Kein zusätzlicher Notgroschen für die Altersvorsorge
Existenzgründungen und Selbstständigkeit – das verkauft die Bundesregierung derzeit als Allheilmittel gegen drohende und tatsächliche Arbeitslosigkeit und steckt nicht zu knapp Gelder in die Einstiegsförderung.
Doch was tut sie für den Fall, dass den Solo-Selbstständigen und Freiberuflern Aufträge ausbleiben, dass ihre Gesundheit nicht mitspielt oder das Rentenalter ansteht?
Ein kurzer Blick in die Statistik: Fast jeder siebte Haushalt, in dem der Hauptverdiener oder die Hauptverdienerin selbstständig arbeitet, so hat das Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen (ZES) herausgefunden, verfügte 1998 über keinerlei Altersabsicherung. Und: „Die Sparfähigkeit einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Selbstständigen-Haushalten ist aufgrund der niedrigen verfügbaren Einkommen vergleichsweise gering.“ 11.144 Euro brutto im Jahr – in dieser Größenordnung bewegte sich zum Jahresbeginn 2003 das Durchschnittseinkommen freiberuflicher Medien- und Kulturschaffender, die über die Künstlersozialkasse (KSK) versichert sind. Wer davon noch einen zusätzlichen Notgroschen für Zeiten der Auftragsflaute, längerer Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Altervorsorge zurücklegen will, muss schon ein Finanzgenie sein.
Kein Individualproblem
Trotz des „Privilegs“ für freie Kunst- und Medienschaffende, sich über die von Auftraggebern, öffentlicher Hand und Freien selbst finanzierte KSK versichern zu können, stellt der bildende Künstler Lorenz Müller-Morenius fest: „Wir haben vor 20 Jahren die Einführung des Künstlersozialversicherungsgesetzes begrüßt. Erstmals wurden Freischaffende sozialversichert. Wir haben nach 15 Jahren gemerkt, welche Renten daraus entstanden, als in den 90er Jahren die ersten fällig wurden. So geht das nicht. Auch der Gesetzgeber hatte geglaubt, dass wir mehr verdienen. Jetzt wissen wir: Freie verdienen relativ wenig. Das Angebot auf eine Zusatzversicherung an eine Klientel, die sich kaum selber ernähren kann, ist ja absurd.“
Tatsache ist: Die Absicherung sozialer Risiken bei selbstständiger Tätigkeit ist kein Individualproblem. Wer zeitweise oder dauerhaft nicht arbeiten kann und nicht über Reserven verfügt, wird über kurz oder lang gezwungen sein, öffentliche Gelder wie die Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Kommunen, die sich heute mit der gezielten Förderung der Selbstständigkeit brüsten, müssten dann tief in die Gemeindekasse greifen.
Blick über die Grenzen
Problem erkannt – Problem gebannt? Ein Blick über die bundes deutschen Grenzen hinaus zeigt: Das Thema ist in anderen Ländern schon länger bekannt und politisch bearbeitet. „Es gibt eine ganze Reihe europäischer Länder, die Klein-Selbstständige in ihre Sozialversicherung einbeziehen“, so Professorin Karin Gottschall vom ZES. So verfügt etwa die Schweiz über ein Grundsicherungssystem, das auf Beitragspflicht beruht. In Frankreich existieren berufsspezifische Versicherungen, die für Künstler nicht nur eine angemessene Altersversicherung sondern auch eine Versicherung gegen Auftragsflauten einschließt. In Österreich werden seit Anfang der 90er Jahre alle Allein-Selbstständigen in der vorhandenen Sozialversicherung pflichtversichert .Für niedrige Einkommen ist als solidarische Komponente eine Befreiung von der Beitragspflicht vorgesehen, trotzdem werden Ansprüche erworben. Dänemark ist eines der skandinavischen Länder mit einer Universal-Volksversicherung, die alle Einwohner in die Grundsicherung für die Alterversicherung einbezieht. Die Höhe der Versicherung orientiert sich nicht an Jahren der Erwerbstätigkeit oder Beitragseinzahlungen, sondern schlicht daran, wie lange die Menschen in Dänemark wohnen. Das ist das weitest gehende Modell einer Universalversicherung. Gottschalls Analyse: In Deutschland haben sich bei den klassischen freien Berufen – etwa Rechtsanwälte oder Architektinnen – die Interessengruppen sehr erfolgreich durchgesetzt und Privilegien für sich geschaffen. Hier sind regulierte Märkte entstanden und nur so kann man das Problem angehen. Diese Gruppen haben sich organisiert, sind für ihre Interessen eingetreten – nicht nur in Bezug auf den schnöden Mammon. Sie konnten der Öffentlichkeit und der Politik deutlich machen, dass sie ein wichtiges Gemeingut leisten, das schutzwürdig ist. Das ist ein Weg, nicht nur auf Armutsfestigkeit und Absicherung sozialer Risiken abzuzielen, sondern den Wert der Arbeit in den Vordergrund zu stellen.
Aktive Rolle
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske sieht eine aktive Rolle seiner Gewerkschaft „für uns alle, die wir uns daran machen wollen, das Erarbeitete in den politischen Raum hinein zu übersetzen und für die Durchsetzung der Konzepte einzutreten.“