Nutzungsverschiebung ins Digitale – Lineares verliert an Attraktivität
Der Audio-Markt befindet sich inmitten einer Übergangsphase. Die Digitalisierung zwingt die Branche zu neuen Inhalten und Geschäftsmodellen. Im expandierenden Audiobereich wetteifern auch die Verlage mit den großen Musik-Streamingdiensten Spotify, Apple oder Amazon Music um das Zeitbudget der User – mit Podcasts, Webradios und anderem Audio-Content.
Audio durchläuft einen Transformationsprozess, weil sich die Nutzung vom analogen zu den digitalen Verbreitungswegen verschiebt. Laut Digitalisierungs-bericht Audio 2021 ist der Anteil der Radiohörer*innen, für die UKW der meist genutzte Verbreitungsweg darstellt, von 75 Prozent im Jahr 2014 auf 58 Prozent in 2021 gesunken. Im gleichen Zeitraum hat sich der Anteil von Internetradio als meistgenutzte Empfangsart auf 9,7 Prozent fast verdoppelt. Auch der digitale terrestrische Empfang nimmt Fahrt auf. Wurde DAB+ 2014 nur von 1,1 Prozent als meistgenutzter Empfangsweg genannt, stieg dieser Anteil bis 2021 auf 12,5 Prozent.
Diese Nutzungsverschiebung ins Digitale führt auch dazu, dass für das Publikum nichtlineare Inhalte attraktiver werden, die über Smartphone, Smart Speaker, Laptop oder PC inzwischen leicht abrufbar und dank Flatrates kostengünstig nutzbar sind. Speziell die umworbene Altersgruppe der 14-29jährigen entwickelt eine ausgeprägte On-Demand-Kultur – immerhin 60 Prozent der Angehörigen dieser Gruppe nutzen zumindest gelegentlich Musikstreaming-Dienste.
Seminare für Verleger
Kein Wunder, dass Verlage und Medienhäuser von dem Boom der Audio-Anwendungen und Podcasts profitieren wollen. Entsprechende Werkstatt-Seminare der Verlegerverbände sind gut besucht. Der VDZ bietet seinen Mitgliedern regelmäßig zweitägige Kurse „Von der Podcastidee zum (Erfolgs-)format“ zum Preis von knapp 350 Euro (plus Mehrwertsteuer) an. „Es sind gerade junge Zielgruppen, die über smarte Podcasts einen Weg zu traditionellen Medienmarken finden“, analysiert Thorsten Gerke von der Unternehmensberatung tg & partner. Daher, so der Referent an der VDZ-Akademie, lohne sich die Marketing-Konzentration auf eine Generation, die für die analoge Printkultur weitgehend verloren scheint.
Nach einer Umfrage des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Unternehmensberatung Schickler hatten schon Anfang 2020 knapp zwei Drittel aller deutschen Tages- und Wochenzeitungsverlage regelmäßig erscheinende Podcasts in ihr Produktportfolio aufgenommen. Der Audio-Boom in den Verlagen hat offensichtlich auch etwas zu tun mit der Krise des bisherigen Geschäftsmodells, mit sinkenden Auflagen und einbrechenden Werbeumsätzen. Ein Heilmittel gegen die Strukturkrise der Branche dürften diese Produkte zwar nicht sein. Dennoch, so zitiert eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung zum Podcast-Boom in Deutschland Holger Kansky, den Leiter Digital beim BDZV, seien die Verlagshäuser „gut beraten, einen Plan zu entwickeln, wie sie ihren Content audiofähig machen und neue Hörerkreise erschließen“.
Einer der aktivsten Player auf dem Feld der Podcasts ist die auf Regionalzeitungen spezialisierte Funke-Mediengruppe („Westdeutsche Allgemeine“, „Thüringer Allgemeine“, „Braunschweiger Zeitung“), zu der auch das „Hamburger Abendblatt“ gehört. Dieser ehemalige Springer-Titel produziert mittlerweile allein 23 Podcasts. Das Spektrum reicht vom täglichen Nachrichten-Mix „Hamburg News“ über wöchentliche Hörformate wie die „Digitale Sprechstunde“, zwei HSV-Podcasts (Fußball und Handball) bis zu Kulturpodcasts wie „Next book please“ oder dem „Blind Date mit der Bischöfin“. Laut Selbstdarstellung der Funke-Gruppe gehört Audio zu den Bereichen mit dem stärksten Wachstum: Innerhalb eines Jahres erreichten die konzernweit mehr als 60 Podcasts im April 2021 monatlich rund 600.000 Hörer*innen, was einem Plus von 200 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Bei einem Medienhaus mit vielen Zeitungstiteln läge es nahe, zwecks Schaffung von Synergieeffekten einzelne Podcast-Formate den Abonnent*innen verschiedener Blätter anzubieten. Diese Mehrfachverwertung stößt jedoch an Grenzen: Gerade Podcasts, so ergab die erwähnte BDZV-Umfrage, würden von den Verlagen gern als eine Art „Regionalverstärker“ eingesetzt, mit denen sie ihre lokale Kompetenz akzentuieren wollen.
Das Podcast-Team des „Hamburger Abendblatts“ unterstützt auch interessierte externe Kunden bei der „kompletten Abwicklung von Produkten bis Hosting und Ausspielung“. Das Hamburger Beratungsunternehmen „Fürstenberg Institut“ beauftragte die Funke-Leute mit dem Podcast „Die besten Chef*innen“, bei dem Top-Manager*innen im Dialog über Führungsmethoden, „Erfolg und Menschsein in der Business-Welt“ berichteten. Auch diese „corporate“ Podcasts befinden sich im Aufwind.
Ein PC „von der Stange“
Die Online Marketing Service GmbH (OMS), ein Verbund aus 32 lokalen und regionalen Zeitungsverlagen zur gemeinsamen nationalen Vermarktung von Digital-Angeboten, bietet seit einem Jahr Hilfestellung bei der Produktion von Daily-News-Podcasts. Basis ist ein „White Label“-Podcast – salopp ausgedrückt ein PC „von der Stange“ – der von der dpa im Auftrag der OMS produziert wird. Mithilfe der Audio-Plattform Sonarbird wird dabei das überregionale dpa-Angebot – Basisdienst/ Korrespondentenberichte – durch lokale Inhalte der Verlage automatisiert erweitert. Die ersten so entwickelten Produkte sind die „Frühnachrichten“ des Aachener Medienhauses, der Podcast „Gude, Südhessen“ des „Darmstädter Echo“ sowie der „NWZ Nachrichten Podcast“ der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“. „Gude, Südhessen“ wird durch lokale Meldungen angereichert, die von einer Text-To-Speech-Maschine vertont werden. Die NWZ setzt auf Lokal-News, die von Redakteur*innen gesprochen und mit überregionalen Inhalten der dpa kombiniert werden.
Für die überregionalen Qualitätszeitungen und -zeitschriften scheine es „zumindest teilweise eine Frage des Prestiges und des Selbstverständnisses als Innovationstreiber der Branche“ zu fungieren und deshalb ein attraktives Angebot an Podcasts zu entwickeln, urteilen die Autoren der Otto-Brenner-Studie. Davon zeugt das umfangreiche Engagement von „Zeit“, „Süddeutsche Zeitung“, „FAZ“, „Welt“, „Spiegel“ und „Stern“ in diesem Experimentierfeld. Offenbar sei das Hauptziel, bisherige Abonnent*innen zu halten. Erst in zweiter Linie gehe es darum, neue Abos zu gewinnen. Aber: „Eine dezidierte Werbestrategie, die jüngere Mediennutzer*innen anspricht, ist dabei oftmals nicht zu erkennen.“
Im Auftrag der im BDZV organisierten Zeitungsverlage ermittelt und analysiert „jule“, die „Initiative junge Leser“ regelmäßig die Audio-Nutzungsgewohnheiten junger Zielgruppen. Die letzte Online-Umfrage „Podcasts und junge Zielgruppen“ fand im Herbst 2021 statt. Auch wenn der Rücklauf mit einem guten Dutzend Antworten beteiligter Verlage ausbaufähig erscheint, registriert Jule-Geschäftsführer Thorsten Merkle so etwas wie eine „Podcast-Lust in den Redaktionen“. Sobald die Infrastruktur für die Produktion von Audio-Content erstmal stehe, folge Podcast auf Podcast. Vermarktung und Vertrieb hielten sich dagegen noch zurück, „weil sie noch nicht sehen, dass darüber neue Abos generiert werden können“. In den Redaktionen wiederum gelte Podcast als der Bereich, in dem Volontäre sich ausprobieren können – kein unwichtiges Detail angesichts der wachsenden Probleme beim Rekrutieren von Nachwuchs.
Der Investitionsaufwand fällt einigermaßen niedrig aus: Ins Gewicht fällt die von der Redaktion aufgewandte Arbeitszeit und ein kleines Marketingbudget, um den Podcast bekannt zu machen. Für die Bewerbung nutzen die Verantwortlichen überwiegend die hauseigenen Kanäle, also das Printprodukt, die Website oder auch Newsletter. Das steht eigentlich im Widerspruch zum erklärten Ziel, neue und junge Zielgruppen zu erreichen. Offenbar, so vermutet Merkle, nutzen die jungen Leute YouTube als Suchmaschine auch für Audio Content, „und dabei stoßen sie dann auf Podcasts“.
Die Distribution von Podcasts, Radiobeiträgen bzw. -sendungen erfolgt sowohl über die eigenen Kanäle der Anbieter – Webseiten oder eigene Apps – als auch auf Drittplattformen. Neben den etablierten Musik-Steamingdiensten – allen voran Spotify – die ihre Stellung im Musikmarkt nutzen, um sich auf dem Podcastmarkt zu etablieren, gibt es Audio-Plattformen, die ihren primären Fokus auf Podcasts, Radiobeiträgen bzw. -sendungen auf Abruf sowie Hörbücher legen. Die meistgenutzten Audio-Plattformen sind die ARD Audiothek und die Amazon-Tochter Audible, gefolgt von Apple Podcast, Tuneln Radio und RTL Audio Now (Bertelsmann).
Allianz für alle Audio-Inhalte
Der Bertelsmann-Konzern gilt als einer der Pioniere im privaten deutschen Podcast-Markt. Bereits 2019 gründete man die Audio Alliance als Produktionsfirma für alle Audio-Inhalte. Schon im ersten Jahr entstanden rund 80 Formate. Im März 2019 erfolgte die Gründung der Podcast-Plattform Audio Now. Das Konzept: Für die Produktion der Podcasts werden die Synergien der Bertelsmann Content Alliance genutzt (RTL, RTL Radio, UFA, Penguin Random House, Gruner + Jahr, BMG), mit den Geschäftsfeldern Medien, Musik und Film sowie deren Marken und Persönlichkeiten. Die Nutzung der Podcasts und der Plattform ist kostenlos. Geld soll mit Werbeeinnahmen verdient werden.
So jagt ein Nutzungsrekord bei Audio Alliance den anderen: Für Januar 2022 meldete der Verbund sieben Millionen Podcast-Abrufe. Besonders gefragt sind demnach Produkte der Kategorien Comedy, Familie und Home Improvement. Exemplarisch für Comedy stehen „Die Pochers hier!“, für Familie das „Elterngespräch“, für Home Improvement Trendthemen wie „Ideen für eine bessere Welt – der Hygge-Podcast“ und „Brigitte Be Green – Nachhaltigkeit ohne Blatt vor dem Mund“. All diese Formate werden zum Streamen und zum Download zur Verfügung gestellt. Analog zum Binge-Watching der Serien-Junkies gibt es längst auch im Audio-Bereich das Phänomen des Binge-Listenings, also das exzessive Hören von Audio-Reihen.