SWR: Urteile nicht umgesetzt

Abb: shutterstock/MJgraphics

Redakteurin und Regisseur ringen um vereinbarte Beschäftigung beim SWR

Seit Jahren streiten zwei Filmschaffende mit dem Arbeitgeber SWR um ihre Beschäftigung in dem öffentlich-rechtlichen Sender. Der Gang durch drei juristische Instanzen brachte dem SWR Niederlagen und den Kläger*innen rechtskräftige Urteile ein. Der Sender weigert sich jedoch hartnäckig, diese umzusetzen, obwohl er als Anstalt des öffentlichen Rechts besonders an Recht und Gesetz gebunden ist. Die Betroffenen sehen sich gezwungen, erneut das Gericht anzurufen. Ein weiteres aufreibendes Kapitel ihrer Odyssee begann mit den Güteterminen am 21. September – ohne Erfolg.

Den Ursprung der Auseinandersetzung machen die Redakteurin und der Filmemacher an einem MeToo-Fall fest, der ins Jahr 2006 zurückführt. Damals sei sie von einem Vorgesetzten im SWR sexuell belästigt worden, berichtet Sandra Dujmovic. „Ich habe eine sexuelle Belästigung von einem Direktor, Mitglied der Geschäftsleitung, einem Vorgesetzten, der mir gegenüber weisungsbefugt war, im SWR offiziell gemeldet. Diesen Schritt zu gehen, hat mich sehr viel Kraft und Mut gekostet. Der Umgang mit mir nach der Meldung hat mich in eine tiefe Krise gestürzt und in Verzweiflung. Denn nach der Beschwerde begann für mich ein langer zermürbender Prozess“, sagte sie vor dem Arbeitsgericht.

Regisseur Joachim Lang stand der Kollegin von Anbeginn an zur Seite. Er war nach eigener Aussage bei einem Anruf des mutmaßlichen Täters dabei, habe verfolgt, wie Dujmovic mit Anspielung auf ihre Karriere gedroht wurde. Und er bezeugte das Gehörte. Der beschuldigte Direktor bestritt alle Vorwürfe. Die Aufklärung des SWR lief ins Leere. Langs Aussage wurde gar nicht verwendet. Der SWR entzog Sandra Dujmovic in der Folgezeit die stellvertretende Leitung der Fernsehsendung „Tigerenten Club“.

Vereinbarung mit SWR

Letztlich wollte der Sender das Ganze mit einer Vereinbarung lösen, in der Dujmovic die unbefristete Redaktionsleitung für Spielfilmsonderprojekte übertragen wurde. In der Präambel der Vereinbarung ist die Kompensation für den sexuellen Übergriff belegt worden. Das bestätigte explizit auch das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil: „Außerdem hielt die Beklagte (SWR, d. Red.) im zweiten Teil der Vorbemerkung fest, dass hiermit ein Vorgang endgültig abgeschlossen werden solle, der bereits mehrere Jahre zurückliege. Gemeint war hierbei offensichtlich der von der Klägerin beklagte sexuelle Übergriff einer Führungskraft.“ 2012 verließ dieser leitende SWR-Mann das Rundfunkhaus. Kurz darauf befristete der SWR die Redaktionsleitung rückwirkend. 2020 verlor Dujmovic ihre Position als Redaktionsleiterin und zog vor Gericht. In den letzten zehn Jahren sei ein einziger von ihr betreuter Spielfilm erschienen, anstatt mindestens zehn, erklärte sie. Es wurde behauptet, es gebe keinen Etat für Spielfilme. Dieser eine Film „Mackie Messer“ mit dem Star-Ensemble Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung – ein Arthouse Hit – erhielt zahlreiche Preise und habe sehr zum Renommee des SWR beigetragen, so Dujmovic, die vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg obsiegte. Das LAG entschied Ende November 2022, dass Dujmovic wieder als Redaktionsleiterin beschäftigt werden muss. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen legte der SWR Beschwerde ein und scheiterte damit im April 2023 vor dem Bundesarbeitsgericht. Das Urteil ist seitdem rechtkräftig.

Pflicht zur Rücksichtnahme

In seiner Entscheidung hatte das LAG festgestellt, dass der Intendant „gegen Treu und Glauben“ gegenüber der Redakteurin verstoßen sowie seine „Schutz- und Rücksichtnahmepflichten verletzt“ habe. Aufgrund der „Umstände“ und der gesamten Vorgeschichte habe der SWR gegenüber Dujmovic „eine erhöhte Pflicht zur Rücksichtnahme“, so die Richter. Das Gegenteil sei jedoch der Fall, heißt es in einer Erklärung von Dujmovic vor dem Arbeitsgericht Stuttgart, wo nun im August die nächste Prozessserie gestartet ist. Denn eine „vertragsgemäße tatsächliche Beschäftigung“ als Redaktionsleiterin „Spielfilmsonderprojekte und Kulturdokumentation“ werde ihr nach wie vor verweigert. Sie arbeitet derzeit nur als Redaktionsleiterin Kulturdokumentation. Auf das Budget für Spielfilmsonderprojekte hat sie keinen Zugriff und kann so die Tätigkeit als Verantwortliche für diese Filmprojekte nicht ausüben. Und ohne Geld können natürlich keine Spielfilme gemacht werden. Die Umsetzung eines rechtskräftigen Urteils sieht anders aus!

Auch im Fall des Regisseurs Joachim Lang wird nicht entsprechend der Gerichtsentscheidungen verfahren. Der Regisseur klagte ebenfalls. Seine befristete Stelle als Abteilungsleiter wurde 2019 nicht mehr verlängert. Und in den zehn Jahren seit 2012 sind nicht zehn Filme erschienen, wie zugesagt, sondern nur einer. Seine befristete Stelle als Abteilungsleiter erhielt Lang nach dem Erfolg vor dem Arbeitsgericht Stuttgart nicht zurück, blieb aber leitender Redakteur. Die Zusage, jährlich einen Fernsehfilm als Autor und Regisseur drehen zu können, gelte jedoch auch ohne die bisherige Position fort, entschied das Gericht. Dafür muss der SWR ihm – so das Urteil des LAG – ein Budget von 1,8 Millionen pro Jahr oder bei größeren Projekten 3,6 Millionen für zwei Jahre zur Verfügung stellen. Jedoch bekomme er bis heute diese Filmbudgets nicht. Langs Anwältin Meike Kuckuck hat nach der ersten Verhandlung vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht „in den Raum gestellt“, dass Lang gemaßregelt wurde, berichtete die „Stuttgarter Zeitung“. Und weiter: „Lang war das beste Pferd im Stall, was Filmproduktionen angeht, und jetzt muss er seinen Rechten hinterherlaufen“, argumentierte die Anwältin. Da liege es doch nahe, „dass jemand kleingekocht werden soll“.

Plötzlich fehlen die Mittel

Fest eingeplante Filme von Lang wurden gestoppt oder es wurde gesagt, Mittel seien verfallen und anderes mehr. Auch ausgeschriebene, etatisierte und den Gremien erfolgreich vorgestellte Kinospielfilme, wie ein Film über Theresienstadt seien einfach gestoppt worden. Für den Regisseur sind die Angaben, dass keine Mittel vorhanden seien, schlicht „Ausreden“, um das Urteil nicht umsetzen zu müssen. Denn jedes Jahr werden viele Spielfilme mit anderen Autor*innen und Regisseur*innen im SWR realisiert, mit denen kein Vertrag besteht. Das heißt, sowohl Dujmovic als auch Lang werden zwar beim SWR beschäftigt und bekommen ihre Gehälter, können aber nicht entsprechend ihrer Vereinbarungen und ihrer Kompetenzen tätig sein, ihre Arbeit praktisch nicht ausüben. „Sie werden aktiv von Entscheidungen und Kommunikation ihrer Abteilung ausgeschlossen, ihre Produktionen werden verzögert und gestoppt“, weiß Cuno Brune-Hägele von ver.di in Stuttgart. Das belastet, lässt verzweifeln. „Man hat mir einen Lebensnerv abgeschnitten“, habe seine Existenz beschädigt, begründete Joachim Lang unter anderem beim jüngsten Gütetermin vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht seine nunmehr erhobene Forderung nach Schadenersatz. Auch Sandra Dujmovic erklärte, dass „die jahrelangen Behinderungen und Schikanen eine große Belastung“ für sie sind und ihr „großen Schaden zugefügt haben“. „Jede Frau“, so Dujmovic – sollte sicher vor sexueller Belästigung sein, und, wenn sie doch belästigt wird, dies melden dürfen und dann nicht beschädigt, sondern beschützt werden.“ Sie klagt ebenfalls auf Schadenersatz. Die Forderungen belaufen sich jeweils auf über 200.000 Euro.

Ergebnisse einer beauftragten Untersuchung zu den Vorgängen werden vom SWR bis heute hartnäckig trotz mehrmaliger Nachfragen – auch des ver.di-Bundesvorstands beim Verwaltungsrat – unter Verschluss gehalten.

„Das Problem ist, wenn jemand über 10 Jahre keine Filme machen kann, dies gilt in beiden Fällen, dann ist das eine heftige Beschädigung in der persönlichen beruflichen Entwicklung, die auch auf dem Markt wirkt, da sich dann keine Folgeprojekte generieren lassen“, betont Cuno Brune Hägele von ver.di in Stuttgart. Die Gewerkschaft ver.di stellt sich im Arbeitsrechtsprozess hinter die beiden Mitarbeiter*innen der Rundfunkanstalt. Zwar erklärte der SWR auf Anfrage von M, dass man sich an rechtskräftige Entscheidungen halte. Die Realität sieht jedoch ganz anderes aus. ver.di-Bundesvorstand Christoph Schmitz wirft dem SWR vor, die Urteile nicht umzusetzen. Er fordert, die Verfahren endlich abzuschließen, auch um weiteren Schaden vom SWR abzuwenden. Denn seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts sind erneut bereits Monate vergangen.

Unterm Strich bleibe zudem die Frage nach den Strukturen des SWR, die solch ein Verhalten im Zusammenhang mit sexueller Belästigung und ein solches „Aussitzen“ von rechtskräftigen Urteilen ermöglichten oder begünstigten, sagt Schmitz. Da es im September zu keiner gütlichen Einigung kam, wird nun auf die nächsten Prozesstermine gewartet. Und wieder können Monate ins Land gehen.

 

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