Tarifverhandlungen in den Medien

Welche Bilder zeigen die Medien? Streikende machen bei den Tarifverhandlungen im MDR Druck.
Foto: ver.di

In Tarifrunden zeigt sich, dass Auseinandersetzungen über Medien ausgetragen werden, wenn die Gespräche am Verhandlungstisch stocken. Doch öffentliche Aufmerksamkeit birgt auch Risiken, stellten Kommunikationsforscher*innen am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz fest. Sie betrachteten die Rolle der Medien in Tarifverhandlungen. Die Ergebnisse bieten Anregungen für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, aber auch für Journalist*innen.

Ziel des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts ist es, die Wechselwirkungen zwischen nicht-öffentlicher Verhandlungssphäre und öffentlicher Medienarena zu identifizieren. In einer qualitativen Studie wurden 2017/18 Leitfadengespräche mit 33 ausgewählten Verhandlungs- und PR-Expert*innen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geführt – aus Bahn- und Schienenverkehr, Bauwirtschaft, Chemieindustrie, Finanzwirtschaft, Handel, Krankenhäuser, Luftfahrt, Metall- und Elektroindustrie sowie Öffentlichem Dienst. Fazit: „Tarifauseinandersetzungen gewinnt man nicht mit Medien, aber auch nicht ohne!“

Wer sich an die „Spielregeln“ der Medien hält, könne die öffentliche Aufmerksamkeit geschickt auf die eigenen Inhalte lenken, so ein Ergebnis, das sich mit einem aktuellen Beispiel belegen lässt: So bedient ver.di in der festgefahrenen Tarifrunde Handel mit Bildern von Warnstreiks für eine Lohnerhöhung um 4,5 Prozent die Nachrichtenwerte Visualisierung und Konflikt. Auf Arbeitgeberseite kontert der Handelsverband Deutschland (HDE) mit einem kommunikativen „Versuchsballon“ und lanciert seine Empfehlung an die Mitgliedsunternehmen, freiwillig 2 Prozent mehr zu zahlen. Diese unterschiedlichen Strategien im Umgang mit Medien bestätigt eine Aussage der befragten PR-Expert*innen auf Arbeitgeberseite: „Kommunikation ist für uns wichtiger als für die Gewerkschaften. Denn Kommunikation ist teilweise unsere einzige Waffe, unsere Botschaften dann auch in die Reihen der Gewerkschaft hineinzutragen und auch die Öffentlichkeit irgendwann mal auf unsere Seite zu stellen, damit die Stimmung gegen die Gewerkschaft und möglichst dann auch gegen die entsprechende Streikhandlung kippt.“

Gesellschaftliche Stimmung

Mit der Studie sollte erforscht werden, „mit welchen strategischen Überlegungen und Handlungen“ Tarifexpert*innen auf die öffentliche Kommunikation über ihre Verhandlungen reagieren. Zunächst ging es aber darum, wie sie die Berichterstattung überhaupt wahrnehmen. Für die Tarifpartner*innen spiegeln Medien die öffentliche Stimmung wider, die „ganz unterschiedlich im Tarifkonflikt genutzt“ werden könne. Für kleine Spartengewerkschaften wie die Pilot*innenvereinigung Cockpit oder die Lokführer*innen in der GdL sei „Gegenwind in den Medien“ nicht so problematisch, weil die Mitglieder durch interne Kommunikation erreicht und auf die Tarifziele eingeschworen werden könnten, so Projektleiterin Christina Viehmann auf M-Nachfrage.

Für große Branchengewerkschaften wie ver.di und IG Metall stellten Medien aber „ein wichtiges Scharnier zwischen Verhandlungstisch und Mitgliedern“ dar, sodass der Tenor der Berichterstattung wichtig sei – für die Stimmung und die Mobilisierung: „Bedeutung entfaltet das Ganze natürlich, weil unsere Mitglieder ja auch Zeitung lesen. Und wenn die dort die ganze Zeit verprügelt werden dafür, was für maßlose Forderungen sie aufgestellt haben, dann nagt das natürlich auch an der Überzeugung, ob man jetzt das Richtige tut oder nicht. Insofern ist das für uns wichtig, das zu beobachten und dann auch die Presse mit möglichst objektiven Informationen zu versorgen“, wird in dem 1.500 Seiten starken Gesprächsmaterial ein*e Verhandlungsexpert*in auf Gewerkschaftsseite zitiert.

Wechselwirkungen der Kommunikation

Die gewerkschaftlichen Verhandler*innen geben mit Blick auf ihre Mitglieder auch zu bedenken, dass in den Medien ein Randaspekt herausgestellt oder zu hohe Erwartungen geschürt werden können: „Und da haben wir halt festgestellt: Wenn du Leute auf die Bäume bringst, erweckst du eine Erwartung, die musst du irgendwie erfüllen und das kannst du schwer. Der Abschluss war wirtschaftlich richtig. Nur, darum geht es ja nicht. Es geht darum: Wie fassen die Menschen das auf, die betroffen sind, die das Geld kriegen oder dann eben nicht kriegen? Die Erwartungen wurden nicht erfüllt, die geweckt wurden und dann gab es kein richtig probates Mittel, um die Leute wieder von den Bäumen runterzukriegen, auf die sie raufgescheucht wurden.“ Als Beispiel dafür nennt Viehmann den Tarifkonflikt im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst 2015.

Auch die Expert*innen aus den Arbeitgeberverbänden betonen die Rolle der Medien, wenn es darum geht, für eine erfolgreiche Tarifverhandlung den Rückhalt der eigenen Anhänger*innen zu bekommen – durch eine positive öffentliche Stimmung. Denn es sei „natürlich schwieriger, für irgendetwas zu mobilisieren, irgendetwas zu kämpfen, wenn man weiß: Der Rest der Welt findet das doof.“

Neben einem rückläufigen Interesse an Tarifverhandlungen kritisieren die befragten Tarifexpert*innen auch die Art der Berichterstattung. Verhandelnde auf Arbeitgeberseite monieren: „Das ist etwas, worüber ich mich dann schon sehr ärgere (…) Sensationsgier hin oder her, schlechte Nachrichten oder Aufreger verkaufen sich ja besser“ und: „Ich erwarte eigentlich von einer aufgeklärten Presse, einem guten Journalisten, dass er in der Lage ist, die Folgewirkung beidseitiger Forderung zu analysieren und mit einer eigenen Wertung zu versehen. Das wird seltener.“ Kritik kommt auch von Gewerkschaftsseite: „Wenn man will, dass es in der Berichterstattung ist, dann braucht es halt die News, dass Streiks drohen oder dass die Schlichtung platzen könnte oder was auch immer.“ Insgesamt werde die Berichterstattung über Tarifpolitik „größtenteils als vereinfacht und wenig hintergrundreich wahrgenommen.“ Insbesondere die „Fokussierung auf die konfliktträchtigen Aspekte der Tarifverhandlung“ berge das Risiko einer „unvorteilhaften Darstellung der Beteiligten“.

Rolle der sozialen Medien

Deshalb versuchten die Tarifakteur*innen über eigene Kanäle die Massenmedien zu umgehen, wobei soziale Medien hier (noch) eine untergeordnete Rolle spielten. Doch die Verhandlungs- und PR-Experten*innen hoffen, Facebook, Twitter und Co zukünftig stärker für sich nutzen zu können – als Stimmungsbarometer und zur Adressierung der eigenen Mitglieder. Noch schrecke viele die “dort vorherrschende Empörungskultur“.

Nach dieser explorativen „Nabelschau“ will das Mainzer Forschungsteam nun die Rolle der Medien in Tarifverhandlungen aus der „Vogelperspektive“ beleuchten – durch eine repräsentative Befragung von Teilnehmer*innen aus über 1.700 Tarifverhandlungen der vergangenen Jahre. Projektleiterin Christina Viehmann: „Uns ist besonders wichtig, nicht nur erfahrene Verhandlungsexpertinnen und -experten zu erreichen, sondern gerade auch die Eindrücke der zahlreichen ehrenamtlichen Repräsentantinnen und Repräsentanten in den Tarifkommissionen kennen zu lernen.“

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