Spendenjournalismus

Kein Geld mehr für guten Journalismus – Crowdfunding soll Lücken füllen

Während die Gesellschaft sich sehenden Auges in eine Mediengesellschaft transformiert hat, ist für Medieninhalte immer weniger Geld da. Wo Sender und Verlage sich guten Journalismus nicht mehr leisten können oder wollen, müssen Journalisten zur Eigeninitiative greifen. Reporter und Filmemacher sehen sich gezwungen, ihre aufwändigen Recherchen und Drehreisen selbst zu finanzieren, beispielsweise über Spenden: Crowdfunding ist das Stichwort. Lohnend ist das vor allem für Sender und Verlage – der Umsonstjournalismus hält Einzug. Mit gravierenden Folgen für die Gesellschaft.

Manchmal wünscht man sich als Journalist, gerade angesichts der Einkommenssituation als Freiberufler, weit weit weg. Der freie Journalist und Filmemacher Ulli Schauen aus Köln hat aus der Not eine Tugend gemacht. Folgende E-Mail des Kollegen erreichte mich im Frühjahr: „Bitte schickt mich in den irakischen Teil von Kurdistan!! Oder, von mir aus auch, den kurdischen Teil von Irak!“ Schauen wollte dort selbstredend nicht Urlaub machen. Vielmehr versuchte er, Geld für eine Recherche- und Drehreise zusammenzukratzen. Und das mittels „Crowd-Fundraising“ oder kurz „Crowdfunding“.

Mit Spenden in den Irak

Schauen wollte einen Dokumentarfilm über „ein fantastisches Projekt im Irak“ machen. Dort, im kurdischen Landesteil, wollen sich 45 arabische und kurdische Jungmusiker diesen Sommer zum Nationalen Irakischen Jugendorchester zusammenfinden und mithilfe von europäischen und amerikanischen Profimusikern ein Repertoire zusammenstellen, das im Rahmen des Beethovenfestivals im Oktober 2011 in Bonn vorgestellt werden sollte. Zwei Jahre lang bot Schauen das Projekt allen Kulturredaktionen innerhalb der ARD an – ohne Ergebnis.
Schließlich wurden die Redaktionen auch durch die voraussehbaren Kosten abgeschreckt. Für aufwändige Recherchen oder teure Reportagereisen haben sie häufig kein Geld mehr. Schauen versucht es auf eigene Faust: Mithilfe des Crowdfunding. Auf der amerikanischen Internetplattform kickstarter.com werden das Projekt und ein Finanzierungsplan vorgestellt. Schauen produziert sogar ein anspruchsvolles Video, um einen kleinen Vorgeschmack auf sein Projekt zu geben. Immerhin 100.000 US-Dollar will der Journalist zusammenbringen. Denn nicht nur seine Filmarbeiten sollen so finanziert werden, sondern auch das Objekt der Berichterstattung selbst, das Irakische Jugendorchester. Die Unterstützer müssen zunächst versprechen, dass sie im Erfolgsfall 35 Dollar für die fertiggestellte Multimedia-DVD zahlen werden. An einem festgesetzten Stichtag wird überprüft, ob eine ausreichende Anzahl von Unterstützern, die „crowd“, gefunden wurde. Wenn nicht, geschieht gar nichts. Wenn doch, dann wird der fällige Betrag abgebucht und die Arbeit kann beginnen.
Das Wort „fundraising“, also Spendensammeln, führt in die Irre, denn tatsächlich handelt es sich beim „crowdfunding“ um eine klassische Geschäftsbeziehung. Die Unterstützer haben nichts zu verschenken, sondern bekommen eine Gegenleistung. In Ulli Schauens Fall eine DVD. Andere Projekte bieten sogar abgestufte Benefit-Systeme: Wer mehr Geld einzuzahlen verspricht, bekommt zum Beispiel eine handgeschriebene Unterstützerurkunde, Bonusmaterial oder auch ein Abendessen mit dem Regisseur. Auch die Betreiber der entsprechenden Internetdienste wie kickstarter.com sind keine Wohltäter: 5 bis 15 Prozent der eingebrachten Summe streichen sie ein. Das soziale Engagement bei diesen „sozialen Bezahlsystemen“ wird vor allem auf Seiten der „fundraiser“, also der Journalisten, erwartet: So ist es in Schauens Fall essentiell, dass mit dem Geld eben auch das Irakische Jugendorchester mitfinanziert werden soll. In anderen Fällen geht es um die Finanzierung von Material, Reisekosten oder andere Ressourcen. Dass Journalisten einfach nur ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, ist erst einmal nicht vorgesehen. Der Journalist ist der eigentliche Spender im Spendenjournalismus.

Wie Crowdfunding gelingen kann

Aber selbst wenn der Journalist seine soziale Ader deutlich hervorkehrt, müssen weitere Bedingungen erfüllt sein, damit das Geldeinsammeln gelingt:

  • Der Journalist sollte nicht nur eine Geschichte erzählen wollen, sondern auch selbst eine Geschichte bieten – z.B. eine abenteuerliche Reise in den Irak.
  • Er sollte mit großer Glaubwürdigkeit garantieren, dass das Projekt auch wirklich gelingen kann – z.B. durch ein hohes Budget, das Professionalität symbolisiert.
  • Er sollte den Aufwand nicht gering schätzen und auch selbst im Vorfeld Aufwand betreiben, um sein Projekt vorzustellen – z.B. ein Musikvideo drehen.
  • Internationale Projekte haben mehr Chancen als nationale.

Selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist nicht gesagt, dass eine erfolgreiche Finanzierung gelingt. Als günstig hat sich erwiesen, verschiedene „communities“ anzusprechen: Also beispielsweise die Freunde aufwändig produzierter Kulturdokumentationen einerseits und die Liebhaber klassischer Musik andererseits. Denn jede „community“macht in ihren Kreisen wiederum Werbung für das Projekt und akquiriert weitere mögliche Geldgeber.

Neben dem Spendensammeln mittels Crowdfunding erfreuen sich sogenannte Micropaymentsysteme als neuartige Finanzierungsmöglichkeit gerade für Onlinejournalismus großer Beliebtheit. Der Internet-Dienst Kachingle bezeichnet sich selbst als „social payment system“ (Motto: „Social Cents for the open web“) und wurde im Sommer 2009 von Silicon-Valley-Unternehmerin Cynthia Typaldos gegründet. Blogs oder Onlinemagazine registrieren sich bei Kachingle und installieren ein spezielles Hilfsprogramm, ein Widget, auf ihrer Internetseite. Wem der Inhalt der Website gefällt, der klickt das Kachingle-Medaillon an und zählt damit zu den Unterstützern der Seite. Die „Funds“, die Kachingle einnimmt, werden dann unter den Registrierten anteilig aufgeteilt.
Pirate-Bay-Mitbegründer Peter Sunde gründete „Flattr“. Das Kunstwort ist ein Mix aus den englischen Wörtern „flatter“ (schmeicheln) und „flatrate“. Auch Flattr installiert einen Button, allerdings für einzelne Beiträge und Artikel statt für ganze Blogs und Onlinemagazine. Wer ihn klickt, löst die Zahlung eines kleinen Geldbetrags an den Autor aus („micro-payment“).
Die Idee des Spendenjournalismus kommt aus den USA. Hier hat das Crowdfunding mittlerweile auch in den „quality papers“ Einzug gehalten: Im Jahr 2003 startete der amerikanische Reporter Chris Albritton einen Spendenaufruf für eine längere Recherche über den Irakkrieg. Er wurde damit zum selbsterklärten „first fully reader-funded journalist-blogger“ (zum ersten voll Leser-finanzierten Journalistenblogger) www.back-to-iraq.com. Die amerikanische Nachwuchs-Journalistin Lindsey Hoshaw hat eine Recherchereise für die New York Times über das Spendenportal spot.us finanziert. Hoshaw wollte über den „great pacific garbage patch“ berichten, einen gigantischen Müllteppich, der im Pazifik treibt. Die Kosten für die Schiffsreise, immerhin 10.000 US-Dollar, wollte die angesehene Tageszeitung nicht übernehmen. 5.000 Dollar kamen dann durch das Crowdfunding zusammen, den Rest finanzierte Hoshaw auf Pump.

Erstaunliche Karriere

Micropaymentsysteme und Crowdfunding haben gerade in Deutschland eine ganz erstaunliche Karriere gemacht: Aus Crowdfounding wird Krautsourcing. „Während große deutsche Medienhäuser schon laut über kostenpflichtige Ipad-Apps und Bezahlschranken für Onlineinhalte nachdachten, setzten sich deutsche Blogger an die Spitze der Gegenbewegung“, schreibt der Webjournalist Ansgar Warner in Upload. Magazin für digitales Publizieren. So kommt zum Beispiel die Hälfte aller Websites im Kachingle-Netzwerk aus Deutschland. Bei Flattr entwickeln sich deutsche Websites sogar zu Rekordhaltern: Der Podcast des Chaos Computer Clubs wurde innerhalb kürzester Zeit von mehr als 1.000 Usern angeklickt. Freitag und die Tageszeitung taz haben die alternativen Zahlungsmöglichkeiten für sich entdeckt: Die taz nimmt mittlerweile über Flattr monatlich vierstellige Summen ein.
Für bestimmte Werke kann, wie kürzlich in der Zeitschrift Message zu lesen war, Crowdfunding ein sinnvolles Finanzierungsmodell sein. Zum Beispiel wenn ein aufwändig gestaltetes Kunstmagazin wie das Low Magazine aus Dresden sich auf diese Weise Financiers sucht, weil es sich ohnehin an ein spezielles Publikum wendet. Hier erfüllt das Spendensammeln die Funktion, die früher vielleicht das Abonnement oder die Subskription erfüllt hat. Im Musikbereich hat sich das Modell etabliert: Nach dem Niedergang der Musikindustrie sind die Fans selbst dazu übergegangen, Musikproduktionen ihrer Stars durch Crowdfunding vorzufinanzieren. Anders sieht es bei den Flagschiffen der deutschen Publizität aus. Wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender sich Journalismus nicht mehr leisten kann, zeigt sich genau jene „Legitimationskrise eines Systems, das in Wahrheit nur noch wenig von dem liefert, was seine Finanzierung durch Zwangsgebühren rechtfertigen könnte“ (Jens Jessen, Die Zeit). Der kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Entlastung durch den Spendenjournalismus stehen Langfristfolgen gegenüber, die nicht nur für den Journalismus, sondern auch für die Sender selbst existenzbedrohend sind.
Ulli Schauen hat sein Sollziel nicht erreicht und musste sein Filmprojekt entgültig beerdigen. Viele Interessierte waren skeptisch, was die Bezahlmodalitäten anging: Die sollte über Amazon Payments mittels Kreditkarte erfolgen. Und gerade in Deutschland bestehen noch große Vorbehalte, was die Hinterlegung von Kreditkartendaten bei Internetportalen angeht.

    Hektor Haarkötter
Professor für Journalistik an der
MHMK Medienhochschule München.

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