Ein ehemaliger PR-Mann der Bundesregierung setzt das Gekungele zwischen Politikern und Journalisten auf der Theaterbühne in Szene – am Ende steht sein eigener Abgang: Der Fall Hans Wallow
Die Herren sind in hochprozentiger Stimmung. Aufgekratzt geigen sie sich in dem Berliner In-Lokal „Einstein“ die Meinung. Du hängst auch mit drin“, echauffiert sich der Abgeordnete Glatzer über den sich als Saubermann gerierenden Fernseh-Journalisten Wollnik. „Du wärmst dich an der Sonne deiner Freundschaft mit den Politikern. Täglich hängst Du deine Dackelfalten vor die Mattscheibe, und wenn Du den Kanzler begleitest, jettest Du auf Kosten des Steuerzahlers. Dein Schmiergeld heißt ,Nähe‘!“
„Kanzlerbegleitung, Hofberichterstattung gibt’s seit 2000 Jahren“, wiegelt Wollnik ab. „Es kommt doch nur darauf an, dass Du das alles nicht mehr so ernst nimmst, wenn sich die Orang-Utans im Imponiergehabe auf die Brust klopfen und sich im Reichstag gegenseitig ankreischen. Ganz egal, ob ihr schwarze, rote, gelbe oder grüne Schwänze habt. Ihr seid alle gleich – wie geklont.“
Szenen der Berliner Medien-Republik. Mit dem Theaterstück „Glatzer – oder Der hektische Stillstand“ hat der Autor Hans Wallow ein Tabu-Thema auuf die Bühne gebracht: Wie Politiker mit Journalisten umgehen. Ein umstrittenes Stück über das kunstvoll inszenierte Medientheater und die lächerliche Getriebenheit des politischen Personals in der Regierungs-Hauptstadt.
Von beiden Seiten des Schreibtischs
er 61jährige Wallow ist ein Insider der Macht. Den geschäftigen Medienbetrieb kennt er von beiden Seiten des Schreibtisches. Drei Legislaturperioden saß der gelernte Journalist für die SPD im Deutschen Bundestag. Vor seiner Abgeordneten-Karriere hatte Wallow unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt in leitender Funktion im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gearbeitet. Dorthin war er 1998 nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament wieder zurückgekehrt, als Unterabteilungsleiter für politische Öffentlichkeitsarbeit.
Als Wallow mit senem brisanten Theaterstück Schlagzeilen in eigener Sache machte, wurde er kurzerhand von Berlin nach Bonn „zum Aktenzählen“ abkommandiert. „Eine eindeutige Strafversetzung“, wie Wallow mutmaßt. Inzwischen ist der couragierte Regierungsbeamte auf eigenen Wunsch aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden und hat die Bundesrepublik Deutschland verklagt.
Vor allem Bundeskanzler Schröder soll über Wallows Eskapaden als Theater-Autor not amused gewesen sein. Immerhin outet der Regierungs-Insider in seinem Stück – mehr oder weniger offen – eine Handvoll „Schreibtisch-Pistoleros“ aus der prominenten Hamburger Medien-Connection. Einflussreiche Chefredakteure, die ständig mit dem Kanzler zusammen hockten und neue Kampagnen auskochten. „Man duzt sich, man trinkt Cognac und qualmt Cohibas.“
Sorge um die Republik
Am Ende ist es weniger die Lust am Literarischen und mehr die Sorge um den Zustand der Republik, die Wallow, einem aufrechten Linken, zum Schreiben treibt: „Bei uns funktionieren die Kontroll-Mechanismen nicht mehr.“ Längst bestimme eine „winzige Minderheit in der politischen Klasse“ die öffentlichen Rituale. „Halbwahrheiten, Scheinereignisse und Unwahrheiten werden in Form berechneter Desinformation durch die Politik produziert und durch die Massenmedien verbreitet.“ So werde Zuschauern und Lesern „ein perfektes Oberflächenbild von Politik geboten“, die zu „einer Nebenabteilung der Unterhaltung“ verkommen sei.
Aus den manipulierten Bildern des Berliner Politik-Milieus erwächst Macht, wie Jürgen Leinemann, der Leiter des Berliner „Spiegel“-Büros, unlängst in einem eindrucksvollen Report über „die Droge Politik“ beschrieben hat: „Immer zucken Fotoblitze, immer surren Kameras in einem Pulk von Journalisten, die – von den Sicherheitsleuten gedrückt – rückwärts vor den Heroen der Politik dahinstolpern. Abends am Bildschirm sieht es dann aus, als bummle ein entspannter Staatsmann lächelnd zu seiner Arbeitsstätte, hier ein Foto signierend, dort ein paar Hände schüttelnd … Der Politiker wird zum Pop-Star, nicht notwendig zum Idol, aber zum Vertrauten und Nachbarn.“ Für Leinemann eine ganz simple Erfolgskette: „Bilder fügen sich zum Image. Das Image bringt Stimmen. Die Stimmen öffnen die Türen zu Ämtern – fertig ist die Macht.“
Teilhabe an der Macht
An dieser Macht wollen nach den Beobachtungen Wallows zunehmend auch die Journalisten partizipieren. Die meiste Medienleute seien „erschreckend obrigkeitshörig“, hat der einstige PR-Mann aus dem Bundespresseamt bemerkt: „Jeder Idiot, der ein Amt hat, wird vergöttert.“ Viele Medienleute hätten ein grundfalsches berufliches Selbstverständnis. „Die wollen gerne selbst Politik machen und stellen sich deshalb mit den Mächtigen auf guten Fuß.“ In Wirklichkeit jedoch würden sie nur missbraucht. Wallow: „Der Journalist ist für die Politiker ein Wirtstier.“
Als gängigste Form der „Vereinnahmungspraxis“ hat Regierungs-Insider Wallow „die oft nur vorgetäuschte Teilhabe an der Macht“ ausgemacht. „Der erfahrene Minister zieht seine Journalisten ins Vertrauen. Er versorgt sie mit Exclusiv-Informationen, überlässt ihnen die geheime Privattelefonnummer und befolgt sogar ihre Ratschläge zu den Formulierungen der nächsten Parlamentsrede.“ Die Mehrheit der Journalisten fühle sich durch den Besitz von Herrschaftswissen geschmeichelt. Alles bleibe natürlich im Hinterkopf, nichts sei für die Öffentlichkeit bestimmt und der Minister versichere der ins Vertrauen gezogenen Journaille, dass ihr Verhältnis ein stets kritisches geblieben sei, beschreibt Wallow den „selbstverliebten Klüngel“ in der Regierungshauptstadt. Die Folgen dieser Informationspolitik sind für FAZ-Medienressortchef Michael Hanfeld fatal in einer angeblich so aufgeklärten Republik: „Die Eingeweihten am Hofe wissen alles, und das Volk bleibt dumm.“
Immer noch fühlen sich Journalisten durch Einladungen zu Hintergrundgesprächen geadelt, obwohl es dort in der Regel nur selten wirklich Vertrauliches gibt. „Zumeist beschränkt es sich auf Sotisen über andere, Parteifreunde zumal“, sagt Günter Bannas, langjähriger Beobachter der Regierungspolitik für die „Frankfurter Allgemeine“ und „Süddeutsche Zeitung“. „Der Inhalt der Gespräche entspricht dem, was alle bereits wussten: x kann y nicht leiden.“ Ebenso häufig kommt es vor, dass im vertraulichen Kreise kundgetan werde, was tags darauf schon im Fernsehen laufe.
„Rituale der Hofberichterstattung“
In seinem Stück mit dem karrieregeilen Abgeordneten Glatzer als Hauptdarsteller hat Autor Wallow boshaft-grell ausgeleuchtet, wie „die Fragenichtse und Sagenichtse das Ritual der Hofberichterstattung zelebrieren“. Das hat dem unbequemen Querdenker in Politik und Medien keinen rauschenden Beifall eingebracht. Ganz im Gegenteil. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye verdächtigte den unerschrockenen Regierungsbeamten der Indiskretion und sorgte prompt für seine Versetzung – aufs Abstellgleis.
Dabei schreckte Heye nicht mal vor einem „Schwindel-Anfall“ („Stern“) im Deutschen Bundestag zurück. Treuherzig erklärte der Staatssekretär im Parlament, „zwischen der Umsetzung des betroffenen Beamten und seiner Tätigkeit als Autor besteht kein Zusammenhang“. Glatt gelogen. „Da dem Theaterstück in der Presse besondere Aufmerksamkeit gewidmet und in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt worden“ sei, Wallow stehe „in besonderer Distanz zur Bundesregierung“, so ließ Heye seine Anwälte beim Berliner Verwaltungsgericht vortragen, sei der Beamte „besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt, in der bisherigen exponierten Position der politischen Öffentlichkeitsarbeit“ für die Regierung Schröder aufzutreten. Im Klartext: für Regierungs-Propaganda unbrauchbar. In den Medien sorgten Heyes Strippenzieher durch entsprechende Flüsterpropaganda für eine schrille Begleitmusik zur Uraufführung von „Glatzer – oder Der hektische Stillstand“ am Stadttheater Brandenburg. „Der SPD-Mann und seine Hass-Stücke“, titelte die Münchner „Abendzeitung“. In anderen Artikeln sei der Eindruck vermittelt worden, bei ihm handele es sich „um einen ausgebrannten, einsamen Wichtigtuer“, der sich in der Realität nicht mehr zurecht finde, klagt der abgestrafte Theater-Autor bitter. Wallow: „Das lief so nach dem Motto: Der ist krank und hat einen an der Waffel.“
Blick hinter die Kulissen
Den Hamburger Professor und Bestseller-Autor Dietrich Schwanitz überraschen diese Reaktionen keineswegs. Die Obrigkeit reagiere empfindlich und greife zu den bewährten Waffen, „wo jemand das Publikum einen Blick hinter die Kulissen von Wissenskartellen tun lässt: Denunziation und disziplinarische Maßnahmen.“ Von Kanzler Schröder, der vor 30 Jahren immerhin einmal angetreten sei, „Öffentlichkeit herzustellen“, will Schwanitz nur eines gern wissen: „Sollen die Aufforderungen, Zivilcourage zu zeigen und Missstände anzuprangern nur auf Sonntagsreden, politische Workshops und evangelische Akademien beschränkt bleiben?“