Die Rolle des Photoshops im Alltag einer Fotoredakteurin
Meine Güte, sind die unscharf, können die nicht die Kamera still halten? Oder die hier, knatschbunt: Schon mal was von Bildbearbeitung gehört? Dateiinformation: Nichts drin!! Die wollen Fotojournalisten sein? Dass die überhaupt etwas verkaufen! Und wer ist das da? Wo ist das? Wieviel? Nur 3,5 Megabyte? Die sind bestimmt aus Madrid. Ja, da steht am Bildrand was Spanisches. Sind die Ziffern dort das Datum? Nein, das ist doch bloß deren Bildnummer.
Und wer ist da drauf? Läuft da ganz hinten nicht König Juan Carlos? Ja, Treffer! Und wer noch? Und wo? Der Griff nach dem Tischtelefon, das an dem Nadelöhr von Eingang der zentralen Bildstelle drei Computer weiter steht.
In der zentralen Bildstelle des Großraums wird der Adrenalinspiegel gepuscht und die stattfindende und die nicht stattfindende Kommunikation innerhalb der Fotoagentur gebündelt. Klatsch und Tratsch fliegt wie ein Geier über die 20 dicht stehenden Computer und den Davorsitzenden: Vom Ressort Ausland an einem Ende des Büros hinüber ins Inland geschleudert bringt er mit neuen Kommentaren gespickt die abgestandene Luft mit Schlenker über die Show zum Zirkulieren und endet im Sog der Belanglosigkeit. Im U laufen täglich Hunderte von taufrischen bis steinalten Bildern ein, die sofort für die Bilddatenbank aufbereit werden müssen.
Das Telefon wählt die Nummer einer der möglichen spanischen Zulieferer, während auf dem Bildschirm des Computers nebenan gerade neue Bilder einlaufen. „Digame?“ „Hola, muy buenas. C—mo estýn?“ Die üblichen Begrüßungsformeln erfordern kein Hindenken mehr.
Es zuckt in den Fingern, aber nein, die Bilder bloß nicht anrühren, während die Transmission läuft … Ein eiliger Kollege läuft gegen das Telefonkabel, das das Nadelöhr versperrt, der Telefonapparat wird in bedrohliche Nähe der Tischkante gezogen, es ist eben eng hier, meine Güte, kann der nicht aufpassen?
Die Daten aus Spanien sind eingeholt. Das spanische Königspaar vor drei Tagen bei der Einweihung einer Behindertenstätte in Madrid. Warum haben die das nicht gleich geschickt? Die Spanier erfüllen alle Vorurteile: Ma-ana, ma-ana.
Appel Q wie quit, die Bilder gehen im rasenden Tempo nacheinander zu, und zur Weiterbearbeitung auf den Server damit.
Nebenan: Meine Güte, was dauert das wieder! Dieser Computer ist mit Abstand der Lahmste. Auf dem letzten Bild schält sich Pamela Anderson bei Filmarbeiten von VIP in Los Angeles aus dem Grau. Und wer ist dabei? Thommy Lee, das lebende Tattoo. Alles unscharf! Da nützt kein „Unscharf maskieren“. Der hat doch demnächst eine neue CD auf dem Markt, oder? Da sitzt er und packt die Stullen für seine beiden Kleinen aus, nein, wie reizend. Pam schiebt ihren Atombusen über den Strand, Thommy sitzt am Rand. Schreibt er sich mit H oder ohne? Die Assistentinnen werden das schon wissen.
„Wer hat denn hier wieder mit seinem fetten Arsch gesessen?“ rempelt jemand gegen einen Stuhl, der im spärlichen Freiraum der zentralen Schaltstelle geparkt steht. 20 Computer stehen dicht an dicht, die 20 dazu gehörigen Stühle führen zu Staus im Fluss des Hin und Her auf engstem Raum. Und das Tischtelefon, es steht immer noch am Abgrund. Schnell wird es an seinen Platz geschoben.
Und Pam in Stöckelschuhen, wer soll da vernünftig laufen können?, mit geschulterter Knarre. Die Absätze graben sich tief in den Sand, Pam staaakelt und staakst. Die beiden sind wieder zusammen. Alles eine Frage der Zeit. Vergessen die Prügel, die die Silikonbusenschönheit vor einiger Zeit von ihrem nunmehr- oder doch-nicht-mehr-Ex einstecken durfte. Er hat seine Strafe ja brav im Knast abgesessen. Die Fotos sind exklusiv und unscharf, aber welcher Paparazzi kann schon die Kamera still halten?!! Dürften aber einen guten Preis abwerfen. Wenn sie nicht schon steinalt sind. Von wann sind sie denn? Nobody knows.
Also anfrufen in Los Angeles, aber bis die aufstehen … Appel Q. Der Posten landet auf dem Server mit „Hat Zeit“.
Wo sind die nächsten Bilder? Da, neben dem Tischtelefon … Schnell sind die Jeypegs auf das Photoshop-Icon gezogen und öffnen sich.
Schräg gegenüber auf dem Bildschirm: Zwei Leute, die einem verdammt bekannt vorkommen, schälen sich aus einem kontrastarmen Farbbrühe. Eine Rothaarige in New York. Sieht aus wie eine Perücke, was sie auf dem Kopf trägt. Aber bei dem Schärfegrad ist alles andere auch drin.
Die Ratlosigkeit wächst, denn das Dateiinfo ist leer! Gibt es irgendwo ein Fax? Und wenn ja, von wem?
Das Kabellose klingelt. Frau Müller von der Bunten Woche braucht mal wieder ein Foto in Hochauflösung, und zwar schnell. „Welche Nummer?“ Schnell ins Online an dem Computer gegenüber, wo gerade was Neues einläuft. Frau Müllers Wunsch: Cläudchen Schiffer, mit Tim, diesem Hochstapler, in New York.
Nebenan glotzt die Rothaarige an mir vorbei, die geht ahnungslos Händchen in Händchen mit einem Blonden auf offener Straße. Der Stuhl kracht an den Tisch. Immer schön ranschieben, sonst wird die mit dem fetten Arsch eines Tages gelyncht.
„Aha, ja, Frau Müller, das haben wir leider nicht als Dia da. Wir könnten einen neuen Scan in New York bestellen. Wegen der Zeitverschiebung wird es allerdings ein paar Stündchen dauern.“
„Aber mein Grafiker braucht es jetzt …“
„Tut mir leid, Frau Müller, frühestens in vier Stunden, wenn überhaupt. Ich kann es nicht versprechen. Ich weiß nicht, was die Agentur drüben für Vorlagen hat. Vielleicht sind es digitale, dann existiert gar keine Hochauflösung.“
„Das ist ja furchtbar. Was mache ich denn jetzt?“
Nebenan immer noch das Rätsel. Ist das nicht Franka Potente? Tönt es vom Sitznachbarn Mr. Show. Nein, das kann doch nicht wahr sein. Mit Pottperücke, Hand in Hand mit, nein, nicht mit ihrem Tom Tykwer, der ist ja nicht blond, mit …, ja wer kann das sein?
„Vielleicht suchen Sie sich ein anderes aus, z.B. die beiden waren doch auch in Paris, das war auch erst vor kurzem …“
Ihr Begleiter auch mit Perücke! Nein, das ist ja Johnny Depp.
„Nein, vielen Dank, aber mein Chefredakteur möchte unbedingt dieses hier …“
„Da kann ich Ihnen leider nicht helfen. Sie könnten versuchen, mit den vorhandenen acht Megabytes hinzukommen, Frau Müller.“
Frau Müller ist genervt. Cläudchen ist wieder zu. Appel d wie disconnect. Raus aus dem Online, Appel Q wie quit. Mittlerweile ist der Bildeingangsprozess darunter abgeschlossen. Der Ordner liegt bereit, nix wie auf mit den Dingern.
Auf dem anderen Bildschirm: Ist ja Klasse. Da steht zwar nicht von exklusiv. Aber wir müssen sofort die Frau Mariani von der Glemma anrufen. Ein paar Tausend, der Satz, exklusiv, raunt die Kollegin Ausland von hinten. Alle wissen, Franka, jung, schön und berühmt, dreht gerade in den Staaten. Aber mit Johnny? Doch, doch, die drehen einen neuen Film, Mensch, das stand doch neulich in der Blöd.
„Ich bespreche das mit meinem Chefredakteur und der Grafik, dann rufe ich Sie zurück.“ Okay, bis dann, Frau Müller.
Appel Q, und die Bilder verschwinden wie von selbst.
Die Kollegin Ausland starrt entsetzt auf den Bildschirm, und dann noch entsetzter auf mich. „Sag mal, muss das eigentlich sein?“ „Was?“ „Dass Du immer mit Appel Q schließt.“ „Ja und?“ „Damit schließt Du ja den ganzen Photoshop.“ Wo ist jetzt das Problem? „Die nächste, die vor dem Computer sitzt, muss dann erstmal den Photoshop aktivieren.“ „Ja und?“ „Bei Appel w wie weg würde das nicht passieren.“ „Das dauert doch ewig, jedes einzelne Bild zu schließen mit Appel w, Appel w, Appel w … Das kostet Zeit!“ „Das Öffnen des Photoshops auch …“ „Wie lange denn?“ „Sieben Sekunden!“ zischt die Kollegin Ausland. Himmel, was für ein Vogelschiss!
Der Stuhl wird unter den Tisch geknallt.
In der Zwischenzeit prankt kaum erkennbar Mick Jagger mit seiner Ex Jerry Hall auf schwarzem Hintergrund, oh Gott, der Blitz, Micks Gesicht ist weiß, Tochter Elizabeth ist mit und auch weggeblitzt. Hier ist die Toleranzschwelle überschritten, Ablage P wie Papierkorb.
Und jetzt? Appel W oder Q? Am besten Neustart! Und bloß nichts speichern!