Scoopcamp auf Talentsuche

Die diesjährige scoop-Award-Preisträgerin Prof. Christina Elmer (Mitte) mit Dr. Nina Klaß, Leiterin von nextMedia.Hamburg, und dem Hamburger Kultursenator Dr. Carsten Brosda. Foto: nextMedia.Hamburg/ Laura Müller

Wie die Medien zukünftig ihren Beitrag zum demokratischen Diskurs leisten können, welche neuen Möglichkeiten sich etwa aus KI ergeben, wie die Verbindung mit dem Publikum gelingt und wie sich Talente für die nächste Mediengeneration gewinnen lassen – all diese Fragen waren Thema auf dem 15. Scoopcamp, das die Standortinitiative nextMedia.Hamburg gemeinsam mit zwölf Medienunternehmen in der Speicherstadt veranstaltete. 

Carsten Brosda, Hamburgs Senator für Kultur und Medien, mag es nicht mehr hören. Hoffentlich werde man sich nicht wieder den ganzen Tag lang „wortreich erklären, wie schwierig die Lage ist“, mahnte der Begrüßungsredner am 14. September beim Scoopcamp, einer eintägigen Konferenz zur Zukunft der Medien. Wann immer er derzeit Vertreter großer Medienunternehmen frage: „Wo ist eigentlich Euer Forschungs- und Entwicklungsbudget?“, blicke er „in leere Augen“. Diese Ignoranz sei „atemberaubend“. Von wehklagenden Verlegerinnen und Verlegern war allerdings an diesem Tag nichts zu sehen. Ein so genanntes „Scoopcamp-Board“ aus zwölf Hamburger Unternehmen von „Die Zeit“, über „Spiegel“, NDR bis RTL hatte gemeinsam mit der Hamburger Standortinitiative next.Media ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt. Es ging um Innovationen, Talentsuche und, immer wieder, um den unverzichtbaren Beitrag des Journalismus für die Demokratie.

Doch wer soll das bezahlen? Gleich die erste von vier Diskussionsrunden fragte: „Öffentlich-rechtlich, privat oder Non-profit? Wie finanziert sich der Journalismus der Zukunft?“ Luise Lange-Letellier, bei der gemeinnützigen Redaktion Correctiv für Kommunikation und Fundraising verantwortlich, warb für den gemeinnützigen, spendenfinanzierten Journalismus, der durch Bildungsprojekte auch Jugendlichen Medienkompetenz vermittelt, und so den Wert unabhängiger Informationskanäle in der Gesellschaft verankert. Enrique Tarragona, Geschäftsführer von Zeit Online, erläuterte, wie es gelang, den Zeit-Journalismus zu jetzt drei Vierteln durch Abos finanzieren zu lassen, und wie – etwa durch Podcasts – neue Zielgruppen angesprochen werden konnten.

Luise Lange-Letellier (Correctiv), Enrique Tarragona (Zeit Online), Björn Taschen (NDR), Kultursenator Carsten Brosda und Moderatorin Johanna Leuschen (v.l.n.r.). Foto: nextMedia.Hamburg/Laura Müller

Björn Staschen, der nach seiner Zeit als Leiter der Innovationsabteilung beim NDR dort jetzt als Personalrat wirkt, verteidigte das öffentlich-rechtliche Modell, das gerade massiv „unter Druck“ stehe, als „Errungenschaft“. Seine Existenzberechtigung läge auch darin, sich Gruppen jenseits des akademisierten journalistischen Berufsbildes zu öffnen, diverser zu werden und wirklich nahe vor Ort zu sein, eben auch in ländlichen Regionen. Lange-Letellier warf ein, dass mittlerweile immer größere Gebiete ohne lokale Medien auskommen müssten und schlicht nicht mehr informiert werden würden, was bei ihnen vor Ort passiert – eine große Gefahr für die Demokratie, aber eben auch ein riesiges Potenzial für gemeinnützige Formen des Journalismus, wie sie Correctiv vorschweben.

Journalismus für Fans 

In der festen Verankerung und im direkten Austausch mit den Zielgruppen, neudeutsch „Communities“ genannt, liegen für viele Medien gewaltige Potenziale, arbeiteten Aliya Itzkowitz von FT Strategie, einem Ableger der „Financial Times“, und Nashua Gallagher, Produktmanagerin bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ in ihren Vorträgen heraus. Itzkowitz stellte vier internationale Beispiele vor, wo Medienunternehmen dank einer gemeinsamen inhaltlichen Mission, mit Angeboten für Nischeninteressen oder starkem regionaler Bezug von ihr so genannte „Super Fans“ gewinnen und sich finanziell stabilisieren konnten. Gallagher präsentierte die akribische Strategie, mit der die NZZ aus Gelegenheitsnutzenden Digitalabonnentinnen und -abonnenten macht, eine enge Kollaboration zwischen Datenanalyse, journalistischen Angeboten und personalisierter Kommunikation. 

Wie sehr sich in diesem gewandelten Medienumfeld auch das Berufsbild von Journalistinnen und Journalisten verändert, bildete neben den Finanzierungsmodellen einen weiteren Schwerpunkt des Tages. Christina Elmer, Professorin für Digitalen Journalismus und Datenjournalismus an der TU Dortmund und in diesem Jahr mit dem scoop-Award ausgezeichnet, konkretisierte in ihrer Rede, wie sich digitale Innovationen für den Journalismus nutzen lassen. Sie betrachtet KI-Systeme als geeignete Hilfsmittel, etwa bei der Regionalisierung von Daten-Analysen. Auch könnte man seine journalistische Arbeit durch speziell programmierte Chat-Bots hinterfragen lassen. Für einen Artikel zur Energiekrise ließen sich zum Beispiel Fragen generieren, die beantwortet werden müssten, damit so ein Text auch für eine alleinerziehende Mutter relevant ist, die mit ihren Kindern in einer kleinen Wohnung lebt. „Hyper-Personalisierung“, „Hyper-Regionalisierung“, das Herunterbrechen gewaltiger Datenmengen auf unterschiedliche Informationsbedürfnisse – darin lägen zukünftige Geschäftsmodelle. Christina Elmer fordert dafür ein „Kompetenz-Update“ in der journalistischen Ausbildung. Diese sei nicht mehr denkbar ohne die Verbindung von journalistischen Handwerk, experimentierfreudigem Erlernen neuer Technologien und der kritischen Reflexion über den Einsatz eben dieser Mittel.

Flexibilität und Kollaboration 

Dieser akademische Zugang zum Journalismus liegt auf den ersten Blick meilenwert entfernt von dem, was Hatice Kahraman in der Diskussionsrunde zum „Kampf um die besten Talente“ in den Medien beisteuerte. Kahraman leitet bei Correctiv die Jugendredaktion Salon 5 für 13- bis 18-jährige. „Die wenigsten von ihnen wollen Journalisten werden“, erklärt sie. Aber sie würden beim Mitmachen merken, wie wichtig Medien für die Demokratie sind, gerade wenn sie eine Plattform für Menschen bieten, denen sonst eher niemand zuhört. Und wie wichtig es ist, Fakt von Fake unterscheiden zu können. Miriam Scharlibbe, Chefredakteurin im Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag, warnte davor, bei der immer schwierigeren Nachwuchssuche die Ansprüche herunterzuschrauben: „Ich suche keine Content-Creatoren und auch niemanden, der die Welt retten will. Ich suche Journalisten, das ist ein Handwerk, ein verdammt harter Job.“ Und doch gelte es für Medienhäuser wie das ihre, neben dem klassischen Journalismus auch andere Talente zu binden: Podcaststimmen, Visualisierer oder Menschen, die einfach gut darin sind, mit anderen ins Gespräch zu kommen, sie „aufzuschließen“. Da sei einfach mehr Flexibilität bei der Ausbildung und mehr Kollaboration untereinander gefragt sowie die Bereitschaft von Medienunternehmen, den Nachwuchs auch selbst zu formen.

Überhaupt war an diesem Tag im Space, den neu eröffneten spektakulären Räumlichkeiten in der Hamburger Speicherstadt, viel von Zukunft die Rede. Und das durchaus optimistisch trotz der schwierigen Lage für viele Redaktionen und Medienhäuser, dem grassierenden Personalabbau und den Attacken der politischen Rechten auf den Journalismus. Johanna Leuschen vom NDR, die als Moderatorin durch den Tag führte, fasste das Scoopcamp zum Abschied in vier persönlichen „Bulletpoints“ zusammen: Es gibt in der Branche genug positive Energie, um weiter Mut zu fassen. Man dürfe die journalistischen Ansprüche nicht herunterschrauben, sollte sie aber für neue Talente „flexibilisieren“. Die Community ist da, wir müssen sie durch unsere Arbeit nur noch aktivieren. Und, schließlich, gilt es, sich immer wieder selbstbewusst die Frage zu stellen: Was macht uns Journalist*innen besonders und mit welchen Mitteln können wir unsere Stärken nutzen?      

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