Steuer(n) hierzulande außer Kontrolle?

Philipp Eckstein, Benedikt Strunz, Agnes Schreieder, Björn Rottpeter, Susanne Uhl (v.l.n.r.) Foto: Mathias Thurm

Ein Jahr lang hatten sie recherchiert und die Paradise Papers ausgewertet. Am 12. November letzten Jahres wurde ihr knapp einstündiges Radiofeature auf NDR Info gesendet. Jetzt waren die beiden investigativ arbeitenden Journalisten Benedikt Strunz und Philipp Eckstein auf Einladung von DGB und ver.di in den Klub des Gewerkschaftshauses am Besenbinderhof in Hamburg gekommen, um vor rund 50 Zuhörern über ihre Arbeit zu berichten.

Mit dabei: Dr. Susanne Uhl, Geschäftsführerin der DGB-Region Schleswig-Holstein Nordwest. Sie zeigte, dass die Enthüllungen um die Paradise Papers auch für die Arbeit von Betriebsräten von Bedeutung sind. Die Runde komplett machte Björn Rottpeter, Referatsleiter Betriebsprüfungen und Steuerfahndung der Finanzbehörde.

Strunz und Eckstein sind nicht neu in dem Geschäft. Sie waren bereits in Recherchen um die Offshore Leaks, die Luxemburg Leaks und die Panama Papers involviert. Doch die Paradise Papers seien etwas ganz Besonderes. Die Kanzlei Appleby, um die es im Wesentlichen geht, habe bis dato als „Crème de la Crème der großen Offshore-Kanzleien“ gegolten. „Sie hat zahlreiche Compliance-Preise gewonnen und habe im Ruf gestanden, super seriös zu sein“, so Strunz. Als erstes Medium hatte die Süddeutsche Zeitung Zugriff auf den Datensatz. Darin enthalten: Über 13 Millionen Dokumente. Das klingt verheißungsvoll, hat die Rechercheure aber natürlich vor das große Problem gestellt, die Stecknadel im Heuhaufen zu finden. „Wir hatten den Luxus, über ein Jahr mehr oder weniger kontinuierlich an dem Thema arbeiten zu können“, sagt Eckstein. Dabei sei von Anfang an offen gewesen, ob man überhaupt Ergebnisse werde liefern können. Ein Luxus, den sich wohl nur öffentlich-rechtliche Sender leisten können oder wollen.

Ohne die Einbindung in ein internationales Recherchenetzwerk hätten sich die Datenmengen aus den Paradise Papers wohl auch nicht bewältigen lassen, ist Strunz und Eckstein klar. Wie bereits bei den Panama Papers haben auch jetzt die Investigativ-Teams von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zusammengearbeitet. „Wir alle sind im Netzwerk ICIJ organisiert, dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten“, erklärt Benedikt Strunz. Mit Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland haben sie in mühevoller Kleinarbeit zum Beispiel aufgedeckt, wie Formel 1-Weltmeister Lewis Hamilton beim Kauf seines Privatjets mit Hilfe von Appleby und der Isle of Man die EU um rund 5 Millionen Euro Steuern geprellt hat. Und das ganz legal, versteht sich. Steuerschlupflöcher machen es möglich. „Jahr für Jahr gehen den Staatskassen durch solche Geschäfte von Multis und Superreichen hunderte Milliarden Euro verloren“, schätzt Strunz.

Das Geld fehlt nicht nur in der Bildung, im Gesundheitssystem und der Infrastruktur. „Die Löcher im Haushalt erschweren auch Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst“, warf die Moderatorin der Runde,  Agnes Schreieder, ver.di Hamburg, ein. Wie Betriebsräte sich gegen Steuervermeidungstricks ihrer Unternehmensleitungen wehren können, erläuterte Susanne Uhl. Sie sollten sich im Wirtschaftsausschuss die Verrechnungspreisgestaltung erklären lassen, so ihr Rat. Mit Hilfe dieses Instruments könnten internationale Konzerne willkürlich bestimmte Standorte arm rechnen und damit die jeweiligen Belegschaften unter Druck setzen.

Bei allem Wirbel, den die Enthüllungen erzeugt haben, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen. Grund zu Euphorie ist leider nicht gegeben. In den meisten Fällen handelt es sich um legale Steuervermeidungstricks, gegen die Steuerbehörden und Staatsanwaltschaft nicht einschreiten können. Und die Politik tut sich schwer. Eine Vereinheitlichung der Steuersätze liegt in weiter Ferne. Eine „Schwarze Liste“ von Steuerparadiesen hat Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble innerhalb von sechs Wochen von 17 auf 8 Kandidaten schrumpfen lassen. EU-Länder wie Malta, Irland, Luxemburg sind darauf ebenso wenig zu finden, wie Panama. Konsequenzen muss niemand der Aufgelisteten fürchten.

Auch vom Transparenzregister Schäubles erwarten Strunz und Eckstein keine Wende. Immerhin habe sich der ehemalige Minister gezwungen gesehen, zu reagieren und sich im Fernsehinterview einem Rechercheteam investigativer Journalisten gestellt. Strunz und Eckstein ist klar: Ihre Arbeit bleibt mühsam und es geht nur in kleinen Schritten voran. Aber sie bleiben am Ball. Ihre Recherchen haben etwas in Bewegung gesetzt. Neue Ideen entstehen. Björn Rottpeter setzt zum Beispiel auf die Verbraucher: „Wir trinken alle fair gehandelten Kaffee. Warum schaffen wir nicht eine Tax Compliance und kaufen unsere Computer, Möbel und anderes nur noch bei Unternehmen mit einem zertifizierten Steuersiegel?“

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalismus gefordert wie noch nie

„Demokratie im Krisenmodus – Journalismus gefordert wie nie!“ lautet das Motto des 37. Journalismustags der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, der am 25. Januar in Berlin stattfindet. Angesichts von Digitalmonopolen, Autoritarismus und Desinformation lädt die dju zur Debatte darüber ein, welche Rolle Journalismus in dieser gesellschaftlichen Situation spielen kann.
mehr »

SZ-Streik macht sich bemerkbar

Mit Plakaten, Sirenen und deutlichen Forderungen läuteten 120 Redakteur*innen der Süddeutschen Zeitung am Dienstag den dritten Streiktag in München ein. Im Zentrum der Kritik: Ein Angebot der Arbeitgeber, das die inflationsbedingten Reallohnverluste kaum abfängt – und vor allem Berufseinsteiger*innen hart treffen würde.
mehr »

Intime Szenen beim Film

Neben Regie, Kamera und Ton sind immer öfter auch sogenannte Intimitätskoordinator*innen Teil des Stabs von Film- und TV-Produktionen. Wie arbeiten diese Spezialist*innen für intime Szenen und wie profitiert das Team von ihrem Einsatz? Über Herausforderungen und Hindernisse beim Drehen intimer Szenen sprachen wir mit der Bremer Intimitätskoordinatorin Sarah Lee.
mehr »

Riesa: Einschränkung der Pressefreiheit

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtete am vergangenen Samstag die Demonstrationen in Riesa rund um den AfD-Parteitag. Ziel der Beobachtung war der Schutz der Presse- und Berichterstattungsfreiheit sowie der Aufdeckung potenzieller Gefährdungen für Journalist*innen. Insgesamt mehr als sieben Stunden war die dju während der zahlreichen Demonstrationen vor Ort. Die Gewerkschaft übt nun insbesondere gegenüber der Polizei Kritik am Umgang mit Journalist*innen und an der Einschränkungen der Pressefreiheit während des Einsatzes.
mehr »