Studium im Nachbarland

Publizistik in Österreich und der Schweiz bei Deutschen sehr beliebt

In den meisten Bundesländern sind die Abiturprüfungen noch im Gang, doch bald naht die Zeit der Entscheidung für Studienfach und -ort. Deutsche Abiturientinnen und Abiturienten interessieren sich immer mehr für das Ausbildungsangebot in den Nachbarländern.

In Österreich warnen die Universitäten vor einer Schwemme deutscher Studenten: „Bei Massenfächern droht Kollaps“, titelten die Salzburger Nachrichten zum vergangenen Wintersemester. In der Schweiz klagten Studentenvertreter, dass es zu viele deutsche Professoren gebe, die ihre Assistenten mitbrächten und jungen Schweizern keine Chance zu einer akademischen Karriere ließen. In beiden Diskussionen sind die publizistischen Studiengänge mitten drin.

Seit der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Zugangsbeschränkungen für EU-Studenten an österreichischen Universitäten im Sommer 2005 aufgehoben hat, zittern die Unis vor der „Flut der Numerus-clausus-Flüchtlinge“ in Fächern wie Medizin, Psychologie oder Publizistik, wo es nach österreichischer Beobachtung zumindest einen deutschen de-facto-NC gebe. Jedes Jahr, so rechnete der ORF vor, gingen in Deutschland in den Numerus-Clausus-Fächern über 60.000 junge Menschen leer aus und seien somit potenzielle Zuzügler für die in Österreich frei zugänglichen, heiß begehrten Studienfächer. Da es nach dem EuGH-Urteil jedoch nicht erlaubt ist, Österreicher „positiv zu diskriminieren“, der offene Zugang zu den österreichischen Universitäten politisch andererseits gewollt ist, nehmen die Universitäten nun alle Studierwilligen zunächst auf und entwickeln Konzepte, wie sie die Zahl in den ersten Semestern minimieren können.
Deutsche bilden inzwischen die größte Gruppe ausländischer Studierender in Österreich. Im nahen Salzburg ist der Andrang aus Deutschland besonders stark. Seit dem Wintersemester 2006/07 gibt es theoretisch ein Aufnahmeverfahren für die zur Verfügung stehenden 290 Erstsemesterplätze in der Kommunikationswissenschaft. Zur Prüfung sind allerdings weniger Studenten angetreten, als Plätze vorhanden waren. 2006/07 waren 23 Prozent der Studienanfänger junge Deutsche, ein Jahr später schon 28 Prozent, teilt das Fachbereichsmanagement mit.

Auswahlverfahren notwendig

In Wien ist der Rektor überzeugt, dass es ohne Auswahlverfahren bei den derzeitigen Kapazitäten gar nicht geht. 962 Plätze bietet die Universität für Studienanfänger im Fach Publizistik und Kommunikationswissenschaften, über 1400 Studierwillige hatten sich zum Wintersemester 2007/ 2008 angemeldet, darunter fast 40 Prozent Studenten aus den Ländern der EU. Wer erst im Sommersemester mit dem Studium beginnt, muss die drei Auswahlprüfungen der so genannten Qualifizierungssemester auf einmal machen, Herbstanfänger haben ein Semester mehr Zeit.
Kommunikationswissenschaftler Günter Stotz hat 2005 das „Klagenfurter Modell“ der Auswahl entwickelt: Alle können mit dem Studium beginnen, müssen sich aber nach dem ersten Semester entweder zur Prüfung oder zum Abbruch entschließen. Er findet „Aufnahmeprüfungen didaktisch und bildungspolitisch nicht sinnvoll“. Die tatsächliche Prüfungsteilnahme an der Uni Klagenfurt sei dann allerdings ähnlich wie in Salzburg geringer gewesen als erwartet, so dass ein Ranking überflüssig wurde. Aufatmen durch Abbrecher also. Stotz hat insgesamt eine Zunahme der ausländischen Studierenden beobachtet, parallel zu einer sinkenden Zahl bei den einheimischen Bewerberinnen. Auch im kleinen Studiengang „Journalismus und Unternehmenskultur“ an der Fachhochschule Joanneum in Graz ist der Anteil der deutschen Studenten laut Pressestelle auf ein Fünftel pro Jahrgang angestiegen und liegt damit im Trend.
In Basel wird das Institut für Medienwissenschaften wegen der anhaltend hohen Nachfrage ausgebaut. Der Anteil deutscher Studierender nehme seit Jahren zu und ist inzwischen bei fast zehn Prozent gelandet, erklärt Pressesprecher Hans Syfrig: „Für Studierende aus Deutschland ist die Schweiz sehr attraktiv, und seit der Einführung der Studiengebühren noch attraktiver.“ Zugelassen wurden bei den Medienwissenschaften im WS 2007/08 nach Auskunft der Homepage letztlich 156 von 441 Bewerbern.
Die Attraktivität der Schweiz scheint jedoch regional sehr unterschiedlich zu wirken. An der Uni Bern kann Professor Roger Blum zwar einen allgemeinen Ansturm auf das Fach, aber keinen der Deutschen beobachten. Bei den Medienwissenschaftlern an der FH Zürich sind Deutsche nur „Einzelfälle“. Einen Grund vermutet die Pressesprecherin in der Forderung nicht nur nach englischen, sondern auch französischen Sprachkenntnissen. An der Uni St.Gallen sind laut Unistatistik 1.100 der fast 1.800 ausländischen Studierenden Deutsche. Am Züricher Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung, hingegen sieht Barbara Hänsli, die Geschäftsführerin, keine steigende Zahl studierwilliger junger Deutscher. „Die Schweiz ist für viele Studierende einfach zu teuer (Lebensunterhalt) und die Bedingungen/Aufnahmekriterien scheinen zum Beispiel für das Fach Publizistik- und Kommunikationswissenschaften relativ hoch zu sein.“ Allerdings meldeten sich jetzt vermehrt Bachelor-Absolventen aus Deutschland, die in Zürich einen Mastergrad anhängen möchten.
Für Aufregung hat in der deutschsprachigen Schweiz nicht die Zahl der deutschen Studenten, sondern der deutschen Professoren und Assistenten gesorgt. Als im Herbst 2007 in Zürich alle acht aktuellen Berufungen nach Deutschland gingen, regte sich Unmut unter Studentenvertretern. Von deutschen Professoren „mit ihrem Tross von Mitarbeitern“ und von „Teutonenschwemme“ war die Rede. Die Neue Zürcher Zeitung erhielt Leserbriefe, in denen es um „Klumpenrisiko“ und „rücksichtslose alemannische Barbaren“ ging. Auch das publizistische Institut war davon betroffen. Als die Publizistik in Zürich 1997 zum Hauptfach befördert wurde, habe es keinen habilitierten Schweizer Fachkollegen gegeben, berichtete der bis heute dort lehrende Professor Ottfried Jarren, ein Niedersachse, im Deutschlandfunk. Inzwischen dreht sich die Diskussion nun um eine bessere Förderung des akademischen Nachwuchses der Schweiz, bei der es zu hausgemachten Versäumnissen gekommen sei. Nicht nur an der Universität Zürich oder anderen Schweizer Hochschulen lehren deutsche Medienwissenschaftler. Auch in Österreich begannen die akademischen Karrieren der heutigen Lehrenden nicht selten in Dortmund, Marburg, Hamburg, Göttingen oder München. Wie Barbara Hänsli in Zürich dazu feststellt: „Im Bereich der Wissenschaft, speziell der Publizistik, ist die deutschsprachige Öffentlichkeit (zumindest in der Forschung) längst eine Orientierungsgröße.“
Der Darmstädter Professor Klaus Meier hat in seinem neuen Buch „Journalistik“ (UTB Basics, UVK-Verlag 2007) die deutsche, österreichische und Schweizer Medienlandschaft unter vielen Aspekten verglichen. Zwar ist die Zahl der Journalisten in der Schweiz mit 129 auf 100.000 Einwohner und in Österreich mit 87 viel höher als in Deutschland, wo er die Quote mit 59 angibt, doch repräsentative Journalistenbefragungen begannen in der Schweiz fast zehn und in Österreich gut 15 Jahre später. Insgesamt, so Meier, habe sich die Journalistik und die Kommunikationswissenschaft in Österreich und der Schweiz erst sehr spät entwickelt – „im übrigen auch alle anderen Formen einer professionellen journalistischen Ausbildung“. Eine Beobachtung, die das österreichische „Journalisten-Journal“ im September 2006 auf den Punkt brachte: „Medienausbildung wird in Österreich erst seit kurzem ernst genommen“.


Mehr Informationen

Klaus Meier:
Journalistik
Reihe „UTB Basics“, UVK Verlagsgesellschaft,
Konstanz 2007, 276 Seiten, 17,90 Euro

Die Seite www.ifp-kma.de bietet Links zu den genannten österreichischen und Schweizer Studiengängen, zu dem deutschen Hochschulangebot, zu Journalistenschulen sowie Weiterbildungsangeboten in allen drei Ländern bietet das Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses – Katholische Journalistenschule in einem gut geordneten Überblick.

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