus wird erstmals angekurbelt. Saudische Frauen in Bikini an heimischen Stränden? Vielleicht bald mehr als nur ein orientalischer Traum.

Die religiösen Hardliner jedoch reizt solch sündiges Treiben bis aufs Blut. Die bislang omnipräsente Religionspolizei wurde auf der Straße entmachtet. Radikale Islamisten drohen dagegen mit Dauerterror. Denn das Königshaus der Saud führt nicht nur neue Freiheiten ein, sondern kooperiert auch mit dem ungläubigen Westen. Etwa indem milliardenschwere Waffengeschäfte abgeschlossen werden, statt das Geld für die eigene Bevölkerung auszugeben. Hinzu kommt der Dauerkonflikt nicht nur mit dem Iran, sondern eben auch mit den rund zwei Millionen Schiiten im eigenen Land.

Und dann wird in der Dokumentation auch die saudische Mission in den Blick genommen. Seit den 1960er Jahren wurden von Saudi-Arabien gut 75 Milliarden US-Dollar in den Bau von Moscheen, islamischen Zentren und in die Ausbildung von Predigern in der ganzen Welt investiert, auch in vielen Ländern Europas. Belgien ist ein Schwerpunkt. Die radikalen saudischen Ideen eines salafistischen, rückwärtsgewandten Islams fallen in den Einwanderervierteln Brüssels seit Jahrzehnten auf fruchtbaren Boden, Gastarbeiterkinder grenzen sich ab und nehmen extreme Einstellungen an. Von Riad wird seit Jahrzehnten der salafistische Geist gerufen, der nun im dschihadistischen Terror Gestalt annimmt und unser aller Leben bedroht, auch das der gemäßigten Muslime.

Schade nur, dass in dem Film die saudische Beeinflussung auch in deutschen Moscheegemeinden nicht näher untersucht wird. Das wäre Stoff für eine weitere politisch brisante Reportage. Aber auch schon diese anspruchsvolle Analyse über das Saudi-Arabien des Jahres 2018 kann man als gelungen und sehenswert bezeichnen!


Saudi-Arabien – Ölmacht in der Krise, Arte, 27. März 2018, 20:15 Uhr, Regie: Michael Richter, 55 Minuten, Produzentin Sandra Maischberger

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Mediatheken löschen ihre Inhalte

In Zeiten von Video-on-demand, Streaming und Mediatheken haben sich Sehgewohnheiten verändert. Zuschauer*innen  gucken wie selbstverständlich Filme, Serien, Dokus oder Nachrichten online. Private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender pflegen daher inzwischen umfangreiche Mediatheken. Sendung verpasst? In den Online-Videotheken der TV-Anstalten gibt es nahezu alle Medieninhalte, um sie zu einem passenden Zeitpunkt anzuschauen, anzuhören oder nachzulesen. Irgendwann werden sie dann aber gelöscht.
mehr »

Fehlender Schutz für Journalistinnen

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen fordert die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di von der Politik und Arbeitgebern endlich mehr Schutz für Frauen in den Medien. Die Zahlen von Gewalttaten an Frauen sind sowohl online als auch offline gestiegen. Der Lagebericht 2023 der Bundesregierung zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten zeigt: Besonders hoch ist der Anstieg bei frauenfeindlichen Straftaten im Zusammenhang mit politisch motivierter Kriminalität - 322 Straftaten - 56,3 Prozent mehr als noch in 2022.
mehr »

Neues vom Deutschlandfunk

Auch beim Deutschlandfunk wird an einer Programmreform gearbeitet. Es gehe etwa darum, „vertiefte Information und Hintergrund“ weiter auszubauen sowie „Radio und digitale Produkte zusammen zu denken“, erklärte ein Sprecher des Deutschlandradios auf Nachfrage. Damit wolle man auch „auf veränderte Hörgewohnheiten“ reagieren.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »