Traut sich keiner, Tacheles zu reden?

Kritiken unter fadenscheinigen Begründungen nicht gedruckt

Es ist schon seltsam. Da kommt ein Film ins Kino, der breite Angriffsflächen bietet, und kein Rezensent setzt sich kontrovers mit ihm auseinander. Niemand stört sich moralisch daran, dass Pedro Almodóvar einen Mann, der eine bewusstlose Frau vergewaltigt, als positiven warmherzigen Charakter zeichnet, und echte Tiere vor laufender Kamera für Stierkampfszenen foltert und tötet. Alle erachten „Sprich mit ihr“ für „ein großes Meisterwerk“, sind gar voll des Lobes für die darin enthaltenen Tabubrüche. Mangelt es an Sensibilität, hat der Film eine so gute Lobby, oder traut sich schlichtweg keiner, Tacheles zu reden? Wie meine Umfrage unter Filmkritikern ergab, ist das Problem vielschichtig.

Dabei ist der neue Almodóvar nur ein Beispiel für einen suspekt wachsenden Konformismus in der Filmrezeption. Nicht alle Autoren allerdings schließen sich aus Überzeugung und freien Stücken dem Mainstream an. Sieben von zehn befragten freien Filmjournalisten beugen sich dem einhelligen Tenor vor dem Hintergrund eigener schlechter Erfahrungen. Sie berichten, dass gewisse Artikel von ihnen unter fadenscheinigen Begründungen nicht gedruckt wurden und dass sie es sich deshalb nicht mehr leisten können, „ins Wespennest zu stechen“. (Nebenbei gesagt fiel auch mein Verriss über Almodóvars Film in einer Regionalzeitung der Zensur zum Opfer). Noch schlimmer traf es einen Berliner Kollegen, der berichtet, er sei sogar schon einmal für zwei Monate „kalt gestellt“ worden, weil er die subjektiven Erwartungen seiner Redaktion enttäuscht hatte. Sein Fazit: Er verzichtet fortan entweder darauf, seinen Senf dazuzugeben oder „identifiziert“ sich gezwungenermaßen mit der Meinung der Redaktion. Journalistisches Ethos bleibt dabei auf der Strecke. Wer im Geschäft bleiben will kommt oftmals an gewissen „Zugeständnissen“ nicht vorbei.

Gegen den Strom schwimmen

Tatsächlich ist der filmjournalistische Markt härter umkämpft denn je. Schuld daran sind eine regelrechte Kritikerschwemme und eine schrumpfende Medienlandschaft, die immer weniger Platz für Filmbesprechungen bietet. Solche Entwicklungen bringen auch eine Medienforscherin wie Gitta Düperthal, die Film- und Fernsehjournalisten ausbildet, ins Grübeln. Nonkonformismus und Meinungspluralismus sind aus ihrer Sicht notwendig, um eine lebendige öffentliche Diskussion wach zu halten. Deshalb hat sie bislang bei angehenden Kollegen und Kolleginnen dafür geworben, auch mal gegen den Strom zu schwimmen, heiße Eisen anzurühren und sich auf diese Weise „nicht austauschbar“ zu machen. Doch inzwischen sorgt sie sich, ob die angehenden Kollegen damit auf den grünen Zweig kommen. Wer sich mit einer konträren Position behaupten will, braucht viel Rückgrat und ein hervorragendes Standing in einer Redaktion.

Auf dem hohen Ross

Druck machen auch Filmverleihe. In wirtschaftlich schlechten Zeiten haben sie als Anzeigenkunden mehr Macht denn je. Redakteure wiederum, die sich trotz Verlagsfusionen und betriebsbedingter Kündigungen in Krisenzeiten behaupten können, sind anfälliger für Eitelkeiten und Allüren. Dabei sitzen manche Redakteure schon lange auf einem hohen Ross. Ein Berliner Redakteur etwa gestand mir einmal, er bevorzuge grundsätzlich Autoren, die seine Meinung teilen. Außerdem appellierte er an mich, Filme von kleinen Verleihen nicht zu verreißen, „weil man ihnen damit keinen Gefallen erweise“. Ob diese Befürchtung tatsächlich zutrifft, ist noch eine ganz andere Frage. Schon mancher Film wurde gerade wegen unzähliger Verrisse zum Kassenschlager.

Der Filmredakteur einer überregionalen Frankfurter Zeitung wiederum spricht zwar von „Gedankenfreiheit“ seiner Autoren, schränkt sie aber ein. In der Regel verteile er Aufträge an Kritiker, die „einen positiven Bezug zu einem Film haben“, räumt er ein. Außerdem will er einen Film weniger thematisch, sondern vor allem ästhetisch und künstlerisch bewertet wissen. Eine grundsätzliche Kritik am Stierkampf, bezogen auf den jüngsten Almodóvar, schließt er beispielsweise aus.

Wer aber so denkt, verhindert meines Erachtens eine ethische und moralische Diskussion über Kino. Nicht zuletzt bedauern es die Leser, dass sich überregionale Feuilletons und sogenannte „Edelfedern“ längst bewusst in elitäre Sphären verabschiedet haben. So manche Artikel erfordern emsiges Nachschlagen in Fremdwörterbüchern. Viele Kritiker reflektieren weniger über Inhalte als über deren künstlerische Verpackung. Wenn aber Rezensionen nicht mehr allgemein verständlich sind, reißt der Dialog zwischen Kritikern und Lesern ab.

Zu wenig Hintergrundwissen

Dass Kritiken verstärkt nur an der Oberfläche kratzen, hat aber auch andere Gründe. Holger Twele von der Redaktion Kinofenster der politischen Bildungszentrale etwa konstatiert, dass „immer weniger Autoren über ausreichend Hintergrundwissen verfügen, um profund über Filme schreiben zu können“. Das leuchtet ein. Wer beispielweise keine Berührung mit Belletristik hat, wird kaum beurteilen können, ob eine literarische Adaption geglückt ist. Wer sich nie mit den Lebensbedingungen im Iran beschäftigt oder das Land bereist hat, wird über den realen Gehalt eines Filmes von Mohsen Makhmalbaf wenig sagen können. Und – um noch einmal auf Almodóvar zurückzukommen – wer nie mit Feminismus etwas am Hut hatte –, geschweige denn einen Blick in ein Buch von Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer geworfen hat, wird nicht sensibilisiert genug sein, das Potenzial an sexueller Gewalt zu entlarven. Wer nicht darüber im Bilde ist, dass den Stieren in der Arena vor den Kämpfen ihre Stimmbänder durchschnitten werden, damit das Publikum ihre Schmerzensschreie nicht hört, und dass ihnen Vaseline in die Augen geschmiert wird, um ihre Sicht zu beeinträchtigen, wird gar nicht erst auf die Idee kommen, den Aspekt der Tierquälerei aufzugreifen.

Bedarf an Diskurs

Bedarf und Interesse an einem öffentlichen Diskurs über Kino sind aber groß. So erzählt eine bekannte Frankfurter Filmkritikerin, dass sie regelmäßig Gesprächsrunden für Kinogänger leitet, die Kritiken nicht verstehen oder über Aspekte diskutieren wollen, die in der Presse nicht stattfinden. Auch verschiebt sich meinen Beobachtungen nach ein öffentlicher Austausch verstärkt in Leser- und Internetforen. Allein zu Almodóvars „Sprich mit ihr“ erreichten Redaktionen massive Proteste von Tierschützern.

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