Tiefer Einblick in die Welt der Bildredaktion

Die Ausstellung "BLÄTTER MACHEN" in der Galerie BOHAI in Hannover. Links die Wandinstallation von Andreas Langfeld, rechts die Fotografien von Will Steacy. Foto: Felix Koltermann

Eine Ausstellung, die viele Aspekte des Zeitungsmachens und der Bildredaktion offenbart: Noch bis 6. November 2022 zeigt die Galerie BOHAI in Hannover „BLÄTTER MACHEN. Die Fotografie und das Medium Zeitung“, kuratiert von Felix Koltermann, seines Zeichens selbst Fotograf und Wissenschaftler. Die Ausstellung gewährt Einblick in ein Forschungsprojekt zu diesem Thema, welches Felix Koltermann eingeworben und drei Jahre geleitet hat.

In dem Projekt ging es darum, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie bildredaktionelle Arbeit in deutschen Zeitungsredaktionen abläuft. Wer ist dafür zuständig, wer übernimmt sie, wie läuft sie ab? Die Recherche für das Forschungsprojekt ist beendet, mehrere Publikationen sind bereits erschienen: ein Sammelband „Corona und die journalistische Bildkommunikation“, ein weiterer zum Zustand des Fotojournalismus im Allgemeinen. Ein Buch zur Rolle der Fotografie im Journalismus und zu den bildredaktionellen Praktiken erscheint 2023.

Die Fotografie und das Medium Zeitung noch bis zum 6. November zu sehen. Foto: Felix Koltermann

„Die Idee, aus dem Material auch eine Ausstellung zu konzipieren, ist Ausdruck des Versuchs, andere Wege der Auseinandersetzung zu finden als rein wissenschaftliche“, erklärt Koltermann. Präsentiert werden Ausschnitte aus vier größeren Werkkomplexen, die aus künstlerischer und dokumentarischer Perspektive auf das Thema „Fotografie in der Zeitung“ blicken. „Es ging mir darum, den Prozess der journalistischen Bildkommunikation in verschiedenen Stadien transparent zu machen.“ Allerdings sei es gar nicht so einfach gewesen, Arbeiten zu finden, die sich explizit mit dem Medium Zeitung beschäftigen.

Die Wandinstallation von Andreas Langfeld dokumentiert die Arbeit von Bildagenturen: Filmisch und fotografisch führt Langfeld den normalerweise nicht sichtbaren Prozess der Reduktion aus einer großen Bilderflut vor Augen. Dafür hat er in eine Collage aus Einzelfotos drei Monitore integriert. Auf diesen läuft ein 50-minütiger Loop; zu sehen und zu hören sind authentische Szenen aus dem Arbeitsalltag von Bildagentur-Beschäftigten, die über Bildauswahlen diskutieren. „Das zieht einen sehr in das Geschehen hinein“, so Koltermann.

In der künstlerischen Arbeit von Viktoria Binschtok mit dem rätselhaften Titel „Suspicious Minds“ sind die eigentlichen Protagonist*innen nur im Anschnitt zu sehen. Sie bleiben unerkannt und ungenannt. Binschtok zoomt in Pressefotografien von Politiker*innen hinein und nimmt an deren Stelle das normalerweise im Hintergrund stehende Sicherheitspersonal in den Fokus. In den starken Vergrößerungen ist teilweise sogar das Druckraster zu erkennen. Mit präzisem Blick nutzt und interpretiert die Künstlerin das Medium Zeitung.

Will Steacy hatte über mehrere Jahre freien Zugang zu den Redaktionsräumen der Zeitung „Philadelphia Inquirer“. Seine umfangreiche Fotoserie begleitet über mehrere Jahre die Veränderung der Arbeitsplätze von Redakteur*innen – bis hin zur Auflösung einer ganzen Redaktionsetage. Eines der Bilder zeigt einen typisch amerikanischen Newsroom, der seinen Siegeszug längst auch in Europa angetreten hat. Steacy, der selbst aus einer Familie von Zeitungsmachern kommt, reflektiert das Zeitungssterben in den Vereinigten Staaten, wo Zeitungen noch stärker unter Druck stehen als in Europa. Aus einem Teil seiner Rechercheergebnisse hat er eine Zeitung mit dem Titel „Deadline“ gemacht – eine Zeitung über das Zeitungmachen, die auch in der Ausstellung ausliegt. Sie ist an das Format des „Philadelphia Inquirer“ angelehnt; Journalisten schreiben darin über ihre Zeitung, detailliertes Bildmaterial illustriert den Arbeitsalltag.

Das alltägliche Arbeitsumfeld von Zeitungsdruckern eröffnet „Die Welt aus Papier“ von Lucas Bäuml: Zwar haben sich seit 1991 die Auflagen der deutschen Tageszeitung halbiert. Dennoch kommen allabendlich die Drucker in der Frankfurter Societäts Druckerei zusammen, um die Nachrichten zu den Menschen zu bringen. Für seine Serie begleitete Lucas Bäuml die Mitarbeiter an den Freitagabenden und hielt die Produktionsabläufe mit der Kamera fest.

Zeitungen bebildern die Flutkatastrophe im Sommer 2021 – teils unterschiedlich, aber auch ähnlich. Foto: Felix Koltermann

Zu den Arbeiten der vier Fotograf*innen gesellen sich weitere Exponate rund um das Medium Zeitung. So wurden etwa sieben unterschiedlich hohe Zeitungsstapel auf Europaletten aufgeschichtet und über den Ausstellungsraum verteilt. Sie bestehen aus den jeweiligen Jahresproduktionen 2021 der Zeitungen „Welt“, „FAZ“, „Süddeutsche Zeitung“, „taz“, „Frankfurter Rundschau“ sowie den Lokalzeitungen „Hannoversche Neue Presse“ und „Hannoversche Allgemeine“. „Die Ausgaben wurden uns von der Hochschule Hannover zur Verfügung gestellt. Wir zeigen die besondere Materialität des Produkts `Zeitung´ sowie ihre Vielfalt an Formaten und Umfängen“, erklärt Kurator Koltermann. Die großen Stapel bilden ein verbindendes Element zwischen den verschiedenen fotografischen Arbeiten an den Wänden. Für das Schaufenster der Galerie wurden aus den Stapeln jeweils zwei Ausgaben entnommen, die an den Tagen der Flutkatastrophe im Sommer 2021 erschienen sind. Alle Zeitungen haben die Flut auf die Titelseite gebracht. Nebeneinandergelegt, lässt sich gut sehen, wie unterschiedlich und zugleich ähnlich das Thema von den Tageszeitungen aufgearbeitet wurde.

In einer Vitrine stellt Koltermann sein Projekt „Newsprint Photobook“ vor: eine Sammlung von rund 500 Publikationen, deren Fokus auf „Fotografie auf Zeitungspapier“ liegt. Einige Beispiele sind in der Ausstellung zu sehen, etwa die „Le Meilleur Monde“ – zu Deutsch „Die beste Welt“ – der französischen Künstlerin Elvire Bonduelle. Über vier Monate sammelte sie nur gute Nachrichten aus der „Le Monde“ und stellte sie zu einer eigenen Zeitungsausgabe zusammen. Ein weiteres Beispiel ist eine der Londoner Gratiszeitung „Metro“ nachempfundene Sonderausgabe: Anstelle von Artikeln ist die Vorschauansicht der rund 1.000 Bilder veröffentlicht, die Associated Press an einem einzigen Stichtag an die Redaktion lieferte.

„Ich finde es im Ergebnis spannend, wie hier ein ganz anderer Blick auf das Medium Zeitung und auf die Fotografie in Zeitungen geworfen wird, als es eine wissenschaftliche Arbeit oder ein Buch kann“, zeigt sich Kurator Koltermann zufrieden. „Das, was beispielsweise Andreas Langfeld gemacht hat, entspricht dem, was ich in der wissenschaftlichen Beobachtung auch getan habe. Beide haben wir in Redaktionen recherchiert, er hat dies visuell als künstlerisch-dokumentarisches Projekt umgesetzt, ich im Rahmen meiner Forschungsarbeit.“

Die Ausstellung in der Galerie BOHAI ist Samstag und Sonntag 13-18 Uhr geöffnet. Am 28. Oktober findet um 19 Uhr eine Veranstaltung statt: „Blätter Machen und die Zukunft der Zeitungsfotografie“ – Henner Flohr (FAZ) und Miriam Zlobinski (Historikerin/Bildredakteurin) im Gespräch mit Dr. Felix Koltermann. Am 6. November ist um 16 Uhr Finissage mit Live Bild- und Blattkritik durch Lehrende aus dem Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“.

Näheres über das Wissenschaftskommunikationsprojekt auf Instagram (@bildredaktionsforschung) und auf der Projektwebsite (https://bildredaktionsforschung.de/).

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »

„PR-Puppen“ proben den Aufstand 

Kreative, die der Tech-Konzern OpenAI (ChatGPT, DALL-E) zu einem geschlossenen Produkttest eingeladen hatte, leakten den Testzugang kürzlich und griffen OpenAI in einem Protestschreiben öffentlich an. Sie warfen dem Unternehmen u.a. vor, sie für Marketing und PR zu missbrauchen und Art Washing zu betreiben.Eine teilnehmende Person schildert M , wie es zu dem Leak kam und was Techkonzerne künftig bei der Zusammenarbeit mit Kreativen besser machen können.
mehr »