Spiel mit den Worten

Iris Schäfer, Übersetzerin von Videospielen
Foto: Dennis Kogel

Iris Schäfer ist Übersetzerin und Lokalisierungsexpertin für Videospiele

„Voller Aufregung ob des nahenden Abenteuers erreichte ich den Hafen. Der Kapitän war noch nicht eingetroffen, also genoss ich die kühle Luft an Deck.“ So beginnt die Reise eines Entdeckers im Computerspiel „The Curious Expedition“, in dem man als illustre Figur der Geschichte fremde Regionen entdeckt und allerlei Abenteuer erlebt. Das Spiel des Entwicklers Maschinen-Mensch erschien vor zwei Jahren zuerst in englischer Sprache. Dafür gesorgt, dass auch deutschsprachige Spielende in Entdeckerlaune kommen, hat Iris Schäfer.

Die 30-jährige Soloselbstständige ist Übersetzerin und Lokalisierungsexpertin für Videospiele. Als wir uns in ihrem Büro bei Schäfer zu Hause in Berlin-Friedrichshain treffen, hat sie sich gerade etwas Zeit freigeschaufelt. „Die Deadlines in der Gamingbranche sind oft sehr eng“, erklärt sie. „Aber ich bin das mittlerweile gewohnt und kann mich gut organisieren.“ In einer durchschnittlichen Woche übersetzt Schäfer zwischen 15.000 und 18.000 Wörter, manchmal sogar über 20.000 Wörter.

Soweit man bei ihr überhaupt von einer durchschnittlichen Woche sprechen kann: „Die Arbeit ist wirklich von Woche zu Woche unterschiedlich – denn jedes Projekt ist anders.“ Manchmal schreibt sie witzige Dialoge von Nebencharakteren, manchmal recherchiert sie Fakten rund um Weltraumforschung und Planetenumlaufbahnen, um etwa einem sehr wissenschaftlichen Spiel gerecht zu werden. Zu tun hat sie jedoch immer mehr als genug. So viel, dass Schäfer sich mittlerweile aussuchen kann, welche Projekte sie annimmt.

Kein Wunder: Denn die Spielebranche boomt. Über drei Milliarden Euro Umsatz machte die Branche laut dem Industrieverband „game“ in 2017 – und damit mehr als die Musik- und Kinoindustrie zusammen. Der Markt wächst immer weiter, und so gibt es schon länger keinen Mangel mehr an Aufträgen für die Übersetzerin. „Akquise muss ich eigentlich gar nicht mehr machen“, so Schäfer. Die meisten ihrer Aufträge kommen aus langfristigen Kooperationen, von denen Schäfer gut leben kann. Meistens bleibt sogar noch ein Teil für Altersvorsorge übrig.

In der Videospiellokalisierung gibt es verschiedene ­Arbeitsmodelle, erklärt sie, während wir bei einem Tee zusammensitzen. Den Großteil ihrer Aufträge erhalte sie von Agenturen, die wiederum den Spiele-Pub­lishern – also den Unternehmen, die Videospiele vertreiben – gleich Übersetzungen in alle Sprachen anbieten können. In so einer Agentur begann Schäfer nach ihrem Masterstudium in digitaler Kultur auch ein Praktikum. Schnell machte ihr die Arbeit so viel Spaß, dass sie als selbstständige Übersetzerin und Lokalisierungsexpertin dabei blieb. Heute bekommt Schäfer auf freiberuflicher Basis konkrete Übersetzungsaufträge, während die Agentur die Koordination und in manchen Fällen sogar Vertonung übernimmt. In anderen Fällen geben Publisher auch Übersetzungen in langfristigen Kooperationen an Freiberuflerinnen wie Schäfer. Und zu guter Letzt kommen vor allem kleine, unabhängige Entwickler-Studios auch direkt auf sie zu.

Von großen bekannten Spielen, für die Werbung in Innenstädten plakatiert ist, bis hin zu kleinen Handy­spielen oder künstlerisch ausgezeichneten Indie-Spielen hat die Berlinerin schon viel gemacht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass jemand, der in den letzten Jahren ein Videospiel auf Deutsch gespielt hat, Übersetzungen der 30-Jährigen zu Gesicht bekam. Spiele­inhalte wie Benutzeroberfläche, Dialoge und Texte gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie Marketing­texte, Beschreibungen in Spiele-Portalen oder Update-Ankündigungen.

Doch bei Übersetzungen hört die Arbeit lange nicht auf. Damit sich auch auf Deutsch alle Erzählungen, Charaktere und Spielelemente natürlich anfühlen, braucht Schäfer nicht nur das reine sprachliche Wissen, sondern ebenfalls ein Verständnis für die Kultur der zu übersetzenden und der Zielsprache – in ihrem Falle Englisch und Deutsch. „Sobald man anfängt, die Übersetzung kulturell zu beeinflussen, spricht man von Lokalisierung“, so die studierte Kulturwissenschaftlerin. Meist betrifft das Kleinigkeiten in Hintergrundgesprächen – wie zum Beispiel Essen oder Sport. „Das sind Dinge, die vor allem die Spielwelt lebendig erscheinen lassen“, erklärt Schäfer. „Da ist es wichtig, dass man diese Gespräche so auch im echten Leben hören könnte.“ Das bedeutet: Auch deutschsprachige Spieler sollten einen Bezug aufbauen können. So wird zum Beispiel aus einem im Hintergrund stattfindenden Gespräch über Baseball ein Gespräch über Fußball.

Die Lokalisierungsexpertin kann bei kleineren Sachen selbstständig entscheiden, was und wie sie etwas ändert. Abgesichert wird sie dabei von Korrekturlesern, die im Anschluss alles Übersetzte noch einmal gegenlesen. Und in größeren Projekten gibt es teilweise eine eigene Language Quality Assurance, also eine Qualitätssicherung für Sprache. Eigens dafür beauftragte Tester spielen dann das gesamte lokalisierte Spiel durch und prüfen, ob das Spiel auch in dieser Fassung noch Sinn ergibt.

Wie komplex Videospiellokalisierung ist, versteht man umso besser, wenn man Schäfer nach ihren Lieblingsprojekten fragt. Das eingangs erwähnte “The Curious Expedition” stellte sie beispielsweise vor ganz eigene Herausforderungen, denn die Geschichte des Spiels wird je nach den Entscheidungen der Spieler aus Textbausteinen generiert. Was im Englischen recht einfach funktionierte, bedurfte im Deutschen plötzlich ganz neue Variablen für Pronomen und Fälle, die es im Englischen nicht gibt. “Da ich in dem Fall eng mit den Entwicklern zusammengearbeitet habe, konnte ich die Schwierigkeiten als Feedback direkt an sie weitergeben”, erinnert sich Schäfer. Die Macher des Spiels erstellten extra neue Variablen um deutsche grammatische Eigenheiten abzubilden, das Spiel konnte übersetzt werden. Durch Schäfers Vorarbeit können mittlerweile auch Fans das Spiel selbst übersetzen – gerade für kleine Studios ohne großes Budget eine wichtige Option, um ihre Spiele global zur Verfügung zu stellen.

So nahtlos läuft es jedoch nicht immer. “Die Übersetzung ist oft ein nachträglicher Gedanke im Entwicklungsprozess”, so die 30-Jährige. Umso wichtiger ist es für sie, die richtigen Fragen zu stellen und Kontexte verstehen zu lernen. Wenn Schäfer die zu übersetzenden Texte erhält, sind gerade größere Spiele noch gar nicht in einem spielfähigen Zustand. Alles, was sie dann an Anleitung hat, sind mehr oder weniger detaillierte Richtlinien der Auftraggeber. “Manchmal kommen aber auch Publisher ohne jegliche Erklärung auf einen zu und sagen: Hier ist mein Spiel, mach es deutsch.”

Trotz der engen Deadlines, Verzögerungen in der Bereitstellung der Texte oder kurzfristigen Verdopplungen der Wörterzahlen liebt die Übersetzerin ihren Beruf. Schäfers Name taucht üblicherweise nicht in den Danksagungen und Credit-Szenen der Spiele auf – aber das ist ihr auch ganz recht so. Am meisten schätze sie die Vielseitigkeit ihrer Arbeit, so Schäfer. Und in einer so boomenden und kreativen Szene wie die der Gamesbranche, wird sich daran wohl vorerst auch nichts ändern.

 

 

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